„Unsere Entscheidungspraxis ist differenziert“

Prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Glauben christlicher Konvertiten? Nein, sagt Gräfin Ursula Praschma, Abteilungsleiterin im BAMF. Geprüft werde etwas anderes. Ein Interview von Nicolai Franz
Von Nicolai Franz
Seit 2016 leitet Ursula Gräfin Praschma die Abteilung „Internationale Aufgaben, Grundlagen Asylverfahren und Migration“ im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). In der Behörde arbeitet sie bereits mehr als 30 Jahren.

pro: Einige Flüchtlinge fürchten in ihren Heimatländern Verfolgung, weil sie Christen geworden sind. Wie viele sind das etwa?

Ursula Gräfin Praschma: Das kann ich leider nicht sagen. Wir erfassen die Asylgründe nicht statistisch, weil jede Fluchtgeschichte so individuell und vielschichtig ist. Dies betrifft auch die Gründe, warum jemand Asyl bekommen hat. Ich kann Ihnen aber Schwerpunkte nennen: Bei Iranern beispielsweise ist die Konversion zum Christentum inzwischen der Hauptgrund für einen Asylantrag, auch bei den Herkunftsländern Afghanistan und Irak gibt es einige Fälle. Iran ist aber mit großem Abstand vorne.

Warum ausgerechnet der Iran?

Im Iran ist der Islam die Staatsreligion und -philosophie, die Verfolgung geht meist vom Staat aus. Hier in Deutschland erleben Iraner, dass sie von Kirchen aufgenommen werden, dass Caritas und Diakonie ihnen helfen. Das ist ein so großer Unterschied zu ihren vorigen Erfahrungen, dass die Konversion durchaus schlüssig und nachvollziehbar ist.

Iraner bekehren sich also zum christlichen Glauben, weil sie die Nächstenliebe der hiesigen Christen beeindruckt?

Das halte ich für schlüssig. Wenn ich mich mit Entscheidern über ihre Erfahrungen aus den Anhörungen unterhalte, wird mir dies auch immer wieder berichtet.

Wenn jemand Christ wird und deswegen religiöse Verfolgung in seinem Heimatland fürchtet, prüft das BAMF offenbar, ob der Glaube echt ist – und nicht nur ein vorgeschobener Asylgrund. Wie stellen Sie das fest?

Gar nicht, das ist einer der Hauptirrtümer bei dieser Thematik. Wenn jemand sein Taufzeugnis vorlegt, gehen wir davon aus: Er oder sie ist Christ. Die Kirchen allein stellen fest, ob jemand Christ geworden ist, was ja die Voraussetzung für die Taufe ist – egal ob katholisch, evangelisch oder freikirchlich. Wie uns Antragsteller berichten, dauert dieser Prozess bei den Katholiken etwa ein Jahr, in den Evangelischen Kirchen ist es unterschiedlich, aber meist mehrere Monate bis zu einem halben Jahr. Bei den Freikirchen geht es oftmals schneller.

Was ist, wenn ein Flüchtling Christ wird, einen Taufkurs besucht, aber vor der Taufe als Asylbewerber abgelehnt wird?

Das wäre für den Betreffenden in der Tat eine schwierige Situation. Der Geistliche, der die Taufvorbereitung leitet, könnte uns auf jeden Fall mitteilen, dass der Interessent gerade auf eine Taufe vorbereitet wird. Das wäre aber ein Sonderfall, der nicht oft vorkommt. Ob eine Taufbescheinigung vorliegt oder nicht, ist auch nicht entscheidend. Die Taufbescheinigung gibt zwar Hinweise auf die Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels, aber sie beantwortet nicht die zentrale Frage im Asylverfahren: Welche Gefahr droht bei einer möglichen Rückkehr in das Heimatland? Daher prüfen wir immer im Einzelfall, ob der Betroffene Verfolgung in seinem Heimatland erleiden würde. Wir versuchen herauszufinden, wie der Betroffene seinen Glauben wohl ausleben würde und wie der Staat und die Zivilgesellschaft des Heimatlandes darauf wahrscheinlich reagieren würden.

Warum gibt es bei Taufen in Freikirchen mehr Probleme?

Wir können sie schlechter einschätzen als die großen Konfessionen, zu denen wir ein Vertrauensverhältnis aufgebaut haben. Es gibt sehr aktive kleinere Freikirchen, die laut Medienberichten gezielt in Unterkünften von Asylbewerbern für ihren Glauben werben. Doch auch da wollen wir nicht anzweifeln, dass eine echte Konversion stattgefunden hat.

Wie machen Sie das?

Wenn jemand regelmäßig in Gottesdienste geht, in der Gemeinde vernetzt ist, wenn man ihn dort kennt, wenn er aktiv Aufgaben in der Gemeinde der Christen übernimmt, dann schließen wir daraus: Ihm ist der Glaube wichtig. Solchen Menschen glauben wir auch, wenn sie sagen, dass sie ihren Glauben im Iran genauso wie in Deutschland leben würden.

In Deutschland besuchen etwa drei Prozent der Protestanten und zehn Prozent der Katholiken am Sonntag den Gottesdienst. Diese Prüfung würde also fast kein Kirchenmitglied in Deutschland bestehen.

Es geht nicht darum, diese Zahlen mit den Einheimischen ins Verhältnis zu setzen. Das iranische Regime sieht nach unseren Erkenntnissen im Christentum eine Bedrohung seiner eigenen Staatsphilosophie. Es sieht in den Christen Abtrünnige, die dem Propheten Mohammed eine Absage erteilt haben und den Islam als Staatsräson in Frage gestellt haben. Das ist der Grund für Verfolgung. Ohne öffentliche Glaubensäußerung kann man im Iran aber noch nicht von Verfolgung ausgehen. Wenn jemand im Iran seinen Glauben in den eigenen vier Wänden in der Zwiesprache mit Gott lebt, vielleicht auf einen Berg geht, um zu beten, dann löst er beim Regime noch keine Verfolgung aus. Nach unseren Herkunftsländerinformationen wird eine solche Form der Glaubensausübung im Iran geduldet.

Vom Staat vielleicht, aber nicht unbedingt von der Gesellschaft. Es gibt Berichte, nach denen ehemalige Muslime wegen ihrer Konversion ermordet wurden – sogar von der eigenen Familie. Auf Apostasie steht nach klassischem islamischen Verständnis die Todesstrafe.

Das ist ein wichtiges Argument. Wenn der Asylsuchende aus einer sehr religiösen Familie kommt und beim Freitagsgebet fehlt, ist die Ehre der Familie befleckt. Solche Sonderfälle müssen sorgfältig geprüft werden. Wenn jemand nur seinen Glauben wechselt, das aber nicht zum Ausdruck bringt und die Familie nicht in Verruf bringt, führt das noch nicht zur Verfolgung – zumindest nicht im Iran.

Pfarrer Gottfried Martens aus Berlin-Steglitz hat Gespräche zwischen BAMF-Mitarbeitern und asylsuchenden Konvertiten protokolliert. Die Beispiele sind haarsträubend, etwa die Frage, ob der Befragte die Namen der Söhne aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn kenne – dabei stehen diese noch nicht einmal in der Bibel. Das kann man durchaus als Glaubenstest verstehen – von Prüfern, die selbst wenig Ahnung vom Christentum haben.

Wegen dieser Fragen haben der damalige Leiter des BAMF, Frank-Jürgen Weise, und die Vizepräsidentin Uta Dauke Gespräche mit Pfarrer Martens geführt. Solch detaillierte Fragen zu Glaubensinhalten sind nicht im Sinne des Bundesamts, weshalb wir solche Hinweise gerne aufnehmen, um die Qualität der Asylverfahren zu sichern und weiterzuentwickeln. Vor allem organisatorisch haben wir einiges geändert: Wir haben in Berlin und Brandenburg Teams aus erfahrenen Entscheidern gebildet, die ausschließlich mit Konversionsfällen beauftragt wurden und mit erfahrenen Dolmetschern zusammenarbeiteten. Es gibt regelmäßige Teambesprechungen. Pfarrer Martens legte uns insgesamt 78 Fälle vor. Nach nochmaliger Prüfung wurden bei 51 die Ablehnungsbescheide aufrechterhalten, in 16 Fällen haben wir eine Abhilfe erklärt und in elf Verfahren sind ergänzende Anhörungen erfolgt.

Sie prüfen den Glauben also nach Ihren Worten nicht, sondern Sie untersuchen, wie der Glaube wohl in Zukunft aussieht?

Ja. Wir prüfen, ob jemand von dem eigenen Glauben so ergriffen ist, dass er dies in eigenen Aktivitäten zum Ausdruck bringt. Wenn diese Aktivitäten im Heimatland weitergeführt werden, sodass daraus Verfolgung entstehen könnte, dann erhält der Betreffende Schutz.

Der Grünen-Politiker Volker Beck hat von einem „Generalverdacht“ gegen christliche Flüchtlinge aus dem Iran gesprochen und nahm sogar das Wort „Volksverhetzung“ in den Mund. Grund: Es war bekannt geworden, dass das BAMF vermehrt Flüchtlinge in den Iran abschiebt. Verstehen Sie die Irritationen?

Wir haben in diesem Jahr bis Mai insgesamt 9.985 Iranern Schutz gewährt, das sind 53 Prozent. Natürlich sind darunter etliche Christen, Konversion ist bei Iranern ja der Hauptgrund für einen Asylantrag. Solche Meldungen erreichen die Öffentlichkeit aber nicht so sehr. Oftmals wird nur die andere Seite der Medaille, die Ablehnungen, gesehen. Unsere Entscheidungs­praxis ist differenziert.

Die Unterscheidung zwischen Glaubensprüfung und Prüfung der zu erwartenden Glaubenspraxis klingt aber schon spitzfindig. Mit anderen Worten: Dann wären die Prüfungen bei Pfarrer Martens nur eine schlechte Variante davon, was das BAMF will, um eine Prognose für das Verhalten im Heimatland zu stellen?

Wir prüfen nicht den Glauben, sondern wollen herausfinden, was die religiöse Identität des Betreffenden ausmacht. Am Ende des Matthäusevangeliums steht im 28. Kapitel der Missionsbefehl Jesu. Wenn es jemandem sehr wichtig ist, den Glauben auch weiterzugeben – gerade auf evangelischer Seite –, dann passt das zum angegebenen Asylgrund, dass religiöse Verfolgung zu erwarten ist. Wer seinen Glauben nur im stillen Gebet lebt oder nur Gottes Liebe in seinem Umfeld weitergeben will, wird eher keine Verfolgung damit auslösen.

Mittlerweile gibt es auch Schleuser, die Flüchtlinge auf diese Gespräche vorbereiten, zum Beispiel lernen sie Bibelverse auswendig. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Wir bereiten uns nicht gesondert darauf vor, sondern bitten den Asylbewerber, seinen Weg zum Glauben zu beschreiben und stellen ihm Fragen zur Ausübung seines Glaubens. Unsere Entscheider entwickeln mit der Zeit ein gutes Gespür für die Glaubwürdigkeit von Menschen und Geschichten. Es gilt das Vier-Augen-Prinzip. Wenn Zweifel bestehen, muss das von der Qualitätsprüfung erkannt werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview erschien zuerst in der pro-Ausgabe 4/2017. Das und noch viel mehr können Sie in der vierten Ausgabe dieses Jahres im Christlichen Medienmagazin pro lesen. Bestellen Sie sich Ihr Exemplar kostenlos und unverbindlich unter der Telefonnummer 06441/915151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online. (pro)

Von: Nicolai Franz

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