Neuer EKD-Ratsvorsitzender Schneider: Klar und verständlich von Gott sprechen

Die Entscheidung ist gefallen - und sie war keine wirkliche Überraschung. Die Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) hat ihren amtierenden Ratsvorsitzenden, Präses Nikolaus Schneider, in seinem Amt bestätigt. Schneider hatte diese Position in Folge des Rücktritts von Margot Käßmann seit Februar 2010 zunächst nur kommissarisch inne.
Von PRO

Aus der EKD-Synode erhielt der Theologe 135 von 143 möglichen Stimmen.
ZumVize-Vorsitzenden wurde der sächsische Landesbischof Jochen Bohl
gewählt. Mit der Wahl, an der Vertreter aus den 22 Landeskirchen
teilnahmen, wurden zwei weitere vakante Positionen besetzt: Die
Gewerkschafterin Edeltraud Glänzer (Hannover) und die Mainzer
Theologie-Professorin Christiane Tietz gehören nun dem 15-köpfigen Rat
der EKD an, der auch als deren "Regierung" gilt.
Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), Jürgen Werth, sagte zur Wahl Schneiders gegenüber pro: "Mit Präses Nikolaus Schneider steht künftig ein Mann an der Spitze der EKD, der immer wieder versucht hat, Glauben und Leben, Kirche und Gesellschaft zusammenzubringen." Das fulminante Wahlergebnis zeige, so Werth, dass er dabei von großem Vertrauen der EKD-Synode getragen werde. "Als wichtigste Aufgabe der Kirche hat er während der Synode benannt: In Christus gegründet klar und verständlich von Gott reden. Hier hat er die uneingeschränkte Unterstützung der Deutschen Evangelischen Allianz. Ich freue mich, dass wir trotz einiger Differenzen in theologischen oder politischen Einzelfragen in einem vertrauensvollen Gespräch sind und bleiben. Ich wünsche ihm und seinem Stellvertreter, Bischof Jochen Bohl, von Herzen Gottes guten Segen."

"Öffentlich zum Leben aus dem Evangelium einladen"

Ein ähnlich positives Fazit zur Wahl zieht auch der Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes Michael Diener gegenüber pro. Präses Nikolaus Schneider habe in der Zeit als amtierender Ratsvorsitzender sehr schnell zu seinem eigenen Stil gefunden. "Meines Erachtens zeichnen ihn vor allem tiefes Gottvertrauen, Offenheit, Hörbereitschaft, Glaubwürdigkeit, eine klare Sprache und Teamfähigkeit aus." Zwischen ihm und der Leitung des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes bestehe eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. "Auf dieser Grundlage wird es auch möglich sein, die Fragen geschwisterlich zu erörtern, in denen es erkennbar unterschiedliche Standpunkte gibt. Es ist in unserer Zeit wichtiger denn je, dass evangelische Kirche öffentlich zum Glauben und Leben aus dem Evangelium einlädt und ermutigt", so Diener.

Für die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) gratulierte deren Vorsitzender, der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Braunschweig Friedrich Weber, dem neuen EKD-Ratsvorsitzenden Schneider zur Wahl: "Bereits in den vergangenen Monaten hat er unter Beweis gestellt, dass er dem Protestantismus eine glaubwürdige Stimme verleiht, die auch in der Öffentlichkeit gehört wird. Mutig und verbindlich hat er vor allem zu den ethischen Herausforderungen in unserem Land Stellung bezogen und dabei auch seine ökumenische Grundhaltung stets betont. Deswegen bin ich sicher, dass er in seinem neuen Amt dem christlichen Glauben ein erkennbares Profil verleihen und den Kirchen auf ihrem Weg zu einem größeren Miteinander einen wichtigen Dienst leisten wird: Nikolaus Schneider ist ohne Frage erste Wahl!"

Der neue Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider wuchs als Sohn eines Stahlarbeiters in Duisburg auf und studierte nach dem Abitur evangelische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal sowie  den Universitäten Göttingen und Münster. Nach seiner Ordination 1976 war er zunächst Pfarrer in Rheinhausen, wo er sich für den Erhalt von Arbeitsplätzen in der Kohle- und Stahlindustrie einsetzte.

Später hatte der heute 63-Jährige die Stelle des Diakonie-Pfarrers im Kirchenkreis Moers inne. Zudem war er von 1987 bis 1997 dort Superintendent. 1997 wurde er Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland und sechs Jahre später zum Nachfolger von Manfred Kock als Präses der zweitgrößten deutschen Landeskirche gewählt. Die Landessynode bestätigte ihn im Januar 2005 mit 214 von 232 Stimmen für weitere acht Jahre in diesem Amt.

Den Sorgen der Menschen eine Stimme geben

Schneider gilt als Verfechter einer gerechten, solidarischen und liberalen Gesellschaft. Wie die Nachrichtenagentur dpa schreibt, ist es stets sein Ziel, "den Sorgen der Menschen Ausdruck und eine Stimme geben" zu wollen. Schneider gelang es, nach dem Medienrummel um dem Rücktritt von Margot Käßmann die EKD wieder in ein ruhigeres Fahrwasser zu führen. Der Theologe ist seit 1970 verheiratet und Vater dreier Töchter. Seine jüngste Tochter Meike starb im Februar 2005 an Leukämie.

In einem Beitrag in der "Frankfurter Rundschau" warnte Schneider einmal vor einem zu großen Einfluss multinationaler Unternehmen, weil dies die demokratischen Strukturen gefährde. Zudem kritisierte er ein nur auf Profit ausgerichtetes wirtschaftliches Handeln und warnte vor "sozialer Kälte". 2007 rief er die Muslime dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass Christen in der Türkei Kirchen bauen und dass sie überhaupt Land erwerben und Vereinigungen bilden dürfen. Kurz vor Ostern 2009 beteiligte sich Schneider an der Debatte um die Bedeutung des Todes Jesu. Eine Interpretation des Sterbens Jesu als Opfer für Gott lehnte er entschieden ab. Im September 2009 veröffentlichte der "epd" eine Klarstellung Schneiders, dass Judenmission für Christen unsachgemäß sei. Ein Teil der evangelikalen Christen sieht Schneider darum im Widerspruch zur Bibel.

Kein "Weiter so" in der Afghanistanpolitik

In einem Interview mit der "Zeit" hatte Schneider angekündigt, dass er das politische Engagement seiner Vorgängerin im Falle einer Wiederwahl fortführen und sich nicht nur auf kirchliche Angelegenheiten beschränken wolle. In einem Kirchenwort zu Afghanistan, das Schneider am 25. Januar 2010 mit veröffentlichte, warnt die Evangelische Kirche in Deutschland vor einem bloßen "Weiter so" in der Afghanistanpolitik. Dies würde dem militärischen Einsatz die friedensethische Legitimation entziehen. In seiner Rede vor der EKD-Synode in Hannover stellte Schneider die Frage nach der ethischen Legitimation für einen Afghanistan-Einsatz. Er verlangte eine öffentliche Debatte über die künftige Rolle der Bundeswehr, da klare Zielsetzungen, ein umfassendes Konzept und eine Ausstiegsstrategie fehlten.

Der Theologe kritisierte zudem einen unverantwortbaren Atomkurs: "Wir brauchen eine Energiepolitik, die nicht wieder auf Atomkraft setzt", verdeutlichte Schneider. "Die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken sehe ich deshalb kritisch." Dem Ausbau und der Nutzung regenerativer Energien gehöre die Zukunft. Auf deutliche Kritik Schneiders stieß die Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze durch die Bundesregierung. "Ich sehe mit großer Sorge, dass der Staat dadurch sein ausgleichendes Handeln den Armen gegenüber vermindert." In der Integrationsdebatte kritisierte er pauschale Verurteilungen von muslimischen Zuwanderern.

Streitthema Präimplantationsdiagnostik

Einen Diskurs löste Schneiders Meinung zur Präimplantationsdiagnostik (PID) aus. In der Vergangenheit hatte sich die EKD zwei Mal gegen Embryonentests ausgesprochen. Der neue Ratsvorsitzende empfahl angesichts des medizinischen Fortschritts eine ethische Neubewertung und stellte sich im Rahmen der Synode einer Debatte. Trotz der früheren Absage an eine PID, habe die Kirche auch gesagt, dass der Mensch neue medizinische Verfahren und die Gentechnik in verantwortbarer Weise nutzen könne. Allerdings dürfe Behinderten nicht das Lebensrecht abgesprochen werden.

Die PID wird genutzt, um im Reagenzglas erzeugte Embryonen außerhalb des Mutterleibs auf Erbkrankheiten zu untersuchen und auszuwählen. Mit ihr können aber auch das Geschlecht und weitere Merkmale von Embryonen bestimmt werden. Eine Neuregelung wird diskutiert, weil der Bundesgerichtshof im Juli das bisherige Verbot gekippt hatte. Die derzeitige Regierungskoalition strebt deshalb eine Gesetzesinitiative an. Schneider sagte, es sei zu kurz geschlossen, "wenn mit absoluter Gewissheit postuliert wird: Geburtenverhütung, pränatale Diagnostik, künstliche Befruchtung und die Präimplantationsdiagnostik pfuschen Gott ins Handwerk und negieren das Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer".

Das Hauptaugenmerk Schneiders wird Medienberichten zufolge in Zukunft darauf liegen müssen, in Zeiten schrumpfender Finanzen und einer stärker werdenden säkularen Gesellschaft ein kirchliches Profil zu entwickeln: "Entscheidend für uns wird es sein, ob es uns gelingt, so von Gott zu reden, dass die Menschen uns verstehen, dass es einladend ist", sagte Schneider auf der EKD-Synode in Hannover. Wolle die Kirche überleben und Menschen gewinnen, müsse sie klarer von Gott sprechen, sagt er. Dazu hat die evangelische Kirche 2007 eine Reform ihrer Strukturen angestoßen.

Beim Eröffnungsgottesdienst in der Marktkirche am Sonntag waren unter anderem Bundespräsident Christian Wulff sowie die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, anwesend. Der Katholik Wulff unterstrich in seiner Rede vor der Synode die tragende Bedeutung der Kirche für die Gemeinschaft und den Zusammenhalt der Gesellschaft. "Wir brauchen eine Orientierung in unserem Land auch durch die christliche Botschaft der Liebe zu Gott und zum Nächsten." Deutschland sei von der christlichen Tradition zutiefst positiv geprägt. (pro)

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