Organspende-Entscheidung: Um Haaresbreite in die Irre

Wer schweigt, wird Organspender: So wollten es Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD). Gut, dass sie damit gescheitert sind. Schweigen darf nicht als Zustimmung gewertet werden – schon gar nicht, wenn es um die Menschenwürde geht. Ein Kommentar von Nicolai Franz
Von Nicolai Franz
Künftig sollen Hausärzte über Organspenden aufklären

Um Haaresbreite hätte der Deutsche Bundestag am Donnerstag in Sachen Organspende eine Entscheidung gegen Ethik und Recht getroffen. Anders kann man es nicht bezeichnen, was Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) und weitere Abgeordnete die „doppelte Widerspruchslösung“ nennen. Demnach wäre jeder Bürger automatisch „Organspender“ – es sei denn, er hätte zeitlebens gegenüber den Behörden oder seinen Angehörigen widersprochen. Die Anführungszeichen um das Wort „Organspende“ wären nötig geworden. Denn eine Spende ist immer freiwillig und sichtbar gewollt. Das wäre mit Spahns Gesetz entfallen.

Ja, eine Organspende ist ein Akt der Nächstenliebe. Viele Menschen warten monatelang auf ein lebensrettendes Organ – oft vergeblich. Es ist gut, dass unsere Gesellschaft schon seit Monaten über das Thema diskutiert und es in Erinnerung ruft.

Mehr als 80 Prozent der Menschen würden ihre Organe spenden, doch nur die Hälfte hat einen entsprechenden Ausweis. Haben sie keinen, entscheiden die Angehörigen im Sinne des Sterbenden. In 75 Prozent der möglichen Fälle kommt es dann zur Organspende, wie Hermann Gröhe (CDU) in der Debatte sagte. Das ist beachtlich.

Wenn die dokumentierte Spendenbereitschaft erhöht werden soll, müssen die Spendenwilligen also gebeten werden, ihre – bereits getroffene – Entscheidung schriftlich festzuhalten. Deswegen ist es gut, dass der Bundestag für Annalena Baerbocks (Grüne) Antrag stimmte. Künftig sollen Hausärzte regelmäßig über Organspenden aufklären.

Schweigen ist keine Zustimmung

Die „doppelte Widerspruchslösung“ hätte die Leitplanken unseres Miteinanders verschoben. Der SPD-Politiker Georg Nüßlein irrte, als er heute im Bundestag sagte: „Man wird doch verlangen können, dass man sich in diesem Land entscheidet.“ Nein, kann man nicht. Körperliche Unversehrtheit ist ein Grundrecht. Jeder besitzt es. Er muss es sich nicht erst vom Staat durch Widerspruch zurückholen.

Auch ist die Entscheidung zur Organspende keine leichte. In Deutschland gilt das Hirntod-Kriterium für Organspender. Sein Herz schlägt noch. Manche Ärzte narkotisieren die Patienten, weil nicht zweifelsfrei geklärt ist, dass der Hirntote keine Schmerzen empfindet. Wer zum Thema Organspende schweigt, zweifelt vielleicht noch. Auch deswegen darf Schweigen niemals als Zustimmung gedeutet werden.

Ausgerechnet die Schwächsten hätte es womöglich am schlimmsten getroffen: Die, die gar nicht verstehen, worum es bei dem Thema geht. Die ohnehin Angst vor Behörden haben, die nicht gut Deutsch können, die psychisch krank sind. Es wäre unverantwortlich, diesen Menschen Organe zu entnehmen, ohne sicher zu sein, dass sie dem wissentlich zugestimmt hätten. Und umgekehrt: Wie fühlt sich wohl ein Mensch mit transplantiertem Herz, der nicht weiß, ob sein Retter es freiwillig gegeben hat? Wie muss sich eine Ehefrau fühlen, die vermutet, dass ihr verschwiegener Mann einer Organspende nicht zugestimmt hätte, es aber nicht durch eine klare Aussage belegen kann?

All dem steht nur ein einziges Argument entgegen: Dass es in Ländern mit Widerspruchslösung mehr Organspenden gibt und damit mehr Leben gerettet werden können. Dafür dürfen wir aber nicht unsere grundlegenden Werte aufgeben. Die gottgegebene Menschenwürde gilt. Auch in der letzten Stunde.

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