Streit über Mahnwachen vor Beratungsstellen

Das hessische Innenministerium hat Mahnwachen vor Beratungsstellen für ungewollt Schwangere stark eingeschränkt – und damit Kritik von Lebensschützern ausgelöst. Dabei gilt der Erlass in einem besonderen Fall womöglich gar nicht.
Von Nicolai Franz
Hessens Innenminister Peter Beuth

Laut einem Erlass des hessischen Innenministeriums gelten in Hessen ab sofort strenge Regeln für Mahnwachen vor Einrichtungen, in denen sich ungewollt schwangere Frauen beraten lassen können. Kritik an diesen Veranstaltungen hatte es gegeben, weil Frauen in ihrer ohnehin schwierigen Notlage zusätzlich hohem Druck ausgesetzt würden.

Christen unterschiedlicher Konfessionen versammeln sich bei solchen Mahnwachen vor Beratungseinrichtungen, singen Lieder, beten, halten Plakate hoch und verteilen Traktate, mit denen sie Frauen von einem Schwangerschaftsabbruch abhalten wollen.

Keine Mahnwachen während der Öffnungszeiten

Zwar beinhalte die Versammlungsfreiheit auch ein Selbstbestimmungsrecht über den Ort der Veranstaltung, heißt es im Erlass. „Dieses Recht findet aber seine Schranke, wenn der Versammlungsort darauf ausgerichtet ist, die schwangere Frau in ihrer Konfliktsituation und im Zustand hoher Verletzlichkeit einer Anprangerung und Stigmatisierung auszusetzen.“ An Sonn- und Feiertagen sowie außerhalb der Öffnungszeiten der Einrichtungen sollen Mahnwachen daher weiterhin erlaubt bleiben. Werktags und während der Öffnungszeiten gelten hingegen künftig nun hohe Auflagen:

  • Demonstranten dürfen Frauen nicht den Weg in die Beratungsstelle versperren, sie dürfen zudem nicht die Möglichkeit haben, sie anzusprechen oder zu bedrängen.

  • „Belästigungen aller Art“ müssen ausgeschlossen sein, also etwa unerwünschte Gespräche oder das Verteilen von Flyern.

  • Die Konsequenz: Mahnwachen müssen so weit entfernt von Beratungseinrichtungen stattfinden, dass „kein Sicht- oder Rufkontakt mit der Beratungsstelle mehr besteht“.

  • Auch Beschränkungen der Dauer seien „in Betracht zu ziehen“.

Schwangeren einen „Bärendienst“ erwiesen

Dem Erlass des Innenministeriums ging ein Gesetzesantrag der Linken voraus. Die Partei forderte eine „150-Meter-Schutzzone“ rund um Beratungsstellen für Schwangere. Auch der schwarz-grüne Koalitionsvertrag enthielt diesen Vorschlag, allerdings mit dem Hinweis, die Koalition solle rechtliche Möglichkeiten dafür prüfen. Mit dem Erlass des CDU-geführten Innenministeriums scheint das Thema fürs erste erledigt.

Heftiger Widerspruch kommt aus der Lebensrechtsszene. Für die Aktion Lebensrechte für Alle (ALfA) hat Hessens Innenministerium Schwangeren einen „Bärendienst“ erwiesen. Die Organisation prüft nach eigenen Angaben rechtliche Schritte gegen den Erlass. Dieser sei „ein massiver Eingriff in die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, das Lebensrechtlern genauso zu gewähren ist wie etwa Umwelt- und Klimaschützern“, so die ALfA-Vorsitzende Cornelia Kaminski. Es sei nicht wahr, dass Lebensrechtler vor Beratungsstellen stünden, um bei Schwangeren Schuldgefühle zu wecken und sie belehrend zu beeinflussen.

Für Kaminski ist es bemerkenswert, dass das von CDU-Politiker Peter Beuth geführte Ministerium „de facto – wie von der Partei Die Linke gefordert – eine Bannmeile für Lebensrechtler um Schwangerenkonfliktberatungsstellen, Arztpraxen und Kliniken errichtet“. Oft seien es „ausschließlich Lebensrechtsorganisationen, die Frauen in Schwangerschaftskonflikten tatkräftig unterstützen und mit denen, die das wünschen, Lösungen für die Probleme erarbeiten, die sie eine Abtreibung erwägen lassen“.

Von einem „Maulkorb-Erlass gegen Lebensschützer“ ist in einer Online-Petition die Rede. Die knapp 6.000 Unterstützer fordern, den Erlass unverzüglich zurückzuziehen.

Praxen ohne Schwangerschaftskonfliktberatung wohl nicht betroffen

Indes ist unklar, für welche Orte der Erlass des Innenministeriums gilt. Der Text, der pro vorliegt, begründet die Einschränkungen mit der staatlichen Pflicht, dass ungewollt Schwangere Beratungsstellen ungehindert und unverzüglich aufsuchen können müssen. Tatsächlich gibt es immer wieder Mahnwachen vor entsprechenden Einrichtungen wie denen der Organisation profamilia. Im Erlass ist zwar auch von Kliniken und Arztpraxen die Rede, aber auch dann im Kontext vom offenen Zugang zur Beratung.

Allerdings gibt es auch Arztpraxen, in denen zwar Abtreibungen vorgenommen werden, aber keine Schwangerschaftskonfliktberatung angeboten wird. Diese Praxen wären vom hessischen Erlass möglicherweise nicht betroffen. Im Klartext: Lebensschützer könnten ihre Mahnwachen weiterhin vor Praxen wie der der Gießener Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel abhalten. Eine entsprechende pro-Anfrage an das hessische Innenmisterium ist noch in Bearbeitung.

Von: Nicolai Franz

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