Kindererziehung lernen durch „Elternführerschein“?

H a m b u r g (PRO) - Wo lernen Eltern, wie sie ihre Kinder erziehen? Sollte Erziehung eher intuitiv geschehen oder erlernt werden? Fakt ist, dass immer mehr Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert zu sein scheinen oder sie gar vernachlässigen. Pädagogen, Experten aus Kirche und Politik suchen nach Lösungen. Jetzt hat sich das Magazin "Geo Wissen" in der Sonderausgabe "Kindheit und Erziehung" des Themas angenommen.
Von PRO

Unter der Überschrift „Brauchen wir den Elternführerschein?“ diskutieren
Klaus Hurrelmann, Sozialwissenschaftler von der Universität Bielefeld, und Margot Käßmann, Landesbischöfin der evangelisch-lutherischen Kirche Hannover, darüber, ob Eltern verpflichtet werden sollten, Elternkurse zu besuchen und einen Elternführerschein zu machen.

Hurrelmann ist ein Befürworter des „Elternführerscheins“. Seiner Ansicht nach könne man die Auszahlung des Kindergeldes an den Besuch von Elternkursen binden, um diese Forderung durchzusetzen. „Das klingt rigide, aber der Staat überweist den Familien Geld aus Steuermitteln, und darf schon fragen, ob es gezielt zum Wohl der Kinder eingesetzt wird.“

Hurrelmann begründet seine Forderung damit, dass man die Probleme, die es bei einer Vielzahl an verwahrlosten Familien gebe, auf freiwilliger Basis nicht in den Griff bekäme. Nach Beobachtungen des Sozialwissenschaftlers habe nur ein Drittel der deutschen Eltern eine ausreichende Erziehungskompetenz. Ein weiteres Drittel „wurschtelt sich so durch“. In dem „unteren Drittel der Eltern“ herrschten zum Teil starke Probleme bis hin zur Verwahrlosung. In diesen Familien „werden die großen Potentiale von Kindern leichtfertig verschüttet“.

Erziehung in der Mediengesellschaft ist anspruchsvoller geworden

Bischöfin Margot Käßmann sprach sich gegenüber „Geo Wissen“ gegen eine derartige „Erziehungsdiktatur“ aus. Als Christin habe sie ihre Kinder in einer bestimmten Haltung erziehen und prägen wollen, auch wenn längst nicht alle Erzieher und Lehrer ihre Werte geteilt hätten.

Die Mutter von vier erwachsenen Töchtern sieht das Problem eher in der großen Unsicherheit bei Eltern: „Erziehung ist viel anspruchsvoller geworden als früher. Noch vor 25 Jahren gab es kein Privatfernsehen, keine Computerspiele, kein Handy“, so Käßmann. „Eltern müssen stärker unterstützt und gefördert werden.“ Sie sieht Zwang als falschen Weg und wünscht sich ein Netz von Beratungsangeboten für Eltern. In Erziehungskursen sollte die Persönlichkeit der Eltern nicht „abgeschliffen, sondern gestärkt werden“.

Glaube ist eine gute Basis für Erziehung

Vor allem die Pubertät stelle Eltern aus allen Schichten vor „gewaltige Probleme“. Dazu komme, dass Eltern oft selbst den Boden unter den Füßen verloren hätten. Daher sei der Glaube „eine gute Möglichkeit, für sich eine Basis zu finden“. Hurrelmann beurteilt viele Eltern als „nicht stark genug“, um ihrem Kind Fragen zu beantworten wie: „Was glaubst Du?“ oder „Wie geht das Leben eigentlich weiter?“.

Einig waren sich die Bischöfin und der Sozialwissenschaftler darin, dass in Deutschland die „gesunde Balance zwischen Privatheit und Öffentlichkeit in der Erziehung schwer fällt“. Aus historischen Gründen hätten vor allem die Westdeutschen Furcht vor einer Einmischung des Staates in Erziehungsangelegenheiten.

Margot Käßmann beklagt zudem das fehlende Miteinander von Institutionen und Menschen. Ihr geht die Individualisierung und Privatisierung der Gesellschaft zu weit. „Wie kann es sein, dass ein Kind in Hamburg verhungert, obwohl dort Schulpflicht besteht, um deren Einhaltung sich offenbar niemand gekümmert hat?“ Die Bischöfin möchte Eltern dazu verpflichten, ihre Kinder zu allen ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen zu bringen. Hier würde sie auch den Entzug des Kindergeldes unterstützen, wenn ein Kind nicht zu den vorgeschriebenen Arztbesuchen gebracht werde.

Einführung einer Kindergartenpflicht für Fünfjährige

Hurrelmann und Käßmann plädieren einstimmig für eine Kindergartenpflicht ab dem sechsten Lebensjahr. Hurrelmann sieht es als wichtige Aufgabe an, schon die Fünfjährigen in das Bildungssystem einzubeziehen – das spielerische Lernen in den Einrichtungen sollte stärker als bisher gefördert werden. „Die Kindergärten bei uns sind traditionell zu stark auf Spielen und Freizeitaktivitäten ausgerichtet. In dieser wichtigen Entwicklungsphase verschenken wir viele Chancen. Das sagen nicht nur pädagogische Theorien, sondern auch moderne hirnphysiologische Erkenntnisse.“

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