Das digitale Kinderzimmer


Sogenannte "iToys" verknüpfen klassische Spielzeuge mit den technischen Möglichkeiten von Smartphones und Tablet-PCs. Auf der diesjährigen Spielwarenmesse in Nürnberg waren sie die Attraktion. Durch die Verbindung von Altem und Neuem entstehen beachtliche Möglichkeiten – nicht nur zum Spielen, sondern auch zum Lernen.
Von PRO

Der kleine Felix rennt, nachdem er seine Hausaufgaben gemacht hat, in das Esszimmer und schnappt sich das iPad seiner Eltern. Mit geübten Fingertipps ruft der Sechsjährige das gewünschte Autorennen auf. Er wählt sein Wunschauto aus und lenkt es zwischen Daumen und Zeigefinger auf dem Bildschirm des Tablet-PCs über den virtuellen Parcours. Für den Erstklässler ist dies im wahrsten Sinne des Wortes ein Kinderspiel.


Sein Lieblingsspiel heißt "AppMates". Hersteller "Spin Master" hat damit sogar den "Toy Award" der Kategorie Spielwaren für Drei- bis Fünfjährige gewonnen. Dieser wird auf der Spielwarenmesse in Nürnberg für die kreativsten Spielwaren vergeben. Das Spiel steht aber noch für ein anderes aktuelles Phänomen: die Verknüpfung klassischer Spielwaren mit der virtuellen Konkurrenz.


Das vorangestellte "i" in der Wortschöpfung deutet es an: Die "iToys" sind auf die Bedienung per iPhone oder iPad ausgerichtet. Dabei ist der Name eigentlich irreführend: Denn "iToys" laufen auch auf Geräten, die nicht die Firma mit dem Apfel-Symbol entwickelt hat. Ein Blick auf den Markt zeigt, wie vielfältig die Möglichkeiten sind. Das geht schon bei den Allerkleinsten los. Die Firma "Fisher-Price" stellte auf der Messe mit dem "iCase" eine Art Smartphone-Rassel vor, damit Eltern die sensiblen Geräte bedenkenlos in Kinderhände legen können.


Unbedenkliches Spielvergnügen für kleine Kinderhände



Mit Ravensburgers "Mein erstes Smart-Fon" kann der Nachwuchs dann schon mal so tun, als besäße er ein echtes Smartphone. Die Hersteller werben selbst für das erste Telefon mit "Touchscreen", der schon auf sanften Fingerdruck reagiert und mit dem die Babys die Erwachsenenwelt nachspielen können. Hinter den leuchtenden Symbolen verbergen sich Aktivitäten mit verschiedenen Wählgeräuschen, Tierstimmen, einem Spiel und zehn Kinderliedern. Die Eltern loben das Gerät in den Internetforen als "tolles Spielzeug" und "Kinder-Handy mit angenehmer Lautstärke".


Im Februar wurde ein iPhone-Halter für die Kleinsten vorgestellt – damit das "teure Smartphone nicht zu Bruch geht, wenn der Nachwuchs im Laufstall randaliert", schreibt das Online-Portal "Der Westen". Damit Mamas cooles Spielzeug "künftig auch zum unbedenklichen Spielvergnügen für kleine Kinderhände wird", wirbt der Hersteller. Ein weiteres Beispiel für die jüngste Entwicklung ist "App Gear". Damit können Kinder auf dem Handy Flugzeuge in digitale Luftkämpfe schicken. Ziel der jungen Piloten ist es, Einsätze über Großbritannien, Europa und dem Pazifik zu starten.

Auch die gute alte Modelleisenbahn begibt sich mit Märklins "Central Station" auf Tablet-Kurs. Bei dem neuen Konzept des Traditionsunternehmens wird das traditionelle Steuerpult von Modelleisenbahnen durch den Tablet-PC ersetzt. Hobby-Lokführer können so die komplette Anlage via Funk oder WLAN drahtlos steuern. Wenn Felix alt genug ist, dann kann er sich also auch diesen Spaß gönnen. Und er könnte Monopoly bargeldlos spielen. Die im Spiel fälligen Mietzahlungen werden per Kreditkarte an den Gegner transferiert – und dann vom Smartphone-geführten Bankkonto abgebucht.


Aber "iToys" sollen nicht nur als Spielzeuge, sondern auch als Lernhilfen genutzt werden. Die Bildung steht bei "Tiptoi" im Vordergrund, das sich an Vier- bis Zehnjährige richtet: Die Kinder streifen mit einem Stift über Puzzles oder Buchseiten und bekommen dann erklärt, was sie dort sehen. Eltern und Pädagogen fragen sich, wie sich diese Entwicklung auf die Kinder auswirkt: "Nicht alles, womit sich die Kinder beschäftigen, hat nachhaltige Auswirkungen auf ihr Gehirn. Veränderungen hängen davon ab, wie sehr sich ein Kind über das begeistert, was es mit den iToys machen kann. Das wissen offenbar auch die Hersteller dieser Geräte", erklärt Gerald Huether, Leiter der Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Universitäten Göttingen und Mannheim/Heidelberg.


"Je faszinierter ein Kind davon ist, desto stärker werden die emotionalen Zentren im Gehirn aktiviert. Diese Nervenzellen schütten dann einen Cocktail neuroplastischer Botenstoffe aus, die wie Dünger auf die im Zustand der Begeisterung aktivierten Hirnbereiche wirken und zur Ausbildung neuer Verschaltungen führen. Deshalb lernen nicht nur Kinder, sondern auch wir Erwachsene all das besonders schnell und nachhaltig, was uns fasziniert. Und dann bekommt man eben auch ein Gehirn, in dem das, worauf es dabei ankommt, besonders gut ausgebildet ist", weiß Huether.


Herausforderung "augmented reality"


Für die älteren Kinder gibt es andere Neuentwicklungen: Mit ihren Smartphones können sie einen Hubschrauber steuern und so ihren Traum vom Helikopter-Flug verwirklichen. Eine weitere Idee dürfte uns laut Branchenberichten die nächsten Jahre begleiten: "augmented reality" – eine auf den Computer gestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Ravensburger etwa verkauft reale Puzzles, die auf dem iPhone zum Leben erwachen: Sobald das Puzzle fertig ist, können die Spieler das Motiv einscannen und sie befinden sich plötzlich mitten in der Szenerie. Bei einem Motiv aus Paris gibt es zum Beispiel französische Musik und eine 360-Grad-Stadtführung. Zudem erscheinen Panoramen der jeweiligen Metropole inklusive interessanter Stadtinfos, während ein Naturpuzzle den Nutzer per iPhone oder iPad zum Beispiel in animierte Unterwasserwelten entführt.


Vermutlich hat die Digitalisierung des Kinderzimmers aber auch noch eine andere Dimension. Eine Reihe von Herstellern beklagt laut "FAZ"-Autor Timo Kotowski, dass sich das Zeitfenster verenge, indem sie Mädchen und Jungen für ihre Produkte begeistern können. Ab einem gewissen Alter sei es Kindern eher peinlich, noch traditionelles Spielzeug hervorzuholen. Jugendliche sahen ihre Wünsche zuletzt eher im Elektronikmarkt erfüllt denn im Spielwarenfachhandel, ergaben jüngste Umfragen in der Zielgruppe.

Marktanteil und Zeitfenster verschieben sich


Natürlich geht es im Kinderzimmer auch weiterhin ganz ohne digitale Technik. Das Titanic-Modell bei Revell gibt es ganz klassisch zum Zusammenbauen. Die aktuellen Zahlen zeigen aber auch, dass sich der Marktanteil hin zu den "iToys" verschiebt. Bleibt zu hoffen, dass sich Kinder trotz Technisierung auch noch von klassischen Spielzeugen oder Brett- und Bewegungsspielen begeistern lassen – und iToys als Ergänzung ihres Angebots sehen –, ohne das Spielen in der Natur aus den Augen zu verlieren.



Für eine gesunde Entwicklung brauchen Kinder weiterhin sinnliche Erfahrungen. Für Gerald Huether steht fest: "Gerade während der Phase der Hirnreifung brauchen Kinder die Gelegenheit, möglichst viele und unterschiedliche Erfahrungen zu machen. Am besten sollten dies welche sein, die ihnen Freude machen und über die sie sich begeistern: Körper-, Natur- und Beziehungserfahrungen in sozialen Gemeinschaften."

Eltern müssten sich entscheiden, was für ein Gehirn ihr Kind bekommen soll: eines, mit dem sie später gut im Internet surfen und iToys bedienen können oder eins, mit dem sie gut mit sich selbst, mit der Natur und mit anderen zurechtkommen. "iToys" können eine Bereicherung für die Kinder sein, aber sie sind sicher kein Ersatz.

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