Ohne Kleider, aber mit Drehbuch im Paradies

Zum x-ten Mal versucht ein Privatsender, in einer künstlichen Fernsehshow echte romantische Gefühle beim Zuschauer zu erzeugen. Diesmal müssen die Kandidaten nackt sein. Eine Fernsehkritik von Jörn Schumacher
Von Jörn Schumacher
„Adam sucht Eva“ heißt die neue Dating-Show auf RTL. Das Besondere diesmal: beide Kandidaten sind nackt.

Nein, „Bauer sucht Frau“ heißt das neue Reality-Dating-Format von RTL nicht, das gibt es ja schon. Stattdessen fährt RTL die Sendung „Adam sucht Eva“ auf – aber sonst ist alles gleich. Zwei gecastete Personen, deren Eitelkeit wenigstens so groß sein muss, dass sie vor einem Millionenpublikum den Anweisungen eines Fernsehteams Folge leisten, müssen so tun, als wenn sie über die Sendung einen Partner finden wollen. Ach ja: und nackt müssen sie sein. Wir sind bei RTL.
Dieses Sendungsformat läuft in den Niederlanden bereits seit dem 4. März 2014 unter dem Namen „Adam zkt Eva“ auf dem Sender RTL 5. Im Grunde kennt der erfahrene Fernsehzuschauer die Machart bereits aus anderen Casting-Shows. Es gibt dieselbe Kommentierung aus dem Off, denselben Wechsel aus scheinbar authentischen Situationen mitten aus dem Leben und Einzel-Statements der Protagonisten, dieselbe Musik im Hintergrund, das immergleiche Moderatoren-Gewäsch. Wenn die Protagonisten nicht nackt wären (und auch das vergisst man nach einiger Zeit), man würde nicht merken, ein neues Format zu sehen, das RTL wie eine Sensation verkauft.
Der Kölner Sender wird seit jeher missverstanden als große Unterhaltungsanstalt, die durch billige Fernsehproduktionen Geld machen will. In Wirklichkeit dienen die Programmmacher dem hehren Ziel, durch Experimente herauszufinden, wie die Menschen noch besser miteinander auskommen können. Zum Glück erklärt RTL nun auch zur neuen Sendung, die am Donnerstagabend startete, worum es hier wirklich geht: Zwei junge Menschen, ein Mann und eine Frau, die leider schon lange Single sind, suchen ihren Traumpartner. RTL bringt sie für zwei Tage und eine Nacht auf eine kleine Insel in der Südsee (mit dem Namen Apari Toerau, um genau zu sein).
Der Sender spricht vom „wohl spannendsten Sozial-Experiment des Jahres!“ Denn: „Hier zählt nur die nackte Wahrheit! Hüllenlos wie Gott sie schuf, treffen Adam und Eva im Paradies aufeinander und können sich nicht mehr hinter Make-up und Designerklamotten verstecken. Vielmehr müssen sie mit Natürlichkeit und Charme von sich überzeugen.“ Und wie wir alle wissen, ist die Kleidung das eigentliche Hindernis dabei, einen Menschen wirklich kennen zu lernen.
Der Sender stellt den beiden in dem mit TV-Kameras ausstaffierten Paradies eine romantische Hütte „zum Träumen und Kuscheln“ zur Verfügung. Die hat zugegebenermaßen einen umwerfenden Ausblick. Was nachts passiert, halten – Fans von Reality-Formaten kennen das – Nachtsichtkameras fest.

Die Schlange ist auch dabei

Die ersten beiden Kandidaten der Show, die vier Folgen umfassen soll, sind Ricarda (23), Medizinstudentin aus Köln, und Thomas (27), Berufsberater ebenfalls aus Köln. Die Unsicherheit bei allen „Reality“-Formaten besteht natürlich auch hier: Sind es wirklich verzweifelte Singles, die nun zum letzten Mittel greifen und zu RTL gehen, um endlich ihren Traumpartner zu finden, oder sind es doch nur unfassbar eitle Menschen, die ihre Schönheit und/oder Coolness endlich einem größeren Publikum präsentieren wollen und letztendlich auf die Ideen der Redakteure angewiesen sind, wenn es darum geht, den Mund aufzumachen.
Wir befinden uns zwar im „Paradies“, aber auch da ist der Moment des ersten Kennenlernens nicht magischer als in der Disco. Adam und Eva, beziehungsweise Ricarda und Thomas, gehen (splitterfasernackt) aufeinander zu, die Südsee glitzert im Hintergrund, Gott schaut von oben zu, und dann kommt der knisternde Moment. Aber leider geht er sofort kaputt, als Adam und Eva schließlich zu sprechen anfangen müssen. „Und, wie geht’s?“ „Wo kommst Du her?“ Mehr ist in einem künstlichen Fernseh-Paradies nicht drin. Fehlt nur noch Kennenlernfloskel Nummer eins, „Bist Du öfters hier?“
Die Dialoge bleiben im weiteren Verlauf ebenso stumpf wie die peinlichen Einwürfe der Moderatorin, die wie gewohnt als Floskelmaschine fungiert. („Ja, da geht doch was zwischen Ricarda und Thomas. Am Anfang waren die beiden ja noch ein bisschen schüchtern, aber nach der ersten gemeinsamen Nacht war das Eis dann doch gebrochen.“ etc.) Ricarda zu ihrem Adam: „Reisen ist echt so mein Lebenselexier einfach irgendwie so ein bisschen.“ Thomas: „Ja, das hält einen wach.“ Für beide ist natürlich sofort klar: die „Lebenseinstellung“ passt, man ist auf einer Wellenlänge. Das wird was.
Aber ein ordentliches Paradies braucht auch eine Schlange. Die Fernsehmacher haben sich den Gastwirt Ricardo ausgeheckt, der vor allem durch ein Merkmal auffällt: Er hat einen blendend gut gebauten Körper, und das ist dann auch schon das Wichtigste in seinem Leben („Mein Körper ist quasi mein Zuhause“). Wird sich Ricarda nun für den einfühlsamen Thomas entscheiden oder für den Muskelprotz Ricardo? Geist oder Fleisch?
Der Verdacht, dass das Ganze komplett von Redakteuren ausgedacht ist, drängt sich nach kurzer Zeit auf. Dass Ricarda wirklich einfach mal so allein am Strand entlangspaziert um Muscheln zu sammeln und dort dann auf ihren zweiten Adam trifft, ist dann ebenso unglaubwürdig wie ihre Reaktion darauf. Ricarda hat genau einen Satz für die erste Begegnung mit Ricardo auswendig gelernt, und den wiederholt sie dann brav immer wieder: „Ich hab hier einfach nur Muscheln gesammelt, und auf einmal steht hier noch ein Adam vor mir.“
An das Konzept „Paradies“ halten sich die Programmmacher konsequent, ebenso wie die beiden Protagonisten. Und was macht Gott im RTL-Paradies? Der Sender hat bisher nichts dazu verlautbaren lassen. Aber man darf annehmenen, dass Gott eher wenig RTL guckt. (pro)„Adam sucht Eva – Gestrandet im Paradies“: RTL, vier Folgen, ab 28. August, um 22.30 Uhr

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