Familienberatung ohne Patentrezept

Der Alltag mit Kindern kann ziemlich anstrengend sein. Das brüllende Kleinkind in der Trotzphase zerrt genauso an den Nerven der Eltern wie die Null-Bock-Haltung des pubertierenden Teenagers. Wer sich dem nicht mehr gewachsen fühlt, kann in Beratungsstellen Hilfe bekommen – diese in Anspruch zu nehmen, ist keine Schande.
Von Christina Bachmann
Manchmal ist die Harmonie zwischen Kindern und Eltern gestört. Sich in extremen Situationen Hilfe zu holen, ist keine Schande.

Es fängt bei den Allerkleinsten an: Da gibt es Probleme beim Abstillen oder der Partner ist wenig begeistert davon, dass der Zweijährige noch mit im Elternbett schläft. Dann folgen die gefürchteten Trotzphasen in der Kitazeit. Ist das überstanden, stehen neue Herausforderungen an: Das Kind wird selbstständiger, kommt in die Schule, wird dort aber vielleicht gemobbt. In der Pubertät klappt es mit dem Lernen womöglich gar nicht mehr und Brüllen und Türenknallen sind an der Tagesordnung – sowohl beim Teenie als auch bei den Eltern.

„In jeder Entwicklung von Kindern werden Entwicklungsschritte geleistet und die gehen oft einher mit Entwicklungskrisen“, weiß Regine Jürgens. Sie ist Psychologin und Kinder- und Jugendlichen-Therapeutin und seit 17 Jahren tätig in einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle in Berlin. Auf Erziehungsberatung haben Eltern einen gesetzlichen Anspruch, sie wird vom Staat finanziell gefördert. Angeboten wird sie von kommunalen und freien Trägern. Die Beratungsstelle in Berlin-Pankow etwa ist ein Dienst innerhalb der evangelisch-freikirchlichen Immanuel Diakonie.

„Erziehungsberatung“ – das löst bei vielen Müttern und Vätern erstmal eine Abwehrreaktion aus. Ich werde doch wohl noch mit dem eigenen Kind zurechtkommen! In Erziehungsfragen einfach nicht mehr weiterzuwissen, das gibt niemand gerne zu. „Wir alle haben gelernt, dass wir selbstständig sein müssen, dass wir alles hinkriegen, dass wir alles perfekt regeln, dass wir gute und perfekte Eltern sind“, erklärt Jürgens. „Wenn wir das Gefühl haben, wir schaffen das nicht, wir kriegen das nicht hin, ist das einfach ein Thema, das mit Scham behaftet ist.“ Das Tröstliche: Die Eltern, die immer Rat wissen, wird man wohl nicht finden. Und wer den guten Rat anderer nicht im privaten Umfeld bekommt oder eben gerade den Blick von außen auf eine verfahrene Situation braucht, kann sich an eine Beratungsstelle wenden.

Wo Eltern ihre Sorgen abladen können

Das geht ganz unbürokratisch. Bei der Immanuel Beratung melden sich Eltern meist telefonisch und bekommen den ersten Termin. „Wir sind durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz angehalten, innerhalb von drei oder vier Wochen den ersten persönlichen Termin zu geben“, erklärt die Beraterin. „Je kleiner die Kinder sind, desto schneller gibt es einen Termin. Wenn wir so schnell nichts anbieten können, schauen wir auch, ob es eine andere Stelle gibt, die ebenfalls gut geeignet ist. Aber meis­tens schaffen wir das innerhalb dieser Zeit.“ Die Beratung ist kostenfrei. „Am Ende der Beratung sagen wir: ‚Wenn Sie zufrieden waren, freuen wir uns über eine Spende‘“, sagt Jürgens, betont aber: „Das ist niemals das Erste, worum es geht.“

Wer zur Beratung kommt, hat die erste innere Abwehr schon überwunden. „Wer herkommt, zeigt, er will sich Zeit nehmen und sich damit beschäftigen“, sagt Jürgens. Oft hilft Eltern schon, dass sich jemand ihre Erziehungsprobleme in Ruhe anhört. „Hier haben sie einen Anlaufpunkt, wo sie mal loswerden können, was alles so anstrengend ist. Und auch mal hören: ‚Meine Güte, Sie leisten aber wirklich viel!‘ Und das, glaube ich, entlastet oft.“ Die Hilfe bei den konkreten Schwierigkeiten sieht dann sehr individuell aus, betont Heike Vauk. Die Psychologin und Therapeutin leitet seit fast zwanzig Jahren die Beratungsstelle in Pankow. „Im Wort ‚Ratschläge‘ steckt das Wort Schläge drin, da sollte man vorsichtig sein“, gibt sie zu bedenken. „Man muss mit den Eltern gemeinsam entwickeln, was zu ihnen und ihren Kindern passt. Da gibt es kein Patentrezept. Man kann sagen: ‚Probieren Sie das mal aus, klappt das – oder klappt das gar nicht, dann müssen wir neue Ideen entwickeln.‘“

Gelassenheit ist ein Schlüsselwort, das stellen die beiden Psychologinnen immer wieder fest. Eltern dürfen sich von dem Anspruch befreien, perfekt sein zu müssen. Zu schnell stehen sie unter dem Druck, das Kind bestmöglich fördern zu wollen, und begeben sich in einen regelrechten Förderstress. „Sie fördern Ihre Kinder im Alltag ständig und ganz nebenbei“, beruhigt Heike Vauk solche Eltern zum Beispiel. „Ich sage ganz oft: ‚Was macht Ihnen denn Spaß, was würden Sie gerne tun?‘ Dann kann man ja schauen: Könnte das dem Kind auch Spaß machen? Eine Mutter war begeisterte Hobbymalerin. Da habe ich gefragt: ‚Haben Sie das denn schon mal mit Ihrem Sohn gemacht?‘ Wenn ich von etwas begeistert bin, kann ich meinen Sohn und meine Tochter meist auch davon begeistern.“

Besserwisserei und Bevormundung haben bei der Beratung keinen Platz

„Die Stärken verstärken“, so nennt es Vauk. Den Blick auf das lenken, was gut ist, und auch mal den Fokus verändern. Gerade Eltern von pubertierenden Kindern kann dieser andere Blick helfen, weiß Jürgens. „Was passiert denn in der Pubertät? Da wird das Gehirn umgebaut, da verstehen wir die Kinder oft gar nicht mehr. Wie ging es Ihnen, als Sie zwölf waren? Da war es so, dass man in der Schule nicht das Richtige anhatte, dass man sich nicht getraut hat, irgendwas zu sagen. Dass alle doof waren oder man selbst sich doof gefühlt hat. Ich frage die Eltern oft: ‚Was glauben Sie, wie geht es Ihrem Kind? Ist das eigentlich zufrieden damit, dass es sich mit Mama anschreit?‘“

Den erhobenen Zeigefinger gibt es in der Beratung nicht. Dennoch können Verhaltensweisen hinterfragt werden. „Nicht im Sinne von: ‚Sie machen etwas falsch‘, sondern: ‚Wie ist es entstanden?‘“, betont Vauk. „Mir ist ganz wichtig, einen wertschätzenden Umgang mit jedem zu haben.“ Dass das gelingt, zeigt der Andrang, den die Beratungsstelle zu verzeichnen hat. Trotz kirchlichem Hintergrund macht nicht nur die klassische Kleinfamilie dort Termine. „Jede Familie ist willkommen, ob das gleichgeschlechtliche Paare oder Adoptionseltern oder Pflegefamilien sind“, betont Leiterin Vauk. Sie selbst gehört zu einer christlichen Gemeinde, ihre Klienten dagegen können evangelisch, katholisch oder muslimisch sein – oder auch mit keiner Religion etwas zu tun haben. „Da bin ich total gelassen und denke: Es geht darum, dass jede Familie sich für sich wohlfühlt.“

Yoga und evangelische Beratungsstelle

„Man lernt sehr viele Lebenswelten kennen und alle sind anders!“, ist Jürgens begeistert. Was den Erfolg der Beratung ausmache, sei, die Leute anzunehmen. Dabei kann es auch mal vorkommen, dass die Chemie nicht stimmt. „Ich habe mal eine Mutter gehabt, der habe ich gesagt, dass ich gerne Yoga mache“, berichtet Jürgens. Diese Mutter wollte daraufhin die Beraterin wechseln – evangelische Beratungsstelle und Yoga ging für sie nicht zusammen. Auch das ist wichtig: Sich wohlzufühlen dort, wo man über seine Probleme spricht. Die Psychologinnen machen deshalb Mut, auch hier die Scheu über Bord zu werfen und zu schauen, was und wer zu einem passt.

Offiziell sind zehn Klientenkontakte vorgesehen. In der Praxis heißt das: „Mit dem einen kann man dreißig Kontakte haben, mit dem anderen nur drei“, so Heike Vauk. „Das ist der Vorteil, hier zu arbeiten. Man muss keine Anträge ausfüllen, dass so und so viele Sitzungen bezahlt werden. Die Leute können einfach kommen. Bei manchen hat sich die Sache nach drei Terminen erledigt, die kommen dann auch nicht wieder. Dann gibt es wieder längere Prozesse bis zu ein oder anderthalb Jahren. Und es gibt Eltern, die gute Erfahrungen gemacht haben und nach einem Jahr mit einem anderen Thema wiederkommen.“

Hier erhalten Eltern Hilfe:

Die Beratungsstelle in Berlin-Pankow ist nur eine von vielen Einrichtungen unter dem Dach der Diakonie Deutschland. Der Wohlfahrtsverband der Evangelischen Kirchen zeigt auf seiner Homepage die Beratungsstellen per Deutschlandkarte an: hilfe.diakonie.de/hilfe-vor-ort/erziehungsberatung-und-familienberatung

Auch der katholische Caritasverband bietet bundesweit Erziehungs- und Familienberatung an: caritas.de/hilfeundberatung/ratgeber/familie/ueberforderteeltern/erziehungs-und-familienberatung

Beim Kinderschutzbund gibt es ein kostenfreies Elterntelefon. Unter 0800 111 0 550 sind von Montag bis Freitag 9–11 Uhr und Dienstag und Donnerstag 17–19 Uhr ausgebildete Berater und Beraterinnen zu erreichen. nummergegenkummer.de/elterntelefon.html

Der Kinderschutzbund hilft auch bei der Suche nach Beratungsstellen vor Ort. dksb.de/de/fuer-eltern

Auf der Website der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung können Eltern mit der Beratungsstellen-Suche eine passende Einrichtung in der Nähe finden: bke.de

Daneben sind auch die jeweils zuständigen Jugendämter Ansprechpartner für Erziehungs- und Familienberatung.

Von: Christina Bachmann

Dieser Text erschien in der Ausgabe 5/2018 des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter 06441/915-151, per E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online hier.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen