Physiker wünscht sich Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft
Der Leiter des Nuklearforschungszentrums CERN in Genf, Rolf-Dieter Heuer, ist überzeugt, dass ein Dialog zwischen Philosophie und Theologie einerseits und Naturwissenschaft andererseits fruchtbar sei. Diese Ansicht vertritt der Physiker gegenüber dem Online-Magazin "The European".
Von PRO
Foto: CERN / Lucas Taylor
Im weltgrößten Teilchenbeschleuniger "Large Hadron Collider" (LHC) des CERN erforschen über 3.000 Wissenschaftler aus der ganzen Welt nichts Geringeres als die Grenzen der Physik. Denn es könnte das "Higgs-Teilchen" gefunden werden, ein wichtiger Puzzlestein des Bildes von der Materie und von der Entstehung des Universums. Daher sprechen viele auch vom "Gottesteilchen".
Das derzeitige Standardmodell der Teilchenphysik beschreibe den Mikrokosmos, die Materieteilchen und die Kräfte, die zwischen ihnen wirken, so Heuer. "Aber uns fehlt immer noch der Grundbaustein, der erklärt, wie die Elementarteilchen ihre Masse erhalten." Ihn fasziniere an seinem Forschungsgebiet, dass es sich mit Fragen beschäftige, "die seit dem Anbeginn der Menschheit gestellt werden… Womit hat alles angefangen? Wie hat sich das Universum entwickelt? Dieser Wissensdrang unterscheidet uns von anderen Lebewesen." Wer nachts in den Himmel schaue, könne gar nicht anders, als Fragen zum Sein und zur Existenz zu stellen.
Die Schnittstelle zwischen Wissen und Glauben
Den Begriff "Gottesteilchen" lehnen viele Wissenschaftler ab. "Er ist zu plakativ und irreführend", so Heuer. "Das ‚Higgs-Boson‘ ist ein zentraler Baustein des Standardmodells, ohne den die Theorie nicht funktioniert. Aber nichts daran ist überirdisch. Ich glaube, der Name dient vor allem als Publicity-Instrument, um die Aufmerksamkeit von Journalisten zu erregen."
Zur Verbindung von Wissenschaft und Religion sagt Heuer: "Wir trennen Wissen und Glauben. Teilchenphysik beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Dinge entwickeln. Religion und Philosophie fragen, warum sich etwas entwickelt. Die Grenze zwischen diesen beiden Ansätzen ist allerdings sehr interessant. Ich nenne das die Schnittstelle des Wissens. Wir stellen uns Fragen: Falls es den Urknall gab, warum gab es ihn? Für uns Physiker beginnt die Zeit mit dem Urknall. Doch was war davor? Und falls es ein ‚Davor‘ gibt, was war wiederum davor? Das sind Fragen, bei denen die Wissenschaft an ihre Grenzen stößt und der Glaube wichtig wird."
Auf die Frage, was der Unterschied zwischen Glaube und Wissen sei, antwortet der Physiker: "Wissen ist etwas, das Sie zumindest teilweise beweisen können. Glaube oder philosophische Argumente können Sie nicht durch Experimente überprüfen." Er fügt hinzu: "An ihren äußeren Grenzen verbindet sich die Physik mit der Philosophie." Auf dem Gebiet der Teilchenphysik gehe es aber nicht wirklich um Fragen des "Glaubens", sondern darum, Schlüsse aus experimentellen Daten oder aus bestehenden Theorien abzuleiten. "Sobald Sie etwas beweisen können, ist das keine Frage der Philosophie mehr."
Er bezweifle, dass die Menschen je erfahren können, was vor dem Urknall war. Er sage nicht, dass davor nichts war, sondern nur, "dass wir nicht wissen, was davor war – falls es ein ‚Davor‘ gab". Heuer weiter: "Hier befinden wir uns an der Schnittstelle zwischen Wissen und Glauben. Viele bekannte Wissenschaftler haben sich damit intensiv beschäftigt und auch heute machen wir uns Gedanken über diese Probleme."
Heuer ist von der Bedeutung beider Disziplinen, Physik und Philosophie, überzeugt. "Wir Wissenschaftler neigen dazu, diese Dinge nicht besonders oft zu diskutieren. Aber je mehr wir uns mit den Anfängen des Universums beschäftigen, desto mehr versuchen die Menschen, Wissenschaft und Philosophie zu verbinden. Das begrüße ich. Wir beißen uns an Fragen zu den Grenzen des Wissens die Zähne aus – vielleicht geht es der Philosophie oder der Theologie genauso im Bezug auf wissenschaftliche Fragen. Ich glaube daher, dass es wichtig ist, einen konstruktiven Dialog zu etablieren. Wir versuchen das momentan mit einer Reihe von Workshops und Seminaren. Ich hoffe, dass wir uns zumindest darauf verständigen können, welche Probleme vor uns liegen." (pro)
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