Nach dem Amoklauf: Was bringt ein Verbot brutaler Computerspiele?

Nach dem Amoklauf in einer Realschule im Münsterland flammt die Diskussion über die Auswirkungen gewalthaltiger Computerspiele in Deutschland neu auf. Am Montag hatte ein 18-Jähriger ehemaliger Schüler auf dem Schulgelände zahlreiche Schüler, eine Lehrerin und den Hausmeister mit Schüssen und Sprengsätzen verletzt. Anschließend tötete er sich selbst. Wieder einmal fordern Politiker ein Verbot von Killerspielen.
Von PRO

von Ellen Nieswiodek-Martin

Die grausamen Taten, die betroffenen Reaktionen und offenen Fragen gleichen sich: Im Jahr 2002 versetzte der Schüler Robert Steinhäuser nach seinem Amoklauf an dem Erfurter Gutenberg-Gymnasium Deutschland in einen Schockzustand. Er hatte 16 Menschen erschossen, anschließend tötete er sich selbst. Drei Jahre zuvor, im April 1999, stürmten zwei Schüler die Columbine High School in Colorado (USA), töteten zwölf Schüler und einen Lehrer, 24 weitere Menschen wurden verletzt. Jetzt, am Montag, eine weitere Tat, die für Aufsehen und Diskussionen sorgt: In Emsdetten stürmt ein 18-Jähriger, bewaffnet mit Rohrbomben und Gewehren, die Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten, schießt wahllos um sich. Bei dem Amoklauf wurden mehr als 30 Menschen verletzt.

Was bringt ein Verbot von Gewaltspielen?

Wie reagierten Politiker und Pädagogen darauf? Bereits im Jahr 2002 nach dem Vorfall in Erfurt sprach sich Bayerns Innenminister Günther Beckstein für ein Verleih- und Produktionsverbot brutaler Computerspiele aus. Zuvor hatte das Schulmassaker von Littleton die Aufmerksamkeit auf die Inhalte von Computerspielen gelenkt, denn in beiden Fällen besaßen die Attentäter gewalthaltige Ego-Shooter wie „Doom“ und „Counterstrike“.

Gut viereinhalb Jahre sind seit dem Gutenberg-Massaker vergangen. Auf politischer Ebene ist jedoch wenig geschehen. Ein junger Mann konnte sich Gewehre besorgen, es war sogar bekannt, dass er diese besaß, denn er war wegen Waffenbesitz angeklagt. Trotzdem war es ihm möglich, am Montag mit zwei abgesägten Gewehren und Sprengsätzen am Körper auf das Schulgelände zu gelangen. Müssten nicht die Fragen danach laut werden, woher der Täter die Waffen und den Sprengstoff hatte? Sollten nicht die Waffengesetze verschärft werden?

Ein frustrierter Ex-Schüler hat sich in einen Gewaltrausch gestürzt, animiert von Gewalt- Videos. Wäre seine Geschichte anders verlaufen, wenn er diese nicht gesehen hätte – weil gewalthaltige Videos und Spiele verboten wären? Oder hätte er sie im Internet auf ausländischen Servern heruntergeladen, um ein Ventil für seinen Hass zu finden? Der Schüler schrieb selbst über den Hass, der sich in ihm angestaut hatte. Angeblich soll sein Bruder versucht haben, ihn an der Tat zu hindern. Sonst niemand? Wie aber hätte der Hass und die Frustration eines gescheiterten Schulabgängers rechtzeitig in andere Bahnen gelenkt werden können?

Medienerziehung in Schulen

Noch immer ist an den wenigsten Schulen der Umgang mit brutalen Fernsehinhalten und Computerspielen ein Thema im Unterricht. Medienkompetenztraining und Medienerziehung für Jugendliche stehen nicht auf dem Lehrplan, diskutiert und angeregt wurde dies oft. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann hatte im Juni 2006 gewarnt: Man dürfe nicht warten, bis spektakuläre Einzelfälle von Amokläufern zu Opfern führen, sondern müsse präventiv handeln. Auch Schünemanns Mahnung zielte auf ein Herstellungs- und Vertriebsverbot von brutalen Spielen ab.

Niemand kann sagen, was ein Verbot der entsprechenden Spiele bewirken kann. Bekanntlich reizen Verbote Jugendliche erst recht dazu, sie zu umgehen. Schon jetzt haben Jugendliche keine Probleme, an Software zu kommen, die sie im Laden nicht kaufen dürften. Kopien von Software werden auf dem Schulhof, bei Netzwerkpartys oder über das Internet verbreitet.

Was bedeutet jugendgefährdend?

Dennoch: Gerade die Computerspiele, die Jugendliche am meisten faszinieren, gefährden sie auch mehr als andere. Jugendschützer bewerten Spiele daher als jugendgefährdend, in denen Gewalt die einzige Lösung von Konflikten darstellt. Spiele, bei denen man nur durch Anwendung von Gewalt das Spielziel erreichen kann, oder bei denen Menschen getötet oder verstümmelt werden, erhalten keine Jugendfreigabe. Spiele, in denen gezeigt wird, wie Blut spritzt oder Körperteile zerfetzt werden, sind auf keinen Fall geeignet für Jugendliche.

Allerdings gibt es bisher europaweit keine einheitlichen Maßstäbe, wie Gewalt bei Bildschirmspielen beurteilt werden sollte. Auch in Deutschland gibt es noch keinen einheitlichen Kriterienkatalog zur Beurteilung von Computerspielen. Immer wieder stehen auch die Bewertungen der Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK) in der Kritik. Der Kindersausschuss des Bundestages hat erst vor wenigen Tagen mehr Geld und mehr Stellen für die Arbeit der USK gefordert, um eine intensivere Arbeit zu gewährleisten.

Welche Auswirkungen hat Gewalt in Computerspielen auf Kinder?

Ob und in welchem Ausmaß gewalthaltige Spiele aggressives Verhalten bei Jugendlichen und Kindern auslösen oder fördern, darüber gehen die Meinungen auseinander. Wissenschaftler wie der Medienpädagoge Stefan Aufenanger (Mainz) oder Professor Jürgen Fritz (Köln) sind sich allerdings einig, dass Gewaltdarstellungen mit einem „Wirkungsrisiko“ verbunden sind. Das bedeutet, dass man die Auswirkungen einer Interaktion nicht eindeutig und allgemeingültig voraussagen kann, denn die Persönlichkeit eines Menschen wird von vielen Faktoren geprägt. Die Familie und das soziale Umfeld haben nach wie vor den größten Einfluss auf die Entwicklung eines jungen Menschen.

Es hängt von vielen Faktoren ab, wie Menschen mit bestimmten Situationen und Konflikten umgehen. Gewalttätige Jugendliche kommen häufig aus einem Umfeld, in dem sie Gewalt erleben oder auch aus extrem sozial benachteiligten Familien. Der Kriminologe Professor Christian Pfeiffer (Hannover) forscht seit Jahren über die Zusammenhänge zwischen medialer Gewalt und Gewaltausübung in der Realität. Seiner Ansicht nach erhöht die Kombination aus falschen Freunden, dem falschen Schultyp, regelmäßigem Konsum von Gewaltfilmen und Spielen wie eben „Counterstrike“ in Verbindung mit innerfamiliärer Gewalt eindeutig die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind oder ein Jugendlicher selbst irgendwann gewalttätig werde.

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Weitere Informationen zu dem Thema „Gewalt in Computerspielen“ lesen Sie auch in dem Buch „Kinder in der Mediengesellschaft“ von pro-Redakteurin Ellen Nieswiodek-Martin. Das Buch erhalten Sie hier: www.wertebibliothek.de (Reihe „proWerteBibliothek, Hänssler Verlag, 200 Seiten, 7,95 Euro)

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