Pokémon Go: Schnitzeljagd mit Taschenmonstern

Ob auf der Straße oder in den Parks: Überall spielen die Menschen das neue Smartphone-Spiel Pokémon Go. Hierbei verschmelzen reale und virtuelle Welt. Für Kirchen bietet das Spiel Chancen.
Von PRO
Der pro-Redakteur auf der Jagd nach Pokémons: Jetzt nur noch den Ball vom unteren Ende des Displays auf die Figur werfen – und schon hat er sie.
Wie ein leichter Stromschlag trifft den Spieler der Vibrationsalarm des Smartphones in seiner Hand: Da sitzt ein Monster, bedeutet das Signal. Am Wegesrand kann der Spieler es durch seine Smartphone-Kamera mit der geöffneten Pokémon-Go-App sehen. Es ist ein „Taubsi“ und sieht aus wie ein kleiner brauner Vogel. Mit einer gezielten Fingerbewegung auf dem Bildschirm des Smartphones feuert der Spieler einen seiner weiß-roten Bälle ab. Der erste Wurf sitzt, der Ball fängt das Monster. Je mehr der Spieler von diesen Tierchen eingefangen hat, desto besser. Das Spiel ist ein neuer Trend, in rasender Geschwindigkeit hat er sich auch dank der medialen Aufmerksamkeit ausgebreitet. Menschen laden sich die Spiele-App Pokémon Go auf ihr Handy und gehen auf Monsterjagd. Ziel des Spiels ist es, so viele der über hundert verschiedenen Monster wie möglich zu sammeln. Die Pokémon können trainiert und hochgepäppelt werden. In Arenen treten sie gegen die Figuren anderer Spieler an. Teams können gegründet, Arenen erobert werden. Das Besondere ist, dass die Spieler das Computerspiel nicht zu Hause, sondern auf der Straße und in der Natur spielen. Denn mittels der Kamera am Smartphone erscheint das virtuelle Tierchen quasi in der realen Umgebung.

Nintendo verdoppelt Börsenwert

Seit dem 5. Juli kann die Pokémon-Go-App heruntergeladen werden, seit dem 13. Juli auch offiziell in Deutschland. Nach drei Wochen gab es schon über 75 Millionen Downloads. Der Börsenwert der japanischen Herstellerfirma Nintendo, die das Spiel bei der US-Entwicklerfirma Niantic Labs in Auftrag gab, hat sich in kürzester Zeit nahezu verdoppelt. Eine einzige Smartphone-App hat aus dem seit Jahren angeschlagenen Unternehmen wieder einen Riesen im digitalen Spielegeschäft gemacht. Mit technischen Spiele-Innovationen wie dem GameBoy, dem Super Nintendo oder der Wii hatte sich Nintendo immer wieder neu erfunden, litt aber gerade in den vergangenen Jahren an Ideenarmut und einbrechenden Verkaufszahlen. Im Jahr 1996 erfand die Firma die kleinen Monster, die sie Pokémon nannte und als GameBoy-Spiel herausbrachte. Der Name ist eine Verschmelzung aus den beiden englischen Wörtern „Pocket“ und „Monster“. Diesen Taschenmonstern ist es ein inneres Bedürfnis, im Wettstreit gegeneinander anzutreten. Der Spieler wiederum fängt die Monster als Pokémon-Jäger mit Hilfe von weiß-roten Bällen. Auf mehr als 700 verschiedene Figuren ist das Pokémon-Universum mittlerweile angewachsen. Es gibt die bunten Tierchen jenseits des Smartphone-Spiels in jeder erdenklichen Form – als Sammelkarten, Regenschirme oder Speiseeis.

Nebenbei die Welt entdecken

Die Popularität des Spiels hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen: Zum einen ist da die Nostalgie der Pokémon-Fans. Eine ganze Generation heutiger junger Erwachsener wuchs mit den kleinen Monstern auf. Und im aktuellen Retro-Jahrzehnt, wo Neunzigerjahre-Partys gefeiert und Hörspiele wie „Die drei ???“ auf großer Bühne vor Tausenden von Zuhörern wiederentdeckt werden, passt diese Nostalgie sehr gut ins Bild. Das innovative Spielkonzept, bei dem die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt verwischen, stellt aber einen noch größeren Anreiz dar. Auf dem Bildschirm des Smartphones tauchen die Monster so auf, als gäbe es sie in der Realität. Die wirkliche Welt mit digital generierten Zusatzobjekten anzureichern, nennen Spiele-Experten „Augmented Reality“ (Angereicherte Realität). Dank hochentwickelter Smartphones, die mit GPS-Signal, Google Maps und Kamera ausgestattet sind, kann Pokémon Go deswegen überall gespielt werden. Pokémon Go setzt auf den Entdeckungsdrang der Menschen. Denn an jedem beliebigen Ort – hinter einem Baum, auf dem Bürgersteig oder auch auf einem Denkmal – kann ein Monster auftauchen. „Das Spiel lenkt die Aufmerksamkeit auf bedeutende Details in unserer Umgebung“, meint Thomas Dörken-Kucharz, Medienexperte der Evangelischen Kirche in Deutschland, der auch im Beirat der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) sitzt. Im Interview des Evangelischen Pressedienstes sagte er, für Jugendliche sei das Spiel ein Segen, weil sie so Kirchen, Grabstätten berühmter Persönlichkeiten oder auch Mahnmale zum ersten Mal in ihren Leben wahrnähmen. Denn bei Pokémon Go sind gezielt Sehenswürdigkeiten als sogenannte PokéStops ausgewiesen. In diesen virtuellen Läden können Spieler zum Beispiel ihren Bälle-Vorrat auffüllen oder andere wichtige Gegenstände wie Lockmittel oder Brutstätten – teilweise gegen Geld – erhalten. Je länger ein Spieler Pokémon Go spielt, desto notwendiger werden kostenpflichtige Hilfsgegenstände. Daran verdient die Firma Nintendo bei dem eigentlich kostenlosen Spiel.

Pokémons vor der Kirchentür

Ob die Spieler beim Aufrüsten oder Fangen tatsächlich einen Sinn für die Besonderheiten ihrer Umgebung entwickeln, steht infrage. Trotzdem können Kirchen die Begeisterung um das Spiel nutzen. Wie die Internetseite Christian Daily berichtet, gibt es schon Bestrebungen, nicht-gläubige Pokémon-Go-Spieler an und in Kirchen mit Snacks zu empfangen. Viele Übungsarenen oder PokéStops im Pokémon-Universum sind nämlich bei Kirchen eingerichtet. So könnten Menschen erreicht werden, die jahrelang nicht mehr in die Nähe einer Kirche gekommen sind. „Ob die Kirchengemeinden davon profitieren oder nicht, liegt auch an ihnen selbst“, sagt Dörken-Kucharz. Der Theologe und Medienexperte empfiehlt, sich selbst mit dem Spiel vertraut zu machen. Mit Tipps für die besten Pokémon-Go-Orte komme man leichter ins Gespräch. Gerade für Eltern ist die Smartphone-App insoweit nützlich, als dass die zu Hause zockenden Kinder nun endlich mal freiwillig an die frische Luft gehen. Denn es ist nicht möglich, das Spiel im Haus zu spielen, weil die Monster, PokéStops und Trainingsarenen draußen verteilt sind. Der Pokémon-Go-Spieler ist somit das positive Gegenstück zum Klischee des sich tagelang mit Pizza im Keller verschanzenden Computer-Nerds.

Monsterjagd mit Suchtfaktor

Die Gefahr, mehr auf das Smartphone als auf den Weg oder den Straßenverkehr zu achten, ist dabei allerdings durchaus gegeben. Es kam schon zu Unfällen, weil Pokémon-Go-Spieler Hindernisse, Autos und andere Verkehrsteilnehmer übersahen. Polizei und ADAC warnten vor Kurzem davor, dass Bürger durch die Monstersuche vom Straßenverkehr abgelenkt werden könnten. Der Staat Israel forderte seine Botschafts-Mitarbeiter und Soldaten dazu auf, Pokémon Go aus Sicherheitsgründen nicht am Arbeitsplatz zu spielen. Ein hochrangiger islamischer Gelehrter hält die Smartphone-App gar für eine Sünde: Nach Ansicht von Abbas Schuman, Vize-Scheich von Al-Azhar, einer der wichtigsten islamisch-wissenschftlichen Institutionen in Ägypten, habe Pokémon Go einen genauso schlechten Einfluss auf die Menschen wie Alkohol. Es mache abhängig und könne dem öffentlichen Leben schaden. Wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtet, haben sich in einer kleinen Stadt in der Lüneburger Heide drei Pokémon-Go-Spieler auf ein Übungsgelände des Militärs verirrt, wo mit scharfer Munition geschossen wurde. Ein Wachdienst konnte die drei Spieler, die in ihre Smartphones vertieft waren, noch rechtzeitig aufgreifen. „Jedes gute Spiel hat Suchtpotenzial, oder es ist nicht gut“, meint dazu Medienexperte Dörken-Kucharz. Immerhin werde die Sucht draußen und in Bewegung gelebt. Er glaubt, dass sich nach dem ersten Hype alles auf einem normalen Level einpendeln werde. Datenschützer sehen die App kritisch. Das Spiel könnte von der Herstellerfirma Nintendo dafür benutzt werden, Bewegungsprofile der Menschen aufzuzeichnen. Immerhin kann sich nur der anmelden, der ein Google-Konto als Identifikation angeben kann. Auch wird direkt bei der Anmeldung nach einer gewünschten Bezahlmethode gefragt. Die Spiele-App ist überdies ein intensiver Akku-Verbraucher. Es bleibt festzuhalten, dass die Smartphone-App Pokémon Go durchaus positive Faktoren mit sich bringt: Sie lädt die Menschen dazu ein, wieder mehr miteinander zu spielen und sich dabei an der frischen Luft zu bewegen. Wie das Beispiel der drei Spieler in der Lüneburger Heide zeigt, braucht es aber einen verantwortungsvollen Umgang. Das gilt vor allem auch für die Themen Datensicherheit, Suchtfaktor und zusätzliche Kosten. (pro)

Dieser Artikel stammt aus der neuen Ausgabe 4/2016 des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie pro kostenlos unter der Telefonnummer 06441/915151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.

https://www.pro-medienmagazin.de/medien/internet/detailansicht/aktuell/pokemon-go-hype-was-jeder-wissen-sollte-96882/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/weltweit/detailansicht/aktuell/pokemon-jagd-bereitet-weg-zur-lebenswende-97148/
https://www.pro-medienmagazin.de/journalismus/detailansicht/aktuell/pokemon-go-fuer-journalisten-97170/
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