Nahles: „Christin – und deshalb links

Mit ihrem neuen Buch will SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles erklären, was ihr wichtig ist – so zumindest verspricht es der Untertitel von "Frau, gläubig, links". Tatsächlich verliert sie sich bei ihren Abhandlungen über Demokratie und Freiheit oft in politischem Einheitsbrei. Überraschend ist dennoch die Tatsache, dass sie sich offen zu ihrem katholischen Glauben bekennt.

Von PRO

Andrea Nahles ist links, weil sie Christin ist. Andrea Nahles gehört nicht zur traditionellen Linken, weil sie Christin ist. Klingt kompliziert, scheint aber so zu sein, glaubt man dem Bekenntnis der 39-Jährigen in ihrem neuen Buch "Frau, gläubig, links. Was mir wichtig ist". Gläubig und links sei sie – in dieser Reihenfolge und danach habe sie auch ihr parteiliches Engagement ausgerichtet. "Ich entschied mich für die Partei, bei der ich die größte Schnittmenge im Hinblick auf mein Wertesystem sah. Das war die SPD – eine christliche Grundhaltung führt schließlich keineswegs dazu, dass man sich bei der CDU verorten muss", schreibt Nahles.

Nicht typisch links

Dabei mag man Nahles wohl eher nicht als regelmäßige Kirchgängerin einsortiert haben – zumindest nicht bis zum Mai 2009. Damals setzte sich die SPD-Politikerin für eine Gesetzesinitiative zur verpflichtenden Beratung von Schwangeren, deren Kind als schwerbehindert diagnostiziert wird, ein. Bevor eine Abtreibung überhaupt gestattet wäre, hätten sich die werdenden Mütter in psychosoziale Betreuung begeben müssen. Nach der Beratung erst sollten sie die Entscheidung für oder wider Geburt treffen dürfen. Zudem wollte Nahles eine verpflichtende Drei-Tages-Frist zwischen Diagnose und Spätabtreibung einführen. "Das sorgte für Aufregung", blickt Nahles zurück. Ihr Verhalten entsprach wohl nicht dem, was viele als "typisch links" verbuchen.

"Ich denke sozial, bin links – und trotzdem musste ich feststellen, dass es einen Bereich des Politischen gibt, in dem es nicht möglich ist, mein Denken mit der Mehrheitsmeinung in meiner Partei in Einklang zu bringen", schreibt die Eiflerin. Das rühre aus ihrer Erziehung und aus ihrem Glauben an Gott. Nicht umsonst heißt sie mit zweitem Vornamen Maria – Nahles stammt aus einer christlichen Familie, war Messdienerin und trug die katholische Missionszeitschrift "missio" aus. Später wurde sie Ministrantin und trifft sich noch heute regelmäßig mit den Mitgliedern ihres ehemaligen ökumenischen Jugendgesprächskreises.

"Kein Himmelreich auf Erden"

"Mit keiner Person in der Geschichte habe ich mich so intensiv auseinandergesetzt wie mit Jesus Christus." Ihre Suche nach dem Sinn des Lebens habe sie immer wieder zu Gott geführt. "Es ist nicht leicht, Christus nachzufolgen, er ist kompromisslos anspruchsvoll. Und er ist radikal, was die Frage der Gerechtigkeit angeht." Aus diesem Gerechtigkeitssinn, so wird im Buch klar, leitet Nahles ihre linkspolitische Haltung ab. Christlich begründet sei ihr Engagement für die Würde jedes Einzelnen, für die Schwachen.

Was das in Politik umgesetzt für sie bedeutet, wird allen, die es noch nicht wussten, spätestens beim Lesen des Buches klar: Nahles ist für den Schutz der Privatsphäre, sie ist für den Mindestlohn, sie ist für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eine perfekte Gesellschaft sehnt sie dennoch nicht herbei. "Der Anspruch, ein Himmelreich auf Erden, ein perfektes Gemeinwesen und einen perfekten Menschen zu erschaffen, hat in seiner Absolutheit etwas Totalitäres. Aus gutem Grund bin ich Sozialdemokratin und nicht Kommunistin."

"Mach es wie Jesus – werde Mensch!"

Andrea Nahles gilt als ruppig und herrisch – mit ihrem Buch bemüht sie sich, dieses Image von sich zu weisen, wenn auch nicht zu weit weg. "Mach es wie Jesus, werde Mensch!", sei ihr Motto. Das sei der Kerngedanke des christlichen Glaubens, der ohne Gemeinschaft nicht funktioniere. Eine Episode aus ihrer Jugend mag verdeutlichen, warum ihr dennoch das Image der toughen Sozialistin anhängt: Anfang der 80er Jahre besuchte Weihbischof Leo Schwarz ihr Heimatdorf Weiler. Als Messdienerin war die junge Nahles für die Begrüßung des Geistlichen zuständig. Der Küster schrieb ihr vor, den Bischof mit "hochwürdige Exzellenz" anzusprechen. Ihr Vater aber insistierte schon im Vorfeld: "Gebuckelt wird bei uns nicht! Du sagst: Lieber Herr Weihbischof – das reicht vollkommen." Nahles tat wie ihr geheißen, der Weihbischof akzeptierte das Fitzelchen Aufstand kommentarlos und die künftige Politikerin hatte etwas gelernt: Zu tief muss man sich auch vor Autoritäten nicht beugen.

Neben solch aufschlussreichen Szenen verliert sich Nahles Buch jedoch weitgehend in einem politischen Protokollstil. Schon vor Herausgabe des Werks am 11. Dezember wurde bekannt, dass Nahles keinen Ghostwriter engagiert, sondern alle 238 Seiten selbst verfasst hatte. Den zahlreichen negativen Rezensionen, die auf die Veröffentlichung folgten, lässt sich vor allem eine hämische Bemerkung entnehmen: Hätte sie es doch besser getan. Anders als der Titel es verspricht, gibt Nahles wenig von sich selbst preis. Worauf schon die Kapitelüberschriften (Für eine Kultur des Zweifels, Freiheit und Verantwortung, die gute Gesellschaft) und die Tatsache, dass Nahles an vielen Stellen im Fließtext gar mit Spiegelstrichen arbeitet, schließen lassen, bestätigt, was Kritiker bemängeln: Ihr Buch liest sich wie ein personalisiertes Wahlprogramm. 

Und dennoch, die wenigen persönlichen Passagen lassen besonders Christen aufhorchen und offenbaren Ungeahntes. Etwa wenn Nahles schreibt: "Ich bin keineswegs der Meinung, das Christentum sei der einzige Weg zu einem erfüllten Leben. Aber für mich persönlich ist es eine wichtige Stütze, eine große Kraft. Mein Lebensoptimismus speist sich aus der Grundüberzeugung, dass es einen Gott gibt, der so verrückt ist, freiwillig Mensch geworden zu sein." (pro)

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