Nichts k(l)ickt so gut wie Pornos!?

Weltweit locken 1,3 Milliarden Internetseiten mit pornografischen Inhalten. Digital sind Pornos überall und dauerhaft verfügbar, obwohl die Folgen verheerend sein können. Eltern, Schulen und auch christliche Gemeinden sind bei dem Thema gefordert.
Von Johannes Blöcher-Weil
Porno-Konsum ist für viele Menschen ein Problem, dem sie gerne entkommen möchten

Sebastian Buss kann sich noch genau an sein erinnern, wie sein Leben aussah, als er das erste Mal einen Porno schaute: „Ich war zwölf Jahre und hatte keine gefestigte Persönlichkeit.“  Zudem trennten sich damals seine Eltern und die Mutter kümmerte sich alleine um die vier Kinder. Aus Neugierde wurde eine Abhängigkeit. Es dauerte Jahre, bis er sie überwunden hat. Buss wünschte sich eigentlich stabile, persönliche Beziehungen.

Aber die Pornos isolierten ihn immer mehr: zum einen weil er seine Zeit mehr mit Pornos zubrachte als mit Hobbys, zum anderen, weil er sich mit seinem Problem allein fühlte. „Ich habe mega gelitten“, sagt er. Er wollte damit aufhören, doch er schaffte es nicht. Weil es damals noch keine YouTube-Videos oder Tutorials gab, die ihm erklärten, wie ein Ausstieg gelingen könnte, kämpfte er lange mit und gegen die Sucht. Irgendwann vertraute er sich einem Freund an und merkte, dass er nicht alleine war.

Drei Prozent aller erwachsener Männer in Deutschland sind von einer Pornografie-Nutzungsstörung betroffen, weiß Rudolf Stark. Das sind ungefähr 750.000 Menschen. Stark ist Professor für Psychotherapie und Systemneurowissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Die Zahl der Frauen liege deutlich darunter, dazu gebe es aber kaum belastbare Studien.

Stark erforscht seit 15 Jahren, wie das Gehirn auf Pornografie reagiert: „Der Konsum aktiviert Bereiche, die wir aus anderen Studien über Suchtforschung kennen.“ Kommt jemand von der Arbeit und schaut dann immer Pornos, vermittelt das dem Gehirn eine Routine und das Verhalten geht in Fleisch und Blut über, erklärt er. Der Körper schüttet Dopamin aus und sendet das Signal, dass etwas Wichtiges geschehe. Je häufiger dies wiederholt wird, desto schwerer lässt sich der Impuls unterdrücken.

Zwanghafte Verhaltensstörung

Pornografie-Nutzungsstörung (PNS) wird als „zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung“ klassifiziert. Sie zählt damit zu den Impulskontrollstörungen. Für die Diagnose muss mindestens einer der folgenden Punkte erfüllt sein:

  • sexuelle Aktivitäten werden zum Lebensmittelpunkt und andere Aktivitäten vernachlässigt
  • mehrere nicht erfolgreiche Versuche das problematische Verhalten zu kontrollieren
  • Fortsetzung des problematischen Verhaltens trotz negativen Konsequenzen in Beziehung und Beruf
  • Fortsetzung des problematischen Verhaltens, obwohl die Befriedigung kaum vorhanden ist

In ihrem aktuellen Projekt „PornLoS“ möchten die Gießener Wissenschaftler um Stark erforschen, wie nützlich psychotherapeutische Ansätze sind und wie man Behandlungen vernetzen und deren Formen optimieren kann. Finanziert wird das Projekt mit fünf Millionen Euro vom Gemeinsamen Bundesausschuss. Dieses Gremium entscheidet darüber, welche Leistungen Krankenkassen bezahlen und später als Routinetherapien eingesetzt werden. Ergebnisse sollen Ende 2026 vorliegen.

Viele leiden an ihrem Konsum

Sebastian Buss zog mit 19 Jahren einen Schlussstrich unter Pornos. Dabei halfen ihm klare Tagesstrukturen, eine gesunde Ernährung und stabile Beziehungen. Doch das Thema begleitet ihn auch jetzt noch. Der Christ arbeitet als „Porno-Coach“  für Männer. Buss sagt, dass laut aktueller Studien jeder fünfte Mann zwischen 31 und 40 Jahren täglich Pornos schaue und 53 Prozent wöchentlich. Das Smartphone habe den Konsum gesteigert und erleichtert: auch am Arbeitsplatz.

Dabei gehe es den Männern oft gar nicht um unbefriedigte sexuelle Bedürfnisse. Für die Hälfte von ihnen seien es andere vernachlässigte Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken und Sport, die sie konsumieren lassen. Weitere 40 Prozent schauten Pornos, weil emotionale Konflikte nicht gelöst seien: „Viele suchen den Kick irgendwann in illegalen Videos“, sagt Buss. Darin könne es um Gewalt und Fetische gehen, im schlimmsten – und kriminellen – Fall um Sex mit Kindern. Buss möchte diese Negativspirale unterbrechen und den Männern helfen, und ihnen Selbstachtung zurückgeben. Der Theologe reflektiert mit seinen Klienten ihre inneren Konflikte und überlegt, wo und warum sie von Pornos getriggert werden. Sie stammen aus allen sozialen Milieus und Altersstufen.

„Wir sollten mit Kindern altersgerecht darüber sprechen, wie sie mit Inhalten umgehen, die sie verängstigen oder erregen.“

Gabriel Kießling vom Weißen Kreuz

Buss und Stark beobachten ähnliche Dinge, unter denen die Betroffenen leiden. „Viele bringen durch ihren Konsum ihre Beziehung in Gefahr. Dabei wäre es doch schön, wenn sie erfüllende Sexualität erlebten“, sagt Buss. Perspektivisch leide auch die Gesellschaft. Schon jetzt fehlten Therapieplätze. Zudem hätten Menschenhandel und Prostitution eine zu starke Lobby. „Pornografie ist ein Gesicht der Prostitution“, heißt es dazu auf der Website der Aufklärungsorganisation „Safersurfing“. Menschen würden bei der Produktion von pornografischem Material ausgebeutet.

Auch viele von Starks Studienteilnehmern wünschen sich ein Leben ohne Pornografie: „Sie leiden unter dem Konsum und merken, wie sexuelle Fantasien ihr Leben beherrschen.“ Dies bestätigt auch Gabriel Kießling vom Weißen Kreuz, einer Organisation die deutschlandweit Betroffene professionell berät. „Früher gab es Pornografie hinter dem Vorhang einer Videothek“, erzählt Kießling. Digitale Medien hätten dafür gesorgt, dass das Material anonym, kostenlos, immer, überall und ohne Wartezeit verfügbar sei: „Betroffene sagen mir Sätze wie ‚In meinem Leben kickt nichts so gut wie Pornos!‘“  Viele litten auch unter einem geringen Selbstwertgefühl: „Sie möchten nicht konsumieren, tun es aber doch. Sie sind permanent mit ihrer inneren Schwäche konfrontiert.“

Jugendlichen gesunde Sexualität vermitteln

Vor allem Menschen mit einer christlichen Haltung könnten diese Dissonanz nur schwer ertragen. „Sie geraten in eine Glaubenskrise, weil sie nicht wissen, ob Gott ihre Reue noch ernst nimmt.“ Um ihnen zu helfen, haben das Weiße Kreuz und ERF Medien den Online-Kurs „Raus aus der Porno-Falle“ entwickelt: „Ein Schlüssel besteht darin, herauszufinden: Was gewinnst du, wenn du nicht mehr konsumierst und wie kannst du deinen individuellen Bedürfnissen sinnvoll begegnen?“, erklärt Kießling.

Auch Sebastian Buss ist in diesem Bereich aktiv und hat 2012 mit anderen den Verein „PAID e.V. (PornoAufklärungsInitiativeDeutschland)“ gegründet. Die Mitarbeiter sprechen an Schulen über Pornografie, bis zu zweimal im Monat. Sie versuchen über negative Folgen der Pornografie aufzuklären und Jugendlichen das Bild einer gesunden Sexualität zu vermitteln. Je früher dies gelinge, desto besser, meint Buss. Im Schnitt sehen Kinder mit elf Jahren ihren ersten Porno und haben mit 17 Jahren erstmals Sex. Die Zeit dazwischen sei prägend für den Umgang mit Sexualität. Für viele Schüler sei der Besuch der Experten oft die einzige Möglichkeit, offen über das Thema zu reden und Fragen zu stellen.

Foto: privat
Sebastian Buss hat den Weg aus der Abhängigkeit geschafft. Jetzt möchte er anderen Männern dabei helfen, auch den Ausstieg zu schaffen. (Foto: privat)

Für die Geschichten, die die Jugendlichen erzählen, braucht er starke Nerven. Ein Zwölfjähriger wollte die Vergewaltigungsszene eines Pornos mit seiner achtjährigen Schwester nachspielen. Eine Mutter habe ihren elfjährigen Sohn gesehen, wie er Pornos schaute. Der Sohn beichtete ihr, dass ihm die Mitschüler Prügel angedroht hätten, wenn er sich die Seiten nicht ansehe. „Vieles davon ist auch strafrechtlich relevant, wird aber bagatellisiert“, betont Buss.

Und natürlich beeinflussen die sozialen Medien den Umgang. Teenager bekämen über Instagram sexuelle Inhalte in ihre Accounts gespült. Buss erzählt von Mädchen, die auf ihren 18. Geburtstag hinfieberten, um eigene Inhalte zu produzieren und zu verbreiten. Auch dass 80 Prozent aller Achtklässler eigene Kanäle bei Whatsapp hätten, über die sie sich pornografische Inhalte zuschicken, erschwere die Arbeit.

Hilfe finden

Buss und Kießling betonen auch die Verantwortung christlicher Gemeinden bei dem Thema. Dort gebe es ähnliche Nutzerzahlen wie im säkularen Bereich: „Die Gemeinden müssen über das Thema reden und sie sollten es positiv tun“, hofft Buss. Denn Sexualität befriedige nicht nur ein Verlangen, sondern sei auch ein Geschenk Gottes: „Ich lasse mich emotional und seelisch auf mein Gegenüber ein.“

Gemeinden sollten positiv über Sex reden

Kießling wünscht sich, dass die Gemeinden realistisch auf das Thema schauen und sprachfähig sind: „Viele Leiter glauben, dass es das Thema bei ihnen nicht gibt. Andere haben Panik davor, dass die Jugend massenhaft Pornos schaut.“ Christen sollten geschult sein, an einer fehlerfreundlichen Kultur arbeiten und Hilfe anbieten: „Wenn der Eindruck entsteht, alles sei heilig und perfekt, erhöht das den Druck, mitzuhalten.“

Auch Eltern hätten eine besondere Verantwortung. Denn nur ein Bruchteil der Kinder stelle von sich aus Fragen zu dem Thema: „Wir sollten mit Kindern altersgerecht darüber sprechen und ihnen erklären, dass es Pornografie gibt, was es ist, und wie sie mit Inhalten umgehen, die sie verängstigen oder erregen.“ Dafür seien Mama und Papa, egal in welchem Alter, die besten Ansprechpartner, solange sie weder Panik noch Beschämung dabei erzeugen.

Ein kleiner Lichtblick für Buss, Kießling und Stark ist der neue Katalog der Krankenkassen. Dort wird Pornografie-Nutzungsstörung neuerdings als Diagnose aufgeführt. Und zwar dann, wenn Pornografie immer mehr Raum im persönlichen Leben einnimmt und seit sechs Monaten erlebter Kontrollverlust stattfindet. Für Kießling ist das nur ein Anfang. Das Thema gehöre in jeden schulischen Lehrplan sowie in die Ausbildung von Theologen und Gemeindereferenten.

Für Sebastian Buss war sein Ausstieg eine große Befreiung. Pornos hätten ihm ein Bild von Sexualität vorgegaukelt, das nicht der Realität entspreche. Er habe seine Not publik gemacht. Deswegen könne er jetzt anderen Männern Hoffnung vermitteln, denn die meisten verspürten nach dem Porno-Konsum nur Leere.

Der Artikel ist erstmals in der Ausgabe 3/2025 des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Das Heft können Sie hier kostenlos bestellen.

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