Keil zwischen Eltern und Kindern?

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) will Kinderrechte ins Grundgesetz aufnehmen. Die Journalistin Birgit Kelle hält das für ein Mittel zum Zweck, um Eltern nach und nach zu entmachten. pro hat beim Ministerium nachgefragt. Eine Analyse von Anna Lutz
Von Anna Lutz
Will Manuela Schwesig den Eltern die Erziehungshoheit über ihre Kinder nehmen? So lautet der Vorwurf der Journalistin Birgit Kelle.

Es ist eine Forderung, die harmlos klingt, und zu der wohl jeder ersteinmal freigiebig nicken kann: Ende März erklärten die SPD-Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, und Parteikollegin Manuela Schwesig in der Berliner Zeitung, Artikel sechs des Grundgesetzes solle um einen Absatz zu Kinderrechten erweitert werden. Lauten soll der so: „Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte und das Wohl des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen. Bei allem staatlichen Handeln, das Kinder betrifft, ist das Wohl des Kindes maßgeblich zu berücksichtigen. Jedes Kind hat vor einer staatlichen Entscheidung, die seine Rechte betrifft, bei der zuständigen Stelle einen Anspruch auf Gehör und auf Berücksichtigung seiner Meinung entsprechend seinem Alter und seiner Reife.“

Der Wunsch seitens der SPD ist nicht neu. Auch Prominente wie Schauspieler Matthias Schweighöfer und Hilfsorganisationen wie das Deutsche Kinderhilfswerk oder UNICEF unterstützen den Vorschlag. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hält es laut der Rheinischen Post von Dienstag für „ein wichtiges Symbol, Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern“. Doch so harmlos diese Idee klingen mag, es regt sich Protest dagegen. Die Journalistin und Buchautorin Birgit Kelle, selbst Mutter von vier Kindern, erklärte am Dienstag in der Zeitung Die Welt: Wer „Kinderrechte ins Grundgesetz“ fordere, habe anderes im Sinn, „als die Rechtslage oder den Schutz von Kindern zu verbessern, denn Kinder sind auch Menschen. Es existiert keine Altersgrenze für Grundrechte, ergo kein Handlungsbedarf.“

Im Zweifel auch gegen die Eltern

Kelle vermutet vielmehr, Ziel der Sozialdemokraten sei es, Eltern nach und nach die Erziehungshoheit über ihre Kinder zu nehmen. Der neue Artikel im Grundgestz stärke die Position des Staates gegenüber den Eltern. „Nicht mehr die Eltern allein, sondern der Staat selbst schwänge sich damit als Vertreter der Rechte unserer Kinder auf. Im Zweifel auch gegen die Eltern der Kinder, sollte der Staat eines Tages der Meinung sein, dass Eltern die Interessen ihrer Kinder nicht so vertreten, wie er es gerne hätte oder für richtig hält. Kinderrechte in der Verfassung taugen also im Ernstfall als handfester Keil zwischen Eltern und Kind“, schreibt sie. Das Instrument Kinderrechte schaffe in Wahrheit ein erweitertes Zugriffsrecht des Staates. Dass die Sozialdemokraten dies ohnehin im Sinne hätten, habe bereits die in ihren Reihen diskutierte Forderung nach einer Kitapflicht oder auch die Ablehnung und Verunglimpfung des Betreuungsgeldes als „Fernhalteprämie“ gezeigt.

Und wer noch einmal genau nachliest, kann tatsächlich auf die Idee kommen, dass Kelle Recht hat. Denn der Absatz, den Schwesig und Kraft ergänzen wollen, sagt unter anderem: „Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte und das Wohl des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen.“ Wer oder was die staatliche Gemeinschaft am Ende ganz konkret ist, dürfte der Rechtssprechung überlassen bleiben. Die Eltern sind damit zunächst nicht gemeint. So gelesen klingt der Satz wie ein Widerspruch zu Artikel 6.2. des Grundgesetzes, wo es jetzt schon heißt: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

Eltern bleiben Anwälte ihrer Kinder

Darauf angesprochen, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums am Donnerstag gegenüber pro, es gehe der SPD nicht um eine Änderung des „fein austarierten Verhältnisses von Eltern und Kindern“, das im Grundgesetz geregelt sei. „Eltern sind und bleiben die ersten und auch die wichtigsten Anwälte ihrer Kinder. Es liegt in allererster Linie in den Händen der Eltern, dass Kinder gut aufwachsen und dass es ihnen gut geht“, so das Ministerium weiter. Vielmehr verpflichte die Regelung den Staat, die Interessen von Kindern zu berücksichtigen: „Und zwar dort, wo sie abseits des Elternhauses dem Staat gegenübertreten.“ Die rechtlichen Schwellen für einen staatlichen Eingriff in Familien seien schon jetzt hoch, und, so versichert das Ministerium, „die werden durch eine Grundgesetzänderung nicht herabgesetzt“.

Bleibt die Frage, warum es gesonderte Kinderrechte geben muss, sind Kinder doch bereits wie jeder andere durch die Menschenrechte geschützt. Dazu erklärt eine Ministeriumssprecherin: „Kinder befinden sich in der Phase der Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Sie sind nicht gleich Erwachsenen. Für sie müssen während ihres Aufwachsens daher besondere Rechte gelten, die ihnen Schutz, Förderung und Teilhabe ermöglichen.“ So sollen Kinder zum Beispiel unabhängig von ihrem Alter selbst angehört werden, bevor der Staat in ihre Rechte eingreift – denkbar ist beispielsweise ein Interview, bevor Kinder aus Pflegefamilien genommen werden oder ähnliches. Je jünger das Kind ist, desto stärker würden bei solchen Gesprächen aber die Erziehungsberechtigten mit einbezogen.

Egal, ob man nun Kelles Kritik teilt, oder dem Ministerium Glauben schenkt: Eine Grundgesetzänderung ist derzeit in weiter Ferne. Dazu nämlich braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag. Die Union macht keinerlei Anstalten, die SPD in ihrem Anliegen zu unterstützen und hat sich schon außerhalb von Wahljahren gegen die Idee ausgesprochen. Wer also eine geplante Entmachtung der Eltern fürchtet, darf vorerst gelassen bleiben. Den Sozialdemokraten hingegen darf man zumindest vorwerfen, dass sie die Idee kurz vor der Bundestagswahl instrumentalisieren, um Wählerstimmen abzugreifen. Denn wer kann schon etwas gegen „Kinderrechte im Grundgesetz“ haben, solange er sich nicht näher damit beschäftigt? (pro)

Von: al

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