Staatsministerin Grütters: „Demokratie braucht barmherzige Menschen“

Monika Grütters (CDU) ist Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und engagiert sich im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Im pro-Interview erklärt sie, was sie mit dem Motto des Katholikentages verbindet, und was Christen zur Integration von Migranten beitragen können.
Von PRO
Für Staatsministerin Monika Grütters (CDU) ist die Bibel eine wichtige Grundlage für das menschliche Miteinander – besonders auch im Umgang mit anderen Religionen

pro: Das Leitwort des Katholikentages lautet „Seht, da ist der Mensch“. Was bedeutet das für Sie?

Monika Grütters: „Seht, da ist der Mensch“ – in seiner ganzen Größe, aber auch schwach und in der Not. Wie viele Menschen, die zur Zeit versuchen, trotz Lebensgefahr zu uns zu kommen. Ist es nicht paradox, dass der Papst das Jahr 2016 zum Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat und gleichzeitig eine Mehrheit der EU-Länder sich weigert, Kriegsflüchtlingen einen sicheren Zufluchtsort zu bieten?

Was verstehen Sie unter Barmherzigkeit?

Ein barmherziger Mensch kann sich einfühlen, kann verzeihen. Eigenschaften, die Voraussetzung sind für Verständigung und Toleranz, und damit auch für das Funktionieren unserer Demokratie. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, in der wir – gerade in den großen Städten und Ballungsräumen – tagtäglich konfrontiert werden mit Lebensweisen, die uns fremd sind, mit Meinungen und Weltanschauungen, die wir nicht teilen, mit kulturellen Eigenheiten, die wir nicht verstehen, vielleicht sogar ablehnen. Es ist eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften, das Gemeinsame über das Trennende stellen zu können – das Menschliche über die Unterscheidung zwischen gläubig und ungläubig, zwischen deutsch und nicht-deutsch, zwischen weiblich und männlich, zwischen muslimisch und christlich. Barmherzigkeit ist die Fähigkeit, auch im Fremden den Nächsten zu sehen – und es ist nicht zuletzt diese Fähigkeit, die es braucht, um unsere Demokratie gegen ihre Feinde, gegen religiöse Fundamentalisten und politische Extremisten zu verteidigen.

Was kann die Kirche gegen die Verrohung unserer Kultur in den Sozialen Medien und öffentlichen Debatten tun?

Christen können und sollten selbstbewusst für unsere demokratischen Werte eintreten. Wir sollten den Mut haben, uns auch unter Andersdenkenden öffentlich zu christlichen Werten und Überzeugungen zu bekennen. Ich jedenfalls hoffe, gerade auch im Hinblick auf die großen Herausforderungen unserer Zeit, dass Kirche, Religion und christlicher Glauben in unserer säkularen Kultur wieder mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfahren.

Welche Rolle kommt der Kirche als Vermittlerin gerade dieser Werte, von Bildung und Kultur zu, auch angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation?

Die christlichen Kirchen gehören zu den zentralen Akteuren des kulturellen Lebens in Deutschland. Ein wesentlicher Bereich der praktischen Arbeit von Christen in allen Kirchen ist die Auseinandersetzung mit gegenwärtig verstärkten Migrationsbewegungen. Ich nehme diese Entwicklungen nicht nur als kulturelle und soziale Probleme wahr, sondern auch und vor allem als Bereicherung und Öffnung des Horizonts. Gegen die in Teilen der Gesellschaft sichtbaren Ressentiments und Gewalttaten gegenüber als „fremd“ Stigmatisierten müssen wir als Christen Stellung beziehen und Ängsten entgegenwirken, in Pfarrgemeinden, Verbänden und Organisationen.

Inwiefern ist die christliche Basis unserer Kultur ein Ausgangspunkt für den von Ihnen angesprochenen Dialog?

Unsere europäische Kultur ist wesentlich durch christliche Traditionen geprägt. Die Bibel ist ein Nebeneinander von als heilig geltenden, einander aber durchaus auch widersprechenden Texten. In unserer jüdisch-christlichen Tradition ist diese Vielstimmigkeit eine dauerhaft wirksame Provokation gewesen, und sie ist es bis heute. Eine von ihr geprägte Kultur ist daher vielstimmig und offen in Wort und Tat. Ich sehe diese biblische Tradition des fruchtbaren Dialogs als Einladung, sich frei und offen mit anderen Kulturen und Religionen auseinanderzusetzen. Gleichzeitig betrachte ich die biblische Überlieferung als identitätsstiftende, tragfähige Grundlage der interreligiösen und interkulturellen Dialoge. Voraussetzung dafür ist es, dass alle Beteiligten ein stabiles Bewusstsein für die Herkunft aus der je eigenen Kultur haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Norbert Schäfer. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/medien/internet/detailansicht/aktuell/vor-dem-katholikentag-das-sagen-promis-zum-glauben-95037/
https://www.pro-medienmagazin.de/politik/detailansicht/aktuell/kirchentag-und-katholikentag-uneins-im-umgang-mit-afd-96059/
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/veranstaltungen/detailansicht/aktuell/staatsministerin-kirche-und-kunst-lenken-blick-ueber-vordergruendiges-93941/
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