Bundestag zu Bluttest: Selektion oder wichtiges Recht?

Am Donnerstag hat der Deutsche Bundestag erstmals über Trisomie-Bluttests debattiert. Hintergrund ist eine mögliche Zulassung der Tests als Kassenleistung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. Kritiker fürchten einen Anstieg von Schwangerschaftsabbrüchen bei einer Down-Syndrom-Diagnose in der Frühschwangerschaft. Befürworter betonen ein Recht auf Wissen der Eltern.
Von Anna Lutz
Sollen Trisomie-Frühtests zugelassen werden? Damit beschäftigte sich der Deutsche Bundestag am Donnerstag.

Am Donnerstag äußerten sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages erstmals im Rahmen einer Debatte ohne Fraktionszwang über die Zulassung von Bluttests in der Frühschwangerschaft. Sie sollen Trisomie 21 beim ungeborenen Kind feststellen können. Viele der Abgeordneten berichteten sehr persönlich von ihren Schwangerschaften und dem Umgang mit Untersuchungen und Risiken.

Zu den Befürwortern der Tests zählt SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Niemand könne Frauen diesen Test vorenthalten und ihnen eine Fruchtwasseruntersuchung anbieten, nur weil sie nicht genug Geld hätten. Fruchtwasseruntersuchungen können zu Fehlgeburten führen, der Bluttest nicht. „Der Test ist medizinisch gesprochen viel besser“, sagte Lauterbach.

Katrin Helling-Plahr von der FDP berichtete von ihren eigenen risikobehafteten Schwangerschaften. Immer wieder habe sie große Ängste ausgestanden. Deshalb habe sie sich dazu entschieden, pränataldiagnostische Methoden in Anspruch zu nehmen. Nicht, weil sie habe abtreiben wollen, sondern weil sie es ihr ermöglicht hätten, sich auf Kommendes einzustellen. „Unethisch“ nannte sie es, Risikoschwangere, die nicht über die ausreichenden finanziellen Mittel verfügten, im Ungewissen zu lassen oder zu risikoreicheren Methoden zu drängen.

„Eine Untersuchung ohne Risiko für Fötus und Schwangere ist wesentlich besser als eine Untersuchung mit Risiko“, erklärte Cornelia Möhring von der Linken. Aber: Die Gesellschaft sei längst nicht so inklusiv, wie sie sein sollte. „Eine Behinderung ist in Deutschland immer noch ein Armutsrisiko und das müssen wir abstellen.“ Der CDU-Politiker und das Ratsmitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland Thomas Rachel wies auf die Empfehlung seiner Kirche zum Thema hin: „Ja zum neuen Diagnoseverfahren in Fällen von Risikoschwangerschaften, eingebettet in Beratungen.“

Recht auf Nichtwissen

Dagmar Schmidt von der SPD zeigte sich skeptisch: Mütter sollten auch das Recht haben, „Dinge nicht wissen zu wollen“ und sich „einfach voller Hoffnung“ auf ihr Kind zu freuen. Es gehe im Bundestag nun auch darum, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen, in der jedes Detail des menschlichen Genoms vorgeburtlich analysierbar sein werde. Grünenpolitikerin Corinna Rüffer warnte: „Das Gesundheitssystem ist dafür da, Menschen zu heilen. Dieser Test kann nicht dazu dienen, Menschen zu heilen, denn das Down-Syndrom ist keine Krankheit.“ Stattdessen gehe es bei der Frage nach der Zulassung des Tests um „Selektion“.

Ihre Parteikollegin Kirsten Kappert-Gonther fügte hinzu: Viele Schwangere könnten sich vor Angeboten zur Pränataldiagnostik nicht retten. Dabei führten Menschen mit Down-Syndrom ein ebenso gutes oder schlechtes Leben wie andere. Sie sprach sich gegen eine generelle Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen aus, aber für eine Übernahme bei bestimmten Risikoschwangeren und nur in Verbindung mit einer Beratung.

Rudolf Henke von der CDU betonte, jeder Mensch habe einen Anspruch darauf, „gewollt und willkommen zu sein“. Würde und Lebensrecht dürften nicht von genetischen Analysen abhängen. Henke forderte „ein anderes Konzept der Beratung“ für Schwangere im Sinne eines „Lebensrechts aller“. Henke hatte den Deutschen Bundestag im vergangenen Jahr gemeinsam mit anderen Abgeordneten aufgefordert, die Debatte über Trisomie-Tests zu führen.

AfD-Politiker übt Kritk an Abtreibungsgesetzen

Für Kritik am Abtreibungsrecht nutzte Axel Gehrke von der AfD die Debatte: „Den Untergang des Abendlandes zu fürchten“, nur weil ein neues Verfahren ein altes risikobehaftetes ersetze, gehe an der Realität vorbei. Der Test müsse Regelleistung werden, denn der Druck auf die Mütter entstehe nicht durch ihn, sondern durch die Idee, dass jede schwangere Frau frei entscheiden könne, ob sie ein Kind austrage oder nicht. Grünen, SPD und Linken warf er unter lautstarkem Protest der Angesprochenen vor, Frauen einzureden, sie könnten „am besten noch bis zum neunten Monat“ abtreiben. Parteikollegin Beatrix von Storch erklärte, sie beobachte ein gesellschaftliches Klima, das die Berechtigung, sich für ein behindertes Kind zu entscheiden, mehr und mehr in Frage stellt. Sie habe die Sorge, dass Mütter bald unter Druck stünden, alles Mögliche testen zu lassen. „Es gibt Kräfte, die wollen eine Welt mit optimierten Menschen“, sagte sie.

Der Deutsche Bundestag führte die Auftaktdebatte auf Anregung des Gemeinsamen Bundesausschusses, der derzeit prüft, ob die Bluttests als Kassenleistung zugelassen werden sollen. Zwar ist das Gremium aus Experten und unter unabhängiger Leitung in dieser Frage entscheidungsberechtigt. Es bezieht aber die Meinungen von Politik und anderen Fachgruppen ein, etwa dem Deutschen Ethikrat. Der Deutsche Bundestag könnte zudem Gesetze auf den Weg bringen oder zu ändern anregen, die das Thema betreffen, etwa das Gendiagnostik-Gesetz oder das Medizinproduktegesetz. In diesem Zusammenhang ist der Einwurf zu sehen, den FDP-Politiker und Pfarrer Pascal Kober am Donnerstag machte. Er forderte ganz grundsätzlich eine institutionalisierte Debatte des Deutschen Bundestages über medizinethische Fragen. Diese würden die Gesellschaft auch künftig beschäftigen und prägen. Die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses wird wohl im Herbst fallen. Bis dahin wird es voraussichtlich auch im Bundestag erneut auf der Agenda stehen.

Von: Anna Lutz

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