Neuer Streit um Kirchenasyl

Spätestens seit das Innenministerium 2018 die Bedingungen für das Kirchenasyl verschärft hat, schwelt ein Konflikt zwischen Behörden und christliche Gemeinden. Die Protestanten beklagen nun: Härtefälle werden kaum noch anerkannt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verwehrt sich gegen die Kritik.
Von Anna Lutz
Die Kirchen üben immer wieder Kritik am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Zuletzt war es ein Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) von dieser Woche, der den Streit zwischen Kirche und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zum Thema machte: Die Evangelische Kirche in Deutschland stelle das sogenannte Dossierverfahren mittlerweile grundsätzlich in Frage, hieß es darin. Laut einem internen Papier sei keine Gesprächbereitschaft mehr vonseiten des Bundesamtes zu erkennen. Die Protestanten erwögen sogar die Aussetzung des Verfahrens.

Zum Hintergrund: Mitte 2018 hat das Innenministerium die Regeln für das Kirchenasyl in Deutschland verschärft. Seitdem gilt: Wenn Kirchengemeinden nicht innerhalb von vier Wochen nach Aufnahme eines Flüchtlings Härtefalldossiers einreichen, kann die sogenannte Überstellungsfrist von sechs auf 18 Monate verlängert werden. Nach Ablauf der Frist tritt die Dublin-Verordnung außer Kraft, das heißt: Für den Geflüchteten ist dann nicht mehr das europäische Land zuständig, das er als erstes betreten hat, sondern das aktuelle Aufenthaltsland – Deutschland. Wer hier Asyl begehrt, kann es dann auch beantragen, selbst wenn er ansonsten unter die Dublin-Regelung gefallen wäre. Kirchengemeinden, die Kirchenasyl gewähren, ist also daran gelegen, dass die Überstellungsfrist möglichst kurz ist. Der Staat hat ein gegenteiliges Interesse. Entsprechend kritisch nahm die Kirche die Verschärfung der Regelungen im vergangenen Jahr auf.

„Nicht erkennbar, dass BAMF sorgfältig prüft“

Auf Nachfrage von pro gab sich die Evangelische Kirche in Teilen beschwichtigend: Die EKD stelle das Dossierverfahren nicht in Frage und beabsichtigt auch keine Aussetzung desselben, teilte ein Sprecher mit. Man sei weiterhin im Gespräch mit dem BAMF. Tatsache sei aber auch, dass die Zahl der so genannten Selbsteintritte in den letzten Monaten drastisch gesunken sei. Ein Selbsteintritt kommt dann zustande, wenn Deutschland sich schon vor Ablauf der Überstellungsfrist zuständig für einen Flüchtling sieht, etwa, wenn deutlich wird, dass die Geflüchteten nicht in der Lage sind, im eigentlich zuständigen Land Asyl zu beantragen. Wann ein Selbsteintritt erklärt wird, liegt im Ermessen des BAMF, Gründe dafür sollen die Härtefalldossiers liefern.

Laut Evangelischer Kirche erklärt das BAMF Selbsteintritte auch in solchen Fällen nicht mehr, für die die humanitäre Notlage dargelegt wurde und wo in vergleichbaren Fällen noch vor wenigen Monaten anders entschieden worden sei. Bei den Ablehnungsbescheiden sei „sehr oft“ nicht erkennbar, „dass das BAMF den vorgetragenen konkreten Einzelfall tatsächlich sorgfältig betrachtet und entschieden hat“.

Die zentrale ökumenische Stelle für Kirchenasyl in Deutschland „Asyl in der Kirche“ übt ebenfalls Kritik: „Das ursprüngliche Ziel der Vereinbarung – gute Kommunikation zu etablieren, um zu guten Lösungen in Kirchenasylfällen zu kommen – ist für uns in dem jetzigen Vorgehen des BAMF kaum mehr erkennbar“, teilen die Sprecher Ulrike LaGro und Dietlind Jochims auf Nachfrage mit. Die Ansprechbarkeit des Bundesamtes habe seit 2016 stetig abgenommen, die Ablehnungsquote sei kontinuierlich gestiegen „auf jetzt fast 100 Prozent“.

BAMF: Stellen Entscheidungen anderer Länder nicht infrage

Gegenüber pro verwehrt sich das Bundesamt gegen die Kritik und spielt den Ball zurück an die Kirchen: Wenn die Dossierbegründungen selbst nur pauschale Ausführungen zur „vermeintlich defizitären Situation“ im zuständigen Mitgliedstaat enthielten, könne auch die Stellungnahme des Bundesamtes nur allgemein sein. Auf alle individuellen Argumente werde grundsätzlich eingegangen.

Das Bundesamt räumt ein, dass im Vergleich von 2018 mit dem Vorjahr tatsächlich weniger Selbsteintritte erklärt wurden: 2017 wurde in 19 Prozent aller eingereichten Kirchenasylmeldungen der Härtefall akzeptiert, 2018 waren es noch 13 Prozent. Zahlen zu den einzelnen Monaten und dem Zeitraum im jahr 2019 lieferte das Bundesamt nicht, verteidigt die geringen Anerkennungszahlen aber: In knapp einem Viertel der Fälle in 2018 etwa seien eigentlich Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland zuständig gewesen. Das Asylbegehren sei dort in vielen Fällen bereits abgelehnt worden. Diese Entscheidungen würden nicht infrage gestellt. Auch in anderen europäischen Staaten wie Italien hätten sich die Bedingungen für Flüchtlinge in vergangenen Jahren verbessert.

Laut BAMF sind die Kirchenasylmeldungen seit Mitte 2018 rückläufig – also seit der rechtlichen Verschärfung der Bedingungen für Kirchenasyl. Bis Ende Juli 2018 waren es im Durchschnitt 167 Meldungen pro Monat, in den ersten drei Monaten von 2019 waren es noch 65. „Der Rückgang der Meldungen ist insofern zu begrüßen, als dass das Kirchenasyl lediglich für absolute Ausnahmefälle mit besonderen Härten vorgesehen ist“, teilt ein Sprecher mit.

„Asyl in der Kirche“ rät den Kirchengemeinden, trotz des schwelenden Streits „gewissenhaft und gut informiert zu beraten und bei der Begründung von Kirchenasylen für das Härtefalldossier ebenfalls sehr sorgfältig vorzugehen“. Vom BAMF wünschen die Christen sich im Gegenzug „wirkliche Ansprechpartner“, die individuelle Einzelfälle „sorgfältig prüfen, humanitäre Notsituationen würdigen und Ermessensspielräume nutzen“. Es wird nicht das letzte Kapitel in dieser Auseinandersetzung sein.

Von: Anna Lutz

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