Pakistan: Junge Christin wird freigelassen

Nach mehr als drei Wochen Haft ist ein geistig behindertes christliches Mädchen in Pakistan wieder freigelassen worden. Ein Imam hatte ihr vorgeworfen, Koranseiten verbrannt zu haben. Um sie vor radikalen Muslimen zu schützen, haben die Behörden sie mit ihrer Familie an einem geheimen Ort versteckt.
Von PRO

Das Mädchen ist am Samstag gegen eine Kaution von umgerechnet 8.500 Euro freigelassen worden. Um sie vor der Rache von aufgebrachten Islamisten zu schützen, habe sie das Gefängnis in einem gepanzerten Fahrzeug verlassen und sei mit einem Hubschrauber an einen geheimen Ort gebracht und dort mit ihrer Familie zusammengeführt worden, berichtet die Deutsche Presseagentur (dpa).

Ob sich Rimsha Masih noch einmal vor Gericht verantworten muss, stehe jedoch erst fest, wenn die Untersuchungen abgeschlossen sind, berichtet die englische Zeitung "The Guardian". Ein Urteil zum Vorwurf der Gotteslästerung wurde nicht gesprochen – ein Vorwurf, der in dem mehrheitlich muslimischen Pakistan selbst bei einem Freispruch tödlich sein kann. Wann das Gericht über eine Schuldfrage entscheidet, ist nicht bekannt.

Nach Angaben der katholischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden (NCJP) wurden seit Einführung des Blasphemie-Gesetzes unter Militärdiktator Muhammad Zia ul-Haq 1986 mehr als 1200 Anklagen wegen Gotteslästerung erhoben. Etwa die Hälfte der Beschuldigten gehörte religiösen Minderheiten an – obwohl Aleviten, Christen und Hindus zusammen weniger als fünf Prozent der Landesbevölkerung stellen.

Zwar wurden nur wenige Angeklagte tatsächlich verurteilt. Auch wurde die Todesstrafe, die laut Gesetz bei der Schändung des Namens des Propheten Mohammed droht, nie vollstreckt. Doch NCJP zählte bislang fast 40 Fälle, bei denen Angeklagte nach einem Freispruch von aufgebrachten Extremisten gelyncht wurden.

Das Gesetz lädt zum Missbrauch geradezu ein. In Pakistan gibt es kaum eine einfachere Möglichkeit, missliebige Kontrahenten aus dem Verkehr zu ziehen, als ihnen Gotteslästerung anzuhängen. So könnte es auch in Rimshas Fall gewesen sein. Dem festgenommenen Imam wird vorgeworfen, verbrannte Koran-Seiten in die Tasche des Mädchens gesteckt zu haben, um Christen aus der Gegend zu vertreiben.

Die Polizei hatte das Mädchen inhaftiert, nachdem Zeugen beobachtet haben wollen, wie es am 16. August verbrannte Koranseiten mit sich herumgetragen beziehungsweise entsorgt hatte. Nach Polizeiangaben hat Masih das Down-Syndrom (Trisomie 21), Ärzte sprechen von einer "Lernbehinderung". Über ihr Alter gibt es keine klare Auskunft: Die Angaben schwanken zwischen 11 und 16 Jahren. Sie entstammt einer christlichen Familie aus dem Armenviertel Meherabadi in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad.

Zweifelhafte Anklage

Am vergangenen Samstag hatte der Fall eine Wende genommen: Die pakistanische Polizei inhaftierte den islamischen Geistlichen Hafis Mohammed Khalid Chishti. Er soll Masih die verbrannten Koranseiten in die Einkaufstasche geschmuggelt und sie anschließend der Koranschändung bezichtigt haben. Ein Richter ordnete tags darauf an, den Imam zunächst zwei Wochen lang in Haft zu nehmen. Der Geistliche weist die Vorwürfe zurück.

Der Fall hatte zu Unruhen zwischen Muslimen und Christen geführt. Wie "The Guardian" berichtet, habe Chishti Muslime gegen Christen aufgestachelt, indem er die verbrannten Koranseiten beim Abendgebet gezeigt hatte. Anschließend ist es zu wütenden Demonstrationen der Muslime gegen die Christen gekommen. Aus Angst vor Racheakten flohen Christen aus dem Viertel.

Der Fall hatte die internationale Aufmerksamkeit auf Pakistans umstrittene Blasphemie-Gesetze gelenkt, die in ihrer jetzigen Form seit 1986 gelten. Demnach ist bei Koranschändung eine lebenslange Haft möglich, bei Beleidigung des Propheten Mohammed die Todesstrafe. Christen werden überproportional oft angeklagt.

Trotz des offenkundigen Missbrauchs sorgt auch der Fall Rimsha nicht für politische Bestrebungen, das Blasphemie-Gesetz zu ändern – von einer Aufhebung ganz zu schweigen. Selbst der christliche Staatsminister für interreligiöse Harmonie, Akram Gill, sagt zwar: "Religiöse Minderheiten, darunter Christen, fühlen sich durch den
grassierenden Missbrauch des Blasphemie-Gesetzes bedroht." Zugleich betont er aber, die Regierung habe keinerlei Pläne, das Gesetz zu ändern – es müsse vielmehr darum gehen, Toleranz zu fördern.

Toleranz sei kein Wesenszug, der Befürwortern des Gesetzes eigen ist, schreibt die dpa. Die Extremisten bedienen sich eines Totschlagarguments: Weil das Gesetz ihrer Überzeugung nach von Gott selbst gemacht wurde, wäre jede Änderung Blasphemie – und damit eine Todsünde. Wie gefährlich Kritik an dem Gesetz ist, mussten im vergangenen Jahr zwei prominente Politiker erfahren. Der christliche Minister für Minderheiten, Shahbaz Bhatti, und der Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, wurden wegen ihrer Haltung ermordet. Taseers Mörder war einer seiner Leibwächter. Nicht nur Extremisten, sondern weite Teile der Bevölkerung feierten den Attentäter danach als Helden. (dpa/pro)

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