Altersfreigaben bei vielen Computerspielen falsch?

H a n n o v e r (PRO) - Der Kriminologe und frühere niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer sieht ein Versagen des Jugendschutzes bei der Kontrolle von Computerspielen mit gewalttätigen Inhalten. Die Altersfreigabe ab 16 sei bei etlichen Spielen auf Grund ihrer "unglaublichen Brutalität" nicht nachvollziehbar.
Von PRO

Manche Spiele, die für 16-Jährige freigegeben sind, müssten eigentlich indiziert werden, sagte Pfeiffer in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ (Berlin). Zugleich greife aber etwa die Hälfte aller zehnjährigen Jungen zu solchen Spielen. Nach Erhebungen des von Pfeiffer geleiteten Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen (KFN) spielen 80 Prozent der männlichen Neuntklässler gelegentlich Spiele, die eine Altersfreigabe ab 18 Jahren tragen.

Das KFN hat im Zeitraum von Januar 2005 bis Juni 2006 bundesweit über 17.000 Neunt- und 6.000 Vierklässler zu ihrem Medienverhalten befragt. Aufgrund der Erkenntnisse habe ein Team des KFN begonnen, systematisch Computerspiele nachzuspielen.

Gewalttätigkeit wird im Spiel belohnt

Bisher seien bei einem Drittel der von der KFN überprüften Spiele die Freigabeempfehlungen der Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK) nicht nachvollziehbar. Als Beispiel nannte Pfeiffer einige Spiele, bei denen Spieler um so höher belohnt würden, je exzessiver sie Gewalt ausübten. In manchen Spielen würden die Spielgegner mit Motorsägen getötet, Spieler sähen auf dem Monitor, wie dem Gegner mit einem Tacker Nadeln in den Kopf geschossen oder der Kopf des Gegners in heißes Fritierfett getaucht werde. Pfeiffer fordert die Indizierung derartiger Spiele. „Eine Gesellschaft, die das zulässt, ist krank“, so Pfeiffer gegenüber der „Welt“.

Kritik an der USK

Über Altersfreigaben und Indizierung entscheidet die Prüfkommission der Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK). Nach Pfeiffers Ansicht sollte dieses Vorgehen geändert werden. Er fordert eine Reform der USK mit einer deutlichen Erhöhung der Gutachterzahl, klaren Normen und einer besseren Bezahlung der Spieletester. Finanzieren will Pfeiffer dies durch Abgaben der Spielindustrie. Mit 50 Cent pro verkauftem Spiel könne man neben der Arbeit der USK auch die Forschung zur Therapie der Spielsucht finanzieren.
Wie bewertet die USK?

Die USK bewertete im vergangenen Jahr 2.600 Computer- und Konsolenspiele. In vierzig Fällen erhielten Spiele keine Altersfreigabe nach dem Jugendschutzgesetz. Die Leiterin der USK, Christine Schulz, erläuterte die Vorgehensweise der USK in einem Interview für das Buch „Kinder in der Mediengesellschaft“ so: „Die Spieletester der USK sammeln so viel eigene Spielerfahrung mit einem Spiel, dass sie den Gutachtern einen Überblick über Spielanwendungen und Ziele geben können. Nach dieser Spielvorstellung entscheidet ein Gutachtergremium und der Ständige Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden über die Altersfreigabe.“

Zu der Gewalt in den Spielen sagte Schulz in dem Interview: „Wenn man Gewalt in den Medien verbieten oder verhindern will, muss man eigentlich Gewalt in der Wirklichkeit ausschließen.“ Aber sie gibt auch zu: „Bei der Frage nach der Gewalt geht es um eine Abwägung dessen, was gesellschaftlich an Gewaltdarstellung akzeptiert und für Kinder und Jugendliche der jeweiligen Altersstufen als unbedenklich gelten kann. Die Bewertung gewalthaltiger Inhalte richtet sich nach der in den Blick genommenen Altersgruppe.“

Zusammenhänge zwischen Jugendgewalt und Medienkonsum?

KFN-Direktor Pfeiffer untersucht seit Jahren die Zusammenhänge zwischen Jugendgewalt und Medienkonsum und warnt vor den Auswirkungen gewalthaltiger Computerspiele: Kinder und Jugendliche würden durch die Gewaltanwendung im Spiel „desensibilisiert für die Leiden der Opfer“, so Pfeiffer. Dabei seien es hauptsächlich Jungen, die gewalthaltige Spiele spielten und sich mit einer „Macho-Kultur“ identifizierten. Die „Akzeptanz Gewalt legitimierender Männlichkeitsnormen“ sieht er als eine der Hauptursachen für Jugendgewalt.

Das KFN betreibt seit 1998 verschiedene Projekte zur Datenerhebung von Medienkonsum und Freizeitverhalten von Kindern und Jugendlichen. An der Durchführung und Betreuung der Projekte arbeiten neben Pfeiffer der Medienwissenschaftler Matthias Kleimann sowie die Soziologen Michael Windzio und Dirk Baier mit.
 

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