Pädagoge Wolfgang Bergmann gestorben

Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Bergmann ist tot. Er starb vergangene Woche in einem Hospiz bei Hannover. Der Familientherapeut hat zahlreiche Bücher zu Erziehungsfragen verfasst. Ein Nachruf auf den "Anwalt der Kinder"!
Von PRO

Wolfgang Bergmann war Diplom-Pädagoge und Leiter einer Praxis für Kinder- und Jugendtherapie in Hannover. Außerdem bezog er als Experte in zahlreichen Diskussionsrunden und Zeitungsinterviews Stellung zu Erziehungsfragen und pädagogischen Themen.

1948 in Lemgo geboren studierte Bergmann Erziehungswissenschaften in Dortmund und Berlin und absolvierte dann eine Redakteursausbildung bei der "Neuen Westfälischen" in Bielefeld. Er arbeitete bei den für Verlagen Beltz und Bertelsmann, bevor er 1990 die Stelle als Chefredakteur der "Deutschen Lehrer Zeitung" antrat. 1995 gründete er das "Institut für Kinderpsychologie und Lerntherapie" in Hannover, das er bis zu seiner Erkrankung leitete. Bergmann hatte zwei Söhne und eine Tochter.

Nachdem bei ihm im Februar 2010 ein unheilbarer Knochenkrebs diagnostiziert wurde, gründete er im Herbst 2010 die Stiftungsinitiative "Für Kinder", um sein Lebenswerk fortzuführen. "Indem wir das elementare Verlangen unserer Babys und Kleinkinder nach Nähe und tiefer emotionaler Bindung an ihre Eltern berücksichtigen, legen wir in ihnen ein Glücksvermögen an, das ein Leben lang vorhält", schrieb er auf der Internetseite der Stiftung. Dies befähige die Kinder, sich zu unabhängigen und selbstständigen Persönlichkeiten zu entfalten, um mit der erforderlichen Energie und Kreativität die Zukunft zu meistern.

Die Stiftungsinitiative setze sich dafür ein, die stabile und gesunde Entwicklung des Kindes zu sichern, heißt es auf der Internetseite fürkinder.org. Die Stiftung unterstütze die Arbeit des Instituts für Bindungswissenschaften, fördere Projekte, die konkrete Unterstützung für Familien leisten und initiiere die Herausgabe des neuen Familienmagazins "FamilienGlück".  Zum Kuratorium der Stiftung gehören Therapeuten und Bestseller-Autoren wie Gordon Neufeld und Steve Biddulph, aber auch bekannte Fernseh-Stars wie Barbara Wussow oder Franziska Reichenbacher.

"Reine Gehorsamspädagogik macht dumm"


Auch als er bereits im Hospiz lag, nahm der Erziehungswissenschaftler Stellung zu pädagogischen Themen und sprach gegenüber den Medien offen über seine Erkrankung. In den Wochen vor seinem Tod beendete er sein letztes Buch "Lasst eure Kinder in Ruhe! Gegen den Förderwahn in der Erziehung" (Kösel), in dem er erklärt, warum Frühförderung die kindliche Intelligenz eher behindern  als fördern könne. Wichtig sei es, Kindern ein Glücks- und Zufriedenheitspotential mitzugeben, und damit die "seelischen Grundlagen für eine mitfühlende, nicht kalt rivalisierende Gesellschaft" zu legen, so Bergmann. "Gute Autorität sei eine Verbindung von Zuwendung und Grenzen setzen“, erklärte Bergmann dieses Konzept.
 
Als der Pädagoge und ehemalige Leiter des Elite-Internats Schloss Salem, Bernhard Bueb, in seinem Buch "Lob der Disziplin" auf die Bedeutung von Disziplin und Gehorsam für die Ausprägung des Charakters hinwies, war es Bergmann, der ihm vehement widersprach. Er wandte sich auch gegen die Thesen des Psychiaters Michael Winterhoff ( "Warum unsere Kinder Tyrannen sind"). "Gehorsamspädagogik auf Biegen und Brechen" mache dumm, sagte er 2008 gegenüber der "Frankfurter Rundschau".

"Kinder brauchen feste Bezugspersonen und viel Liebe"


Bergmann war davon überzeugt, dass Eltern "alles beherrschen, was sie für die richtige Erziehung brauchen" – man müsse es nur in ihnen wachrufen, schrieb er in dem Buch "Die Kunst der Elternliebe" (Beltz). Ein Anwalt der Kinder – auf keinen anderen Pädagogen trifft diese Beschreibung so sehr zu, wie auf Wolfgang Bergmann. Er warb unermüdlich um Verständnis für die Situation der Kinder, vor allem um Verständnis für die kindliche Seele.

Kinder brauchen feste Bezugspersonen


In den letzten Jahren wies er immer wieder auf die Bedeutung hin, die eine feste Bindung für ein Kleinkind hat. Bergmann schreckte auch vor Kritik an Bildungseinrichtungen und gesellschaftlichen Strömungen nicht zurück. Im Interview mit pro hatte er sich gegen die Krippenbetreuung von Kindern unter 18 Monaten ausgesprochen: "Die Ansicht, die zurzeit verbreitet wird, Kinder hätten in der Krippe ein günstigeres Bildungsschicksal und entwickelten sich dort besser, ist durch keine Untersuchung wirklich gut belegt", so Bergmann. Er wies auch darauf hin, dass Kinder unter 18 Monaten nicht gruppenfähig seien. "Sie sind angewiesen auf die vertraute erwachsene Bezugsperson", so Bergmann in der pro-Ausgabe 1/2010.

Kritik an den Auswirkungen der individualistischen Gesellschaft


In seinem Buch "Geheimnisvoll wie der Himmel sind Kinder – Was Eltern von Jesus lernen können" (Kösel) verwendete der Pädagoge Gleichnisse und Jesusworte aus der Bibel und zeigte, wie diese auf alltägliche Situationen im Familienalltag angewendet werden können. Bergmann ging es in dem Buch weniger um den Glauben, als um die Bedeutung der Liebe, vor allem um die Liebe in der Eltern-Kind-Beziehung. Dabei interpretierte er manche Bibelstelle etwas eigenwillig, er war wohl weniger geprägt durch den christlichen Glauben, sondern suchte Parallelen, um auf die Bedeutung der Liebe hinzuweisen. In seinem Buch erzählte der Therapeut von den Gesprächen in seiner Praxis, beispielsweise mit dem 14-jährigen Schulverweigerer oder der 13-Jährigen, die sich selbst verletzt hatte. Sein Augenmerk lag vor allem auf den Kindern. Auf Mädchen und Jungen, die eines gemeinsam hatten: Die verzweifelte Sehnsucht danach, geliebt zu werden.

In Jesus sah Bergmann einen bedeutenden Menschen, der ein ethisches, konkretes und mystisches Beispiel dafür gebe, mit welcher Haltung wir unsere Kinder erziehen sollten. Sein Buch "Kinder sind wie der Himmel" ist allerdings kein reiner Erziehungsratgeber, sondern vor allem eine kritische Betrachtung der individualistischen Gesellschaft und deren Auswirkungen bis hinein in die Familien.

Im Interview mit der "Hannoverschen Allgemeinen" zog der Erziehungswissenschaftler ein Resümee seines Lebens: Er habe in den letzten 20 Jahren das Privileg gehabt, genau das zu machen, was er wolle: Mit Kindern hilfreich zu spielen, Eltern beratend zur Seite zu stehen – und über all das Bücher zu schreiben. (pro)


http://www.FuerKinder.org
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