In dem Film "Halt auf freier Strecke" konfrontiert Regisseur Andreas Dresen den Zuschauer mit dem langsamen Sterben eines Menschen. Der im Dokumentarstil gehaltene Film verzichtet dankbarerweise auf vorschnelle Erklärungs- oder Beschönigungsversuche. Dennoch fehlt dem "metaphysikfreien" Zugang ein entscheidender Aspekt.
Von PRO
Foto: Pandora Film
Eben hat man sich noch ein Leben aufgebaut, ein kleines Haus mit schöner Aussicht gekauft. Kein Luxus, sondern das, was der Verdienst als Paketzusteller und als Straßenbahn-Führerin so hergibt. Und dann spricht der Arzt den medizinischen Befund aus: Frank Lange hat ein Krebsgeschwür im Gehirn, man kann es nicht wegoperieren, nur bestrahlen. Es bleiben nur noch wenige Monate zu leben. "Das ist schon ziemlich bösartig", bringt es der Arzt auf den Punkt.
Das Ehepaar Lange weiß zunächst nichts zu fragen. Anstatt dessen fährt die Kamera, wie den ganzen Film über, nahe an gefaltete Gesichter heran. Am Anfang des Films liest man an diesen ab, wie die Betroffenen die Bedeutung des Befundes für die eigene Lebenswelt zu verstehen versuchen. Später, wie die Angehörigen um die richtige Haltung ringen. So richtig gelingt aber beides nicht.
Humor und Realismus
Also hält man sich an das Fassbare, in diesem Fall das iPhone. Dessen Videofunktion nutzt Frank als persönliches Tagebuch, und dieses wiederum als eine Art Selbsttherapie, gespickt mit humorvollen Elementen. Selbiges gilt auch für die Ebene des Films: Der personifizierte Tumor tritt als Gast bei "Harald Schmidt" auf. Später ist die Entwicklung des "Tumors von Frank Lange" dem öffentlichen Radio eine Nachricht wert.
Diese kleinen humorvollen Grenzüberschreitungen sind das einzige, was der Film an Beschönigungen zulässt. Alle weiteren Versuche, etwa von Therapeuten, die dem Ehepaar nahelegen, die Krankheit als "Freund" zu betrachten, erklärt der Film für ungültig. Dies belegen die ratlosen Gesichter des Paars nach dem Rat der Experten, aber auch die Ärztin, die Tipps für einen realistischen Umgang mit der Krankheit gibt und damit tatsächlich die einzige echte Hilfe ist.
"Das wäre schön, wenn er einschlafen würde"
Ansonsten bleibt die Familie wie auch der Zuschauer sich selbst überlassen. Beide werden Zeuge des langsamen körperlichen und geistigen Verfalls des Familienvaters und müssen damit zurechtkommen. Der Zuschauer weiß, dass in harmlos anmutenden Alltagsszenen jederzeit der Abgrund aufreißen kann, auf den Frank sich zubewegt. Etwa, wenn Frank in das Zimmer der Tochter pinkelt, weil er nicht mehr weiß, wo die Toilette im eigenen Haus ist, oder er krampfartige Anfälle bekommt. Der Film erspart dem Zuschauer in diesen Szenen fast nichts, und es wird nachvollziehbar, dass die geplagte Ehefrau im Tod des Mannes auch einen Gnadenakt sehen kann.
Die Pointe des Films liegt aber in seiner subtilen Ironie. Sie zeigt sich, wenn die Familie zu Weihnachten "O Tannenbaum" singt, eine Ode an die gleiche Natur, die Frank gerade so zusetzt. Einmal mehr ist die Familie um eine Frage verlegen, diesmal um die Frage, ob der Mensch nicht auch mehr sei als diese Natur. Diese Frage ist nicht einmal eine spezifisch religiöse, gehört sozusagen zum Menschsein dazu. Inmitten des eigentlich christlichen Festes ist sie zudem mit Händen greifbar. Dass anstatt dessen der Griff nach dem iPhone erfolgt, ist der einzige unrealistische Aspekt des Films. (pro)
Andreas Dresen: "Halt auf freier Strecke" Deutschland 2011, Pandora Film, 110 Minuten, Filmstart: 17. November 2011
http://halt-auf-freier-strecke.pandorafilm.de/
Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.
Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.
Cookie-Zustimmung verwalten
Um dir ein optimales Erlebnis zu bieten, verwenden wir Technologien wie Cookies, um Geräteinformationen zu speichern und/oder darauf zuzugreifen. Wenn du diesen Technologien zustimmst, können wir Daten wie das Surfverhalten oder eindeutige IDs auf dieser Website verarbeiten. Wenn du deine Zustimmung nicht erteilst oder zurückziehst, können bestimmte Merkmale und Funktionen beeinträchtigt werden.
Funktional
Always active
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Externe Inhalte / Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.