Der FDP-Politiker Lindner forderte in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Montag mehr staatliche Neutralität gegenüber den Religionen. In der aktuellen Debatte um den Islam in Deutschland sei "zu viel von Religion und zu wenig von Republik die Rede", so der FDP-Generalsekretär. Er schrieb weiter: "Das Christentum ist nicht die deutsche Staatsreligion, sondern ein persönliches Bekenntnis der Bürger." Die Wurzeln der deutschen Verfassungsidee lägen in Athen und Rom, so Lindner, ihre Prinzipien seien seit der Französischen Revolution erkämpft worden – "oft genug gegen den Widerstand der Kirchen".
Zur Bürgertugend gehört nach Ansicht des FDP-Politikers "die unbedingte Akzeptanz" des Staates, seiner Gesetze und Repräsentanten. "Wir wollen, dass Migranten mit diesen Tugenden zu Mitbürgern werden – unabhängig von privater Frömmigkeit", schreibt Lindner. Nach seiner Einschätzung lassen "die alten Prägekräfte von Religion und Nation nach, neue kulturelle und kosmopolitische Einflüsse nehmen zu". Diese Vielfalt sei "ein Freiheitsgewinn, wenn wir die Frage nach der verbindenden Identität republikanisch beantworten: Menschen unabhängig von Herkunft, Glaube oder Geschlecht können als Bürger mit gleichen Rechten und Pflichten am politischen Gemeinwesen teilhaben".
Lindner erklärte, dass Ministerpräsidenten "mindestens formal an der Besetzung von Bischofsitzen" beteiligt seien. Seit der Säkularisierung vor zwei Jahrhunderten zahle die öffentliche Hand zudem – unabhängig von der Kirchensteuer und weiteren zweckgebundenen Zuwendungen – jährliche Dotationen an die christlichen Kirchen: trotz der Sparzwänge in den Länderhaushalten seien das gegenwärtig mehr als 450 Millionen Euro.
Kirchen widersprechen
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wies Lindners Darstellung zurück. Bei den kritisierten jährlichen staatlichen Leistungen handele es sich "nicht um Wohltaten der Bundesländer gegenüber den Kirchen oder willkürliche Privilegien, sondern um Rechtspflichten", die größtenteils aus Enteignungen der Kirchen vor 200 Jahren resultierten. "Das Alter dieser Rechtsverpflichtung ändert an ihrer Qualität nichts", sagte ein Sprecher der EKD laut einem Bericht von "Welt Online". Für die konkreten Bezüge der evangelischen Bischöfe und anderer Amtsträger kämen übrigens die Landeskirchen selbst auf. Hier irre sich Lindner.
Ähnlich wie Lindner vertritt der im Sommer angekündigte "Laizistische Arbeitskreis der SPD" die Ansicht, die im Grundgesetz verankerte weltanschauliche Neutralität des Staates werde nicht umfassend durchgesetzt. Der Arbeitskreis hat am Wochenende den ostdeutschen Sozialdemokraten Rolf Schwanitz zu einem der sieben Sprecher gewählt. Schwanitz war bis vor fünf Jahren Staatsminister im Bundeskanzleramt.
"Deutschland hat keine Staatskirche", betonte der SPD-Politiker am Montag im Gespräch mit dem "Deutschlandfunk". Man sei gegenüber den Kirchen und den Gläubigen jedoch selbstverständlich tolerant, fügte er hinzu. Der laizistische Arbeitskreis fordert unter anderem die Abschaffung von Gottesbezügen aus dem Grundgesetz und aus Eiden, das Ende von Staatsleistungen an die Kirchen und von der finanziellen Unterstützung bei der Ausbildung von Geistlichen, auch von Imamen. Diese Forderungen seien "ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Entwicklung", so Schwanitz im "Deutschlandfunk". Denn etwa ein Drittel der Deutschen sei konfessionsfrei. Der Politiker fügte hinzu: "Wir haben auch durchaus Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in unserem Kreis, die Christen sind, die Buddhisten sind, die Moslems sind."
Der katholische Erzbischof Robert Zollitsch kommentierte dies am Montag im selben Sender mit den Worten: "Wir hoffen, dass sich die Idee eines laizistischen Arbeitskreises nicht in der SPD beheimaten wird." Die Anerkennung eines solchen Arbeitskreises träte hinter eine Entwicklung zurück, die die SPD über viele Jahrzehnte hinweg auf die Kirchen zu gemacht habe.
Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel betonte am Montag in Berlin, dass es sich bei dem Arbeitskreis um einen privaten Zusammenschluss von Parteimitgliedern handele. Beim SPD-Parteivorstand gebe es keinerlei Bestrebungen zur Einsetzung eines solchen Arbeitskreises. Und selbst wenn ein Antrag gestellt würde, sehe er nur geringe Chancen auf eine Umsetzung.
Nils Opitz-Leifheit, einer der Initiatoren des laizistischen Arbeitskreises, sagte hingegen gegenüber dem "Evangelischen Pressedienst" (epd), seine Gruppierung habe beim SPD-Vorstand die offizielle Gründung des Arbeitskreises mit dem Namen "Laizisten in der SPD" beantragt. An dem Vorbereitungstreffen hätten 50 Sozialdemokraten teilgenommen, es gebe zudem mehr als 400 Unterstützer. (pro)