Forscher vs. Spieler: Neue Erkenntnisse über „Killerspiele“?

Es ist eine Debatte, die seit Jahren geführt wird: Welche Auswirkung hat die virtuelle Gewalt in Computerspielen auf ausgelebte Aggressivität? Besteht zwischen dem Spielen von gewalthaltigen Computerspielen und Gewalt im echten Leben ein Zusammenhang? Forscher, Pädagogen und natürlich PC-Spieler selbst mischen in der Debatte kräftig mit. Jetzt haben Wissenschaftler neue Erkenntnisse veröffentlicht. Sie geben Entwarnung - warnen jedoch auch.
Von PRO

„Gewalt in Computerspielen macht die Spieler aggressiv.“ So lautet der immer wiederkehrende Vorwurf in der Diskussion um die Wirkung von virtuellen Gewaltszenen. Die seit Jahren anhaltende Debatte wird durch immer neue Erkenntnisse am Leben gehalten. Nun erhalten Computerspiel-Fans wieder einmal Rückendeckung. Forscher des Instituts für kognitive Neurowissenschaften der Uni Bremen gaben kürzlich bekannt, dass das menschliche Gehirn reale und fiktionale Gewalt in jeweils unterschiedlichen Gehirnregionen verarbeite. Eine Übertragung der Inhalte von PC-Spielen in die Wirklichkeit findet offenbar nicht statt. Dennoch bleiben auch die Wissenschaftler kritisch gegenüber GTA (Grand Theft Auto), einer Computerspielserie mit kriminellen Inhalten und der Wirkung sogenannter „Killerspiele“.

Im Rahmen einer noch unveröffentlichten Studie untersuchten die Neurowissenschaftler 22 männliche Testpersonen mit Hilfe eines Magnetresonanztomografen. Den Testpersonen wurden sowohl reale, als auch fiktionale Gewaltszenen vorgeführt und dabei deren Gehirnaktivitäten gemessen. Bei der Auswertung stellte sich heraus, dass bei der Vorführung jeweils unterschiedliche Gehirnregionen angesprochen wurden. Während die Szenen aus einem Computerspiel Teile des Großhirns, den Sitz menschlicher Intelligenz und Urteilsvermögens, anregten, sei die reale Gewalt vor allem im limbischen System verarbeitet worden, das für die Verarbeitung von Trieben und Emotionen sorgt.

Vernachlässigung echter sozialer Kontakte

Laut Thorsten Fehr, einem der Autoren der Studie, sei dieses Ergebnis ein starkes Argument gegen die Annahme einer Überlagerung von fiktionalen und realen Szenen, die bislang unter Gegnern der virtuellen Gewaltspiele als Tatsache galt. Allerdings bleiben auch die Bremer Forscher kritisch gegenüber Computerspielen. So sieht Fehr vor allem die Gefahr darin, dass Menschen mit erhöhter Computerspielnutzung den Aufbau echter sozialer Kontakte vernachlässigen könnten.

„Vier bis fünf Stunden am Tag Computerspielen führen bei Kindern zu Kontaktarmut, dämpfen ihre Entdeckerfreude und verschlechtern die Schulleistungen“, so lautet das Urteil von Lutz-Ulrich Besser, Leiter des Zentrums für Psychotraumatologie und Traumtherapie Niedersachsen. Das Gehirn sei bei der Verarbeitung der Bilder moderner Medienformate enormem Stress ausgesetzt. Dadurch veränderten sich die kognitiven Fähigkeiten des Gehirns und führten somit zu schlechten Schulleistungen. Gefordert wird die Begrenzung der Produktion insbesondere gewaltverherrlichender Medien.

„Computerspiele machen faul und dumm“

Die Meinungen der Wissenschaftler gehen oft weit auseinander, wenn es um die Auswirkungen von Computer-Spielen geht. „Konsum von Gewalt in den Medien führt dazu, dass junge Männer aggressiv reagieren und bei jungen Frauen die Furcht vor Kriminalität steigt.“ Diese Forschungsergebnisse stellte Professor Dieter Hermann, Soziologe an der Universität Heidelberg, auf dem 12. Deutschen Präventionstag im Juni 2007 in Wiesbaden vor. Auch Helmut Schröder, Forschungsbereichsleiter beim Wissenschaftlichen Institut der AOK, warnt davor, dass Kinder zu viel Zeit vor Fernsehern, Computern und Spiele-Konsolen verbrächten. Dagegen kämen Tätigkeiten, die die soziale, motorische und sensomotorische Entwicklung fördern, zu kurz.

Studienergebnisse des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sollen sogar belegen, dass gewalthaltige Computerspiele die Konzentrationsfähigkeit der Spieler massiv beeinträchtigten. So zeigten Probanden nach dem Konsum eines Gewalt-Spiels nur noch 77 Prozent der Konzentrationsleistung im Vergleich zu der Kontrollgruppe, die Tischtennis gespielt hatte. Dagegen halten Forscher der Universität von London, die zwischen regelmäßigem Konsum von Computerspielen und verbesserten Hirnleistungen einen Zusammenhang sehen und für „computerbasierte Lernaktivitäten“ plädieren.

Verbesserter Schutz für Jugendliche

Seit Jahren befasst sich auch die Politik mit diesem Thema. So wurde im Dezember 2007 ein Entwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes beschlossen und vergangenen Monat vom Bundesrat gebilligt. Damit werden die Kriterien erweitert, nach denen Gewaltvideos und „Killerspiele“ als jugendgefährdend auf dem Index landen. Die Hinweise auf Altersbeschränkungen auf CDs und DVDs werden vergrößert, damit sie beim Kauf künftig auf den ersten Blick ins Auge fallen. Ziel des Gesetzes ist der verbesserte „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor medialen Gewaltdarstellungen, insbesondere gewaltbeherrschten Computerspielen“, heißt es in der Begründung des Bundesrates. Mit dem erhöhten Jugendschutz reagiert der Bundesrat unter anderem auf den Amoklauf von Emsdetten im November 2006. Ein 18-Jähriger hatte in seiner ehemaligen Schule um sich geschossen und elf Menschen verletzt, bevor er Selbstmord beging. 2002 hatte in Erfurt ein 18-jähriger ehemaliger Gymnasiast an seiner alten Schule 17 Menschen erschossen, bevor er sich selbst tötete. In beiden Fällen waren bei den Tätern „Killerspiele“ gefunden worden. Experten warnen, dass gewaltbeherrschte Computerspiele auch zu einem entsprechenden Verhalten führen könnten.

Bücher als Verteidiger von PC-Spielen

Gegen die Vorwürfe setzen sich wiederum Computerspiele-Fans immer wieder zur Wehr. „Computerspiele sind mehr als stumpfsinnige Zock-Orgien“, versuchen zumindest einige Autoren in ihren Büchern zu belegen, die innerhalb der letzten Monate erschienen sind. Die Redaktion von „zoomer.de“ stellte einige auf ihrer Website vor. „Digitale Paradiese – Von der schrecklichen Schönheit der Computerspiele“ lautet zum Beispiel der Titel des Buches von Andreas Rosenfelder, das einen Denkanstoß für all diejenigen geben will, die in Computerspielen nur brutale Massaker und Realitätsflucht sehen. Der Autor spricht offen über die Faszination und Widersprüchlichkeit der Spielwelt basierend auf seinen eigenen Erfahrungen.

Mit den Auswirkungen von Computerspielen auf Jugendliche setzen sich auch die Psychologen Cheryl K. Olson und Lawrence Kutner in „Grand Theft Childhood“ auseinander. Eigentlich kein neues Thema, neu aber sind die Erkenntnisse, zu denen die Autoren gelangen. So besteht eine Schlussfolgerung der Autoren darin, dass Computerspiele durchaus brauchbar seien, um Gefühle wie Frust und Ärger bei Kindern zu entspannen. Dass sich gewalthaltige Erwachsenenspiele negativ auf das Verhalten von Kindern auswirken, leugnen die Autoren jedoch nicht. In „Grand Theft Childhood“ werden somit gängige Vorurteile gegen Computerspiele untersucht und gegebenenfalls anhand der Studienergebnisse widerlegt. Einige Beispiele hierzu finden sich auf der gleichnamigen Homepage des Buches. Der Titel, der ins Deutsche übersetzt sinngemäß „die gestohlene Kindheit“ lautet ist eine Anlehnung an „Grand Theft Auto“, Titel eines erfolgreichen PC-Spieles. Eine deutsche Übersetzung des Buches gibt es bislang nicht.

Auch in dem von Mathias Mertens und Tobias O. Meißner herausgegebenen Band „Ladezeit – Andere Geschichten vom Computerspielen“ gibt es neue Anregungen über Computerspiele. Hier schreiben Spieler für Spieler eine Art Liebeserklärung an die Computerspiele. Computerspiele würden oftmals von Medien und Politik auf „Killerspiele“ reduziert. Dieser Bewertung versuchen die Computerspiele-Fans entgegenzutreten und berichten über verkannte und erkannte Spiele, über Gegner, Gewalt, digitale Romantik – oder einfach die Lust am Spielen.

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