Neuer Muslim-Rat: Kritik und „schlaflose Nächte“

K ö l n (PRO) - Vier große muslimische Verbände haben am Mittwoch in Köln erstmals einen einheitlichen Dachverband gegründet. Der "Koordinierungsrat der Muslime" (KRM) ist die Folge einer Forderung der Bundesregierung nach einem "Ansprechpartner" für die in Deutschland lebenden Muslime. Soll der KRM irgendwann den christlichen Kirchen gleichgestellt werden?
Von PRO

Wer in Zukunft Fragen etwa zur Haltung der deutschen Muslime zur Imamausbildung, zum islamischen Religionsunterricht oder zum Schächten von Tieren hat, kann sich ab sofort an den „Koordinierungsrat der Muslime“ wenden. Dessen Sprecher nimmt dann Kontakt zu den Vorsitzenden der Mitgliedsverbände auf und versucht, eine gemeinsame Haltung zu finden, die dann der Öffentlichkeit bekannt gegeben wird. Zudem will der KRM in jedem Bundesland eine Anlaufstelle einrichten.

Die vier muslimischen Verbände, die der KRM vertritt, sind der „Zentralrat der Muslime in Deutschland“, die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ (Ditib), der „Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland“ und der „Verband der islamischen Kulturzentren“. Derzeitiger Sprecher des KRM ist Ayyub Axel Köhler, Vorsitzender des Zentralrats. Der Sprecher wird alle sechs Monate gewechselt; das Amt bekleidet stets einer der Vorsitzenden der vier Organisationen. Die vom Verfassungsschutz als islamistisch eingestufte „Milli Görüs“ (IGMG) ist nicht direkt vertreten, wohl aber indirekt: sie ist Mitglied im Islamrat.

Muslime wollen nun „Gegenleistung“ vom Staat

Das Bundesinnenministerium bezeichnete die Gründung des KRM als „wichtigen und guten Schritt“. Zudem sei sie „sicher zum richtigen Zeitpunkt“ erfolgt, um die Gespräche bei der nächsten Islam-Konferenz am 2. Mai „positiv zu inspirieren“.

Für KRM-Sprecher Köhler geht mit der Gründung nach eigener Aussage „ein Traum in Erfüllung.“ Die erste Forderung des neuen muslimischen Rates äußerte Köhler bei der Gründung: Er hoffe eine rasche Gleichstellung mit den beiden großen Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland. Denn nach seiner Meinung hätten die Muslime mit dem Zusammenschluss ihre Bringschuld gegenüber dem Staat teilweise erfüllt und erwarteten nun eine „Gegenleistung des Staates“. Dies sagte Köhler gegenüber der „Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung“.

Auf Steuereinnahmen wie die christlichen Kirchen zielten die Muslime dabei nicht ab. Ein vordringliches Ziel sei stattdessen, den Religionsunterricht für Muslime an deutschen Schulen zu verankern.

Der Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen, der CDU-Politiker Armin Laschet, dämpfte diese Erwartungen jedoch. Eine rasche Einführung eines islamischen Religions-Unterrichts sei keine politische Frage, sondern eine rechtliche. „Dafür muss die Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt sein“, sagte er der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Der Zusammenschluss sei „ein wichtiger Zusammenschluss, ein weiterer, positiver Schritt hin zur Konsolidierung des Islams und zur Schaffung einer einheitlichen Vertretung aller Muslime in Deutschland“, sagte der Minister gegenüber der „Netzeitung“. Er mahnte gleichzeitig an: „Doch der Koordinierungsrat kann nicht das Endstadium sein, denn er vertritt nur die Muslime, die in den vier Mitgliedsverbänden organisiert sind.“

Akgün: „Muslimischer Dachverband bereitet mir schlaflose Nächte“

Noch vor der Gründung des KRM sagte die Islam-Beauftragte der SPD, die Bundestagsabgeordnete Lale Akgün, dem „Rheinischen Merkur“: „Es würde mir schlaflose Nächte bereiten, wenn diese vier Organisationen einen gemeinsamen Dachverband gründen und dann die Definitionsmacht über den Islam in Deutschland bekommen. Diese vier Verbände zusammen würden einen sehr konservativen Islam vertreten. Da wäre kein Platz mehr für liberale Ansichten.“

Nur 15 Prozent der Muslime in Deutschland vertreten

Kritisch merken viele Kommentatoren an, dass der neue „Koordinierungsrat“ längst nicht alle Muslime in Deutschland vertrete. Die „Westfalenpost“ etwa schrieb: „Von einer annähernd repräsentativen Situation kann auch weiterhin leider nicht die Rede sein. Die ohnehin höchst mühsam zusammengefundenen Vereinigungen stehen lediglich für etwa 15 Prozent der 3,5 Millionen Muslime in unserem Land. Dass ihr Sprecher zudem alle sechs Monate im Vierergremium reihum wechselt, lässt auf keine große Kontinuität in der verbalen Außenwirkung hoffen.“

Die „Stuttgarter Nachrichten“ erkennen gleich vier kritikwürdige Punkte: „Erstens: Die vier Gruppen kooperieren nur auf der untersten Stufe; zur Gründung eines Dachverbandes war man weder fähig noch willens. Zweitens: Sie sprechen allenfalls für 15 Prozent der hier lebenden Muslime. Und drittens: Alle vier sind sich einig, dass Mädchen in der Schule Kopftuch tragen und dass Männer und Frauen gesellschaftlich getrennt sein sollten. Was zeigt: Auch dieser Moscheeverein-Rat vertritt einen sehr konservativen Islam.“

Dennoch denken viele wie die „Westfalenpost“: „Es ist ein erster Schritt, die traditionell zersplitterten Moslem-Gruppen als eine verantwortungsbewusste Gemeinschaft im politischen wie religiösen Dialog zu erkennen.“

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