Jetzt braucht es „Mose“

Der „Wellenbrecher-Lockdown“ hat die Welle nicht gebrochen, sondern nur leicht abgeflacht. Die Kanzlerin hat daher recht, wenn sie unter Berufung auf die Wissenschaft einen harten Lockdown fordert. Die Ministerpräsidenten sollten sich nun endlich zusammenraufen und das Zaudern beenden – auch wenn es schwer fällt. Ein Kommentar von Nicolai Franz
Von Nicolai Franz
Ein harter Lockdown wird immer wahrscheinlicher

„Mose“ war zu spät dran: Am Dienstag ist der Markusdom in Venedig überflutet worden. Am Dienstag kletterte der Wasserpegel auf 137 Zentimeter über dem Meerespiegel. Das hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben. Doch diesmal sollte alles anders laufen als früher. Der Grund: Das „Modulo Sperimentale Elettromeccanico“, kurz: „Mose“. Mose ist ein Sturmflutsperrwerk. So wie die Israeliten trockenen Fußes das Rote Meer überqueren konnten, sollen die Venezianer vor eindringendem Wasser geschützt werden. Bloß: „Mose“ wurde nicht aktiviert, weil geringere Pegelstände vorausgesagt worden waren.

Auch in der Pandemie prägen Flut-Metaphern die Sprache. Der Lockdown light sollte eigentlich ein „Wellenbrecher“ sein, doch ein Blick auf die hohen Infektions- und Todeszahlen zeigt: Gebrochen ist die Welle nicht. Stattdessen steigt der Pegel immer weiter. Entsprechend eindringlich warb Angela Merkel – so emotional wie wohl nie zuvor – am Mittwoch im Bundestag für härtere Maßnahmen. Die Leopoldina, die nationale Akademie der Wissenschaften, hatte sich kurz zuvor für einen harten Lockdown ausgesprochen.

Ein Ziel des Teil-Lockdowns war, dass die Menschen das Weihnachtsfest mit ihren Verwandten feiern können. Dieses Ziel scheint mehr denn je in Frage gestellt. Viele Kirchen stecken schon seit Wochen in Vorbereitungen für eine Alternative zum üppig besuchten Heiligabend-Gottesdienst – das ist gut, denn lange war es nicht mehr so wichtig wie jetzt, dass die Menschen Trost und Hoffnung im Evangelium finden, das auf möglichst vielen Kanälen wahrzunehmen sein wird.

Die Länderchefs kochen ihr eigenes Süppchen

Die Kanzlerin brachte es denn auch auf den Punkt. Angesichts hoher Infektionszahlen und immer vollerer Intensivstationen könnte ein gemeinsam verbrachtes Weihnachtsfest mit den Großeltern das letzte für sie sein. Ein düsteres Bild. Doch die Physikerin, die auch in ihrer Rede besonders auf den Wert wissenschaftlicher Erkenntnisse pochte, hat in den vergangenen Wochen immer wieder Recht behalten. Als sie vor Wochen vorrechnete, es könnten bald 20.000 Infektionen pro Tag registriert werden, nahmen das nur Wenige ernst – inklusive der Ministerpräsidenten. Am heutigen Donnerstag wurde diesbezüglich schon wieder ein trauriger Rekord aufgestellt: 23.679 Positivtests. Mit einiger Verzögerung schlägt sich diese Zahl auch in den Krankenhäusern nieder. Noch können alle Kranken versorgt werden, doch wird die Welle nicht gebrochen, könnte es damit bald vorbei sein. Trotzdem wiegen sich manche noch in falscher Sicherheit. Aus der AfD-Fraktion ertönte sogar der Zwischenruf: „das ist nicht erwiesen!“, als Merkel darauf hinwies, dass die Kontaktreduzierungen nicht ausreichen.

Die Kanzlerin selbst hat nicht die Macht, einen Lockdown zu verhängen. Das ist Aufgabe der Länderchefs, die nun schon wieder ihre 16 eigenen Süppchen kochen. Als Merkel im Bundestag flehte und warb, wirkte sie daher wie der Priester des Markusdoms, der das Wasser auf sich zufließen sieht, aber selbst nicht handeln kann. Dabei ist klar: Der Wellenbrecher ist gescheitert, nun braucht es „Mose“, das Sturmflutsperrwerk.

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