„Wir haben die Frau zur Ware gemacht“

Die SPD-Politikerin Leni Breymaier kämpft für ein Sexkauf-Verbot in Deutschland. Dabei war es ausgerechnet ihre Partei, die Prostitution einst als normale Dienstleistung etablieren wollte. pro hat mit der Bundestagsabgeordneten über Menschenfeindlichkeit im Milieu, Widerstand in der eigenen Partei und neue konservative Verbündete gesprochen.
Von PRO
Leni Breymaier kämpft in ihrer Partei für Zustimmung zum Nordischen Modell. Sie will Prostitution in Deutschland verboten sehen

pro: Frau Breymaier, gibt es Ihrer Meinung nach Frauen, die sich gerne und freiwillig prostituieren?

Leni Breymaier: Wenn es Frauen geben sollte, die sich freiwillig prostituieren, dann sind es verschwindend wenige. Ich habe selbst schon Aktivistinnen getroffen, die sagten, sie täten es freiwillig. Meine Wahrnehmung ist allerdings, dass diese in aller Regel keinen Geschlechtsverkehr anbieten, sondern eher Massagen, oder sich als Dominas betätigen. Ich kenne auch Frauen, die vermeintlich freiwillig in der Prostitution sind, aber zum Beispiel als Kind Missbrauchserfahrungen gemacht haben.

Die Vorsitzende Ihres Frauenschutzvereins „Sisters“, Sabine Constabel, sagt: Freiwillige Prostitution ist ein Märchen.

Das stimmt ganz überwiegend. Frauen sind in der Prostitution, weil sie gezwungen und unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt werden. Weil man ihnen sagt, sie könnten hier für den deutschen Mindestlohn etwa als Küchenhilfe arbeiten, auch, wenn sie nicht Deutsch sprechen. Es gibt auch Frauen, die von ihren Familien, ihren Clans, in die Prostitution gedrängt werden. Andere sind drogenabhängig oder haben andere Süchte, die sie finanzieren müssen.

Gegen diese Sicht stellen sich Interessenvertretungen für Prostituierte. Der Verein „Hydra“ fordert Respekt für Sex­arbeiterinnen anstatt Opfer- und Verbotsdiskurse. Machen Sie alle Frauen ungefragt zum Opfer?

Diese Verbände müssen sich erst einmal die Frage gefallen lassen, wen sie überhaupt vertreten. In der Prostitution haben wir es überwiegend mit Frauen zu tun, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, weil sie zum Beispiel aus Osteuropa oder Afrika kommen. Die im Zweifel überhaupt nicht wissen, in welcher Stadt sie sich im Moment befinden, weil sie regelmäßig hin- und hergekarrt werden. Frauen, die keine Ahnung haben, wie das deutsche Rechtssystem funktioniert. Diese sind sicherlich nicht bei „Hydra“ oder anderen Organisationen Mitglied.

Am Berliner Straßenstrich Kurfürstenstraße bieten sich Frauen Tag für Tag an. Geht es nach Leni Breymaier, werden Freier künftig bestraft, wenn sie Sex kaufen. Foto: Neustart
Am Berliner Straßenstrich Kurfürstenstraße bieten sich Frauen Tag für Tag an. Geht es nach Leni Breymaier, werden Freier künftig bestraft, wenn sie Sex kaufen.

Nicht jede Frau, die anschafft, ist eine Zwangsprostituierte. Ein Sexkaufverbot nach dem Nordischen Modell, wie Sie es fordern, träfe auch selbstbestimmte Sexarbeiterinnen.

Ich glaube, das Recht der Frauen, die Sie beschreiben, rechtfertigt nicht dieses unendliche Leid all der anderen. Wir reden von mehreren Hunderttausend, die körperlich und seelisch kaputt gemacht werden. Deutschland ist Zielland des europäischen Menschenhandels, das hat uns die Europäische Kommission ins Stammbuch geschrieben. Bei uns werden Frauen sexuell ausgebeutet, weil unsere Gesetze so liberal sind.

Für diese Gesetzgebung hat Ihre Partei 2001 gemeinsam mit den Grünen gesorgt. Sie wollten das Milieu aus der Sittenwidrigkeit holen.

Die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin sagt heute: Es war ein Fehler, der korrigiert werden muss. Ich sage: Wir versuchen nun seit Anfang des Jahrtausends die Idee von einer selbstbestimmten Prostitution in Deutschland umzusetzen. Mit dem Prostitutionsgesetz wollte man erreichen, dass Frauen in der Prostitution ihr Entgelt einklagen können. Dass ihre Tätigkeit nicht mehr sittenwidrig ist, dass die Frauen sich krankenversichern können, dass sie Steuern zahlen, dass sie rentenversichert sind. Das kann ich durchaus unterschreiben. Wir erleben aber heute, dass die Verhältnisse viel schlimmer sind als vor dem Gesetz. Die alten Huren erzählen mir, dass sie früher auch mal einen Freier ablehnen konnten. Heute ist das wegen der starken Konkurrenz aus Südosteuropa unmöglich. Es gibt furchtbare Praktiken auf dem Markt, das ist von Selbstbestimmtheit Galaxien entfernt. Wir müssen uns eingestehen, dass wir seit 17 Jahren einen Feldversuch zu Lasten der Frauen durchführen.

Nicht jede Frau, die anschafft, ist eine Zwangsprostituierte. Ein Sexkaufverbot nach dem Nordischen Modell, wie Sie es fordern, träfe auch selbstbestimmte Sexarbeiterinnen.

Ich glaube, das Recht der Frauen, die Sie beschreiben, rechtfertigt nicht dieses unendliche Leid all der anderen. Wir reden von mehreren Hunderttausend, die körperlich und seelisch kaputt gemacht werden. Deutschland ist Zielland des europäischen Menschenhandels, das hat uns die Europäische Kommission ins Stammbuch geschrieben. Bei uns werden Frauen sexuell ausgebeutet, weil unsere Gesetze so liberal sind.

Für diese Gesetzgebung hat Ihre Partei 2001 gemeinsam mit den Grünen gesorgt. Sie wollten das Milieu aus der Sittenwidrigkeit holen.

Die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin sagt heute: Es war ein Fehler, der korrigiert werden muss. Ich sage: Wir versuchen nun seit Anfang des Jahrtausends die Idee von einer selbstbestimmten Prostitution in Deutschland umzusetzen. Mit dem Prostitutionsgesetz wollte man erreichen, dass Frauen in der Prostitution ihr Entgelt einklagen können. Dass ihre Tätigkeit nicht mehr sittenwidrig ist, dass die Frauen sich krankenversichern können, dass sie Steuern zahlen, dass sie rentenversichert sind. Das kann ich durchaus unterschreiben. Wir erleben aber heute, dass die Verhältnisse viel schlimmer sind als vor dem Gesetz. Die alten Huren erzählen mir, dass sie früher auch mal einen Freier ablehnen konnten. Heute ist das wegen der starken Konkurrenz aus Südosteuropa unmöglich. Es gibt furchtbare Praktiken auf dem Markt, das ist von Selbstbestimmtheit Galaxien entfernt. Wir müssen uns eingestehen, dass wir seit 17 Jahren einen Feldversuch zu Lasten der Frauen durchführen.

„Ich wünsche mir eine gesellschaftliche Haltung, die sagt: Es ist nicht normal, dass man losgeht und sich eine Frau kauft.“

Amnesty International kritisiert, das Nordische Modell verdränge Prostitution auf den Schwarzmarkt und mache sie unkontrollierbar.

Unkontrollierbar ist sie heute schon. Das Nordische Modell beinhaltet zudem nicht alleine die Freierbestrafung. Es entkriminalisiert die Frauen, es bietet Ausstiegshilfen und eine breite Sexualaufklärung. In unserer Gesellschaft geht gerade etwas kaputt: Das durchschnittliche Eintrittsalter für den Konsum von Hardcore-Pornos liegt bei elf Jahren. Diese Mädchen und Jungs denken, diese Filme bildeten die Realität ab, Frauen seien immer devot, müssten alles tun, was von ihnen verlangt wird, Gewalt und Demütigungen ertragen. Wir müssen da gegensteuern mit Aufklärung. Es geht neben dem Schutz der Frauen in der Prostitution auch um unsere Heranwachsenden. Mir persönlich ist es wurscht, ob eine Frau am Tag mit fünf Männern schläft oder in der Woche mit 50. Mir geht es nicht um Moral. Mir geht es um Menschenrechte. Ich wünsche mir eine gesellschaftliche Haltung, die sagt: Es ist nicht normal, dass man losgeht und sich eine Frau kauft.

Prostituierte sorgen sich, dass durch ein Verbot eine Radikalisierung eintreten könnte. Die netten Freier blieben weg, die schlimmen kämen weiter …

Was ist denn ein netter Freier? Ich glaube, das ganze Milieu ist dermaßen verroht, dass davon keine Rede sein kann. Schauen Sie sich doch nur mal an, wie in einschlägigen Internetforen Prostituierte bewertet werden. Da ist es ein Qualitätsmerkmal, wenn sie beim Oralverkehr möglichst früh zum Erbrechen gebracht werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch schlimmer werden kann.

Eine französische Studie gibt an, die Preise für Prostituierte seien seit Einführung des dortigen Sexkaufverbots massiv gefallen. Die Frauen würden nun noch mehr ausgebeutet.

Ich kenne diese Studie nicht. Wir haben die Frau zur Ware gemacht und wir sehen Prostitution als Markt an. Deshalb unterliegt dieser Marktgesetzen. Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Einen Preisverfall haben wir auch ganz ohne Verbot in Deutschland. An der Berliner Kurfürs­tenstraße stehen Frauen, die bieten sich für zehn Euro an, weil sie das Geld brauchen und weil die Konkurrenz so groß ist. Um einen hohen Preis zu erzielen, müssen sie die abartigsten Sachen machen. Da stehen hochschwangere Frauen. Ich höre von einer Frau, die um neun Uhr morgens entbunden hat und mittags um eins wieder auf dem Straßenstrich steht. Unser aller und auch mein Job ist es, die Würde dieser Frauen zu wahren.

Sie führen gerade einen handfesten parteiinternen Streit darüber!

Ja. Aber es freut mich, dass das Thema nicht mehr in der Versenkung verschwindet. Mein Landesverband in Baden-Württemberg hat beschlossen, das Nordische Modell zu fordern, die bayerischen Sozialdemokratinnen auch.

Schleswig-Holstein ist dagegen. Ihre Justizministerin Christine Lambrecht ebenfalls.

Die Debatte ist entbrannt und das ist wichtig. Ich habe nicht die Erwartungshaltung, dass die ganze Partei sich plötzlich dreht und meiner Meinung folgt. Aber wir müssen darüber streiten – auch um deutlich zu machen, dass die Welt anders aussieht, als die schleswig-holsteinische Landesvorsitzende annimmt. Manche in der Partei lehnen sich zurück und warten darauf, dass die Entwicklungen 2025 wie vereinbart evaluiert werden. Aber so lange will ich nicht mehr zusehen, wie mitten in Europa, noch dazu in einem seiner reichsten Länder, tagtäglich massenweise Menschenrechtsverletzungen stattfinden.

Ärgert es Sie, dass Stimmen aus der Evangelischen Kirche gegen ein Sexkaufverbot laut werden, etwa die der ehemaligen Diakonie-Chefin Susanne Kahl-Passoth?

Ich wundere mich. Es werden jede Menge wohlfeile Gespräche mit fein formulierenden Frauen geführt, die sagen, sie seien gerne Sexarbeiterin. Aber es gibt keine Kontakte mit jenen, die unterdrückt werden und keine Lobby haben, die die ganz überwiegende Mehrheit stellen. Hier wünsche ich mir einen offenen Blick auf die Realität.

Vielen Dank für das Gespräch!

Amnesty International kritisiert, das Nordische Modell verdränge Prostitution auf den Schwarzmarkt und mache sie unkontrollierbar.

Unkontrollierbar ist sie heute schon. Das Nordische Modell beinhaltet zudem nicht alleine die Freierbestrafung. Es entkriminalisiert die Frauen, es bietet Ausstiegshilfen und eine breite Sexualaufklärung. In unserer Gesellschaft geht gerade etwas kaputt: Das durchschnittliche Eintrittsalter für den Konsum von Hardcore-Pornos liegt bei elf Jahren. Diese Mädchen und Jungs denken, diese Filme bildeten die Realität ab, Frauen seien immer devot, müssten alles tun, was von ihnen verlangt wird, Gewalt und Demütigungen ertragen. Wir müssen da gegensteuern mit Aufklärung. Es geht neben dem Schutz der Frauen in der Prostitution auch um unsere Heranwachsenden. Mir persönlich ist es wurscht, ob eine Frau am Tag mit fünf Männern schläft oder in der Woche mit 50. Mir geht es nicht um Moral. Mir geht es um Menschenrechte. Ich wünsche mir eine gesellschaftliche Haltung, die sagt: Es ist nicht normal, dass man losgeht und sich eine Frau kauft.

Prostituierte sorgen sich, dass durch ein Verbot eine Radikalisierung eintreten könnte. Die netten Freier blieben weg, die schlimmen kämen weiter …

Was ist denn ein netter Freier? Ich glaube, das ganze Milieu ist dermaßen verroht, dass davon keine Rede sein kann. Schauen Sie sich doch nur mal an, wie in einschlägigen Internetforen Prostituierte bewertet werden. Da ist es ein Qualitätsmerkmal, wenn sie beim Oralverkehr möglichst früh zum Erbrechen gebracht werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch schlimmer werden kann.

Eine französische Studie gibt an, die Preise für Prostituierte seien seit Einführung des dortigen Sexkaufverbots massiv gefallen. Die Frauen würden nun noch mehr ausgebeutet.

Ich kenne diese Studie nicht. Wir haben die Frau zur Ware gemacht und wir sehen Prostitution als Markt an. Deshalb unterliegt dieser Marktgesetzen. Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Einen Preisverfall haben wir auch ganz ohne Verbot in Deutschland. An der Berliner Kurfürs­tenstraße stehen Frauen, die bieten sich für zehn Euro an, weil sie das Geld brauchen und weil die Konkurrenz so groß ist. Um einen hohen Preis zu erzielen, müssen sie die abartigsten Sachen machen. Da stehen hochschwangere Frauen. Ich höre von einer Frau, die um neun Uhr morgens entbunden hat und mittags um eins wieder auf dem Straßenstrich steht. Unser aller und auch mein Job ist es, die Würde dieser Frauen zu wahren.

Sie führen gerade einen handfesten parteiinternen Streit darüber!

Ja. Aber es freut mich, dass das Thema nicht mehr in der Versenkung verschwindet. Mein Landesverband in Baden-Württemberg hat beschlossen, das Nordische Modell zu fordern, die bayerischen Sozialdemokratinnen auch.

Schleswig-Holstein ist dagegen. Ihre Justizministerin Christine Lambrecht ebenfalls.

Die Debatte ist entbrannt und das ist wichtig. Ich habe nicht die Erwartungshaltung, dass die ganze Partei sich plötzlich dreht und meiner Meinung folgt. Aber wir müssen darüber streiten – auch um deutlich zu machen, dass die Welt anders aussieht, als die schleswig-holsteinische Landesvorsitzende annimmt. Manche in der Partei lehnen sich zurück und warten darauf, dass die Entwicklungen 2025 wie vereinbart evaluiert werden. Aber so lange will ich nicht mehr zusehen, wie mitten in Europa, noch dazu in einem seiner reichsten Länder, tagtäglich massenweise Menschenrechtsverletzungen stattfinden.

Ärgert es Sie, dass Stimmen aus der Evangelischen Kirche gegen ein Sexkaufverbot laut werden, etwa die der ehemaligen Diakonie-Chefin Susanne Kahl-Passoth?

Ich wundere mich. Es werden jede Menge wohlfeile Gespräche mit fein formulierenden Frauen geführt, die sagen, sie seien gerne Sexarbeiterin. Aber es gibt keine Kontakte mit jenen, die unterdrückt werden und keine Lobby haben, die die ganz überwiegende Mehrheit stellen. Hier wünsche ich mir einen offenen Blick auf die Realität.

Vielen Dank für das Gespräch!

Leni Breymaier, Jahrgang 1960, sitzt für die SPD im Deutschen Bundestag. Bis 2018 war sie Vorsitzende ihres Landesverbandes Baden-Württemberg. Breymaier zählt zur Parteilinken und ist Gewerkschafterin. Ihre Themen sind vor allem Gleichstellung und Gesundheitspolitik. Mit dem CDU-Politiker Frank Heinrich gründete sie jüngst im Deutschen Bundestag einen interfraktionellen Arbeitskreis zum Thema Prostitution.

Dieses Interview ist der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro entnommen. pro erscheint sechs Mal jährlich kostenlos und ist hier bestellbar.

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