Suizide dürfen kein Tabuthema sein

In Deutschland bringen sich jährlich rund 10.000 Menschen um. Somit ist diese Zahl höher als die der Toten durch Verkehrsunfälle, Gewalt und Drogen. Eine interfraktionelle Gruppe von Bundestagsabgeordneten macht sich nun dafür stark, damit das Thema nicht länger ein Tabu bleibt.
Von PRO
Fordert in einem interfraktionellen Antrag, dass sich die Politik mehr mit dem Thema Suizid befasst: die Grünen-Politikerin Maria Klein-Schmeink
Die Suizidraten in Deutschland steigen. Eine interfraktionelle Gruppe von Politikern im Bundestag möchte dem entgegenwirken. Dirk Heidenblut (SPD), Birgit Wöllert (Linke) und Maria Klein-Schmeink (Grüne) wollen die Prävention verbessern und fordern weitere Hilfsangebote, damit Betroffene in einer Krise schneller Unterstützung finden. Klein-Schmeink bemängelte, dass das Thema in der Gesellschaft noch immer tabuisiert werde. Die Politiker schreiben in ihrer gemeinsamen Erklärung: „Menschen in scheinbar ausweglosen Krisensituationen dürfen nicht allein gelassen werden.“ Für Heidenblut ist die hohe Suizidrate im Alter bedenklich. Hier gelte es, über Maßnahmen im Hospiz- und Palliativgesetz dringend zu handeln. Der Sozialdemokrat fordert zudem mehr Inhalte zum Erkennen einer Suizidgefährdung einer Person sowie Prophylaxe in der Ausbildung für Gesundheitsberufe.

Altere Männer und jüngere Frauen sind gefährdet

Die Linken-Politikerin Wöllert möchte Menschen in Krisensituationen Hilfe und Beistand anbieten. Es brauche daher „vielfältige Beratungs-, Unterstützungs- und Begleitangebote“ sowie ein „gesellschaftliches Umfeld, das Menschen so akzeptiert wie sie sind, mit all ihren Schwächen und Stärken. Die Weltgesundheitsorganisation mahnt, dass von einem Suizid im Schnitt mehr als sechs Personen betroffen sind. Zwei von drei Suiziden werden dabei in Deutschland von Männern verübt. Vor allem ältere Männer und jüngere Frauen seien gefährdet. In dem Antrag ist davon die Rede, dass rund 30 Prozent der statistisch erfassten Selbstmorde von Menschen über 65 Jahren verübt werden. Dies sei oft auf fehlende soziale Kontakte, Pflegebedürftigkeit, aber auch Altersarmut zurückzuführen. Der Antrag sieht vor, dass sich mit Beratung und Unterstützung neue Perspektiven und Alternativen zum Suizid ergeben könnten.

Suizid-Gerüchte über paralympische Sportlerin

Für Schlagzeilen sorgte am Wochenende ein Bericht in der Welt am Sonntag über Marieke Vervoort. Über die belgische Handbikerin kursierte das Gerücht, dass sie sich nach den Paralympischen Spielen in Rio umbringen wolle. An Gott glaubt die Sportlerin, die sich eher dem Buddhismus verbunden fühlt, nicht mehr: „Er müsste ein verrückter Mann sein, dass er Menschen wie mich so leiden lässt“, sagt die 37-Jährige. Vervoort ist durch eine seltene Erkrankung auf den Rollstuhl angewiesen. Ein Interview mit ihr, in dem es auch um das Thema Sterbehilfe ging, hatten die Medien aufgebauscht: „Sportlerin will nach Paralympics sterben“, war in den Zeitungen zu lesen. Die reißerische Überschrift habe ein mediales Spektakel verursacht, auf das sie gerne verzichtet hätte. Sie möchte weiterleben, allerdings mit der Gewissheit, dass sie im Zweifel aktive Sterbehilfe beanspruchen kann. In dem Artikel berichtet sie von Qualen, die sie durch ihre Krankheit erlebt. Sie leidet an einer „neuromuskulären Erkrankung, ausgelöst durch eine unerklärliche Deformation des fünften und sechsten Halswirbels“. Die Leidensgeschichte begann mit 14 Jahren. Ihre verformten Beine kann sie seit dem 20. Lebensjahr nicht mehr bewegen.

Nicht mehr leiden

Sie ließ suchte ihr Heil im Sport. Die Handbikerin wurde bereits zwei Mal Triathlon-Weltmeisterin und hält etliche Weltrekorde. Die extremen Muskelkrämpfe führten immer wieder zu unerträglichen Schmerzen und Suizid-Gedanken. Seit Sommer 2008 hat sie das beglaubigte Papier zur Sterbehilfe. Dieses wird dann gewährt, „wenn sich der Patient in einer medizinisch aussichtslosen Situation befindet und sich auf eine anhaltende, unerträgliche körperliche oder psychische Qual berufen kann“. Für Vervoort ist dies ein Schritt, die Kontrolle über ihren Körper zurück zu gewinnen. Es bedeute die „Sicherheit, dass es wirklich funktioniert, wenn ich Schluss machen möchte“. Für den Fall der Fälle hat sie alles vorbereitet. Für sie würde sich dann der Traum erfüllen, „dass ich nun nicht mehr leiden muss“. Der Suizid bleibt ihr etzter Ausweg. Um auf die weitgehend verdrängte Problematik der Suizidalität aufmerksam zu machen, wird jedes Jahr am 10. September der Welttag der Suizidprävention veranstaltet.(pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/wuerdevolles-sterben-ermoeglichen-94934/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/60-jahre-telefonseelsorge-mit-worten-helfen-96925/
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