Neue Medien verändern arabische Welt

Die modernen Medien verändern besonders arabische Gesellschaften, erklären die Wissenschaftler Carola Richter und Asiem El Difraoui in ihrem Buch „Arabische Medien“. Sie nehmen 18 Staaten unter die Lupe und erklären beispielsweise, warum Dubai als Vorbild heraussticht. Eine Rezension von Dominique Hähnel-Kästner
Von PRO
Die Studios von Al Jazeera English in Doha. Die hier produzierten Sendungen sind weltweit zu sehen
Soziale Medien wie Facebook und Twitter haben bei den Revolutionen des „arabischen Frühlings“ seit 2011 eine große Rolle gespielt. Was aber ist noch bekannt über die Medienlandschaft arabischer Länder? Die Profesorin für internationale Kommunikation in Berlin, Carola Richter, und der Politikwissenschaftler Asiem El Difraoui haben ein Buch über diese und andere Phänomene herausgegeben. Die Autoren haben nationale und pan-arabische Besonderheiten in Nordafrika und dem Nahen Osten erforscht und möchten darüber aufklären. Das wissenschaftliche Buch befasst sich detailreich mit den Mediensystemen in Ländern wie Ägypten, dem Sudan oder Kuwait. Es sind Systeme, die bei der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ auf dem Index der Pressefreiheit auf den hinteren Plätzen rangieren. Die Autoren beginnen im ersten Teil des Buches mit einem Überblick über die historischen und ökonomischen Entwicklungen der Massenmedien. So erfährt der Leser von der ersten Zeitung in der arabischen Welt überhaupt, die in Ägypten 1798 erschienen ist. Oder wie im 19. Jahrhundert die ersten Druckerpressen durch die Franzosen nach Tunesien gelangten. Die Verfasser schildern den Sprung zu Satellitenfernsehen und Radios, die die Länder regelrecht überschwemmten. Die Sender berichten über Ereignisse, wie die Pilgerfahrt gläubiger Muslime nach Mekka oder die Castingshow „Arab Idol“. Dennoch, öffentlich-rechtliche Sender gibt es kaum, bemerken die Autoren, bis heute nicht. Wirtschaft, Politik und Medien sind stark miteinander verwoben und werden, besonders in Kriegs- und Krisensituationen, instrumentalisiert. In einzelnen Kapiteln widmen sich Richter und El Difraoui Minderheiten, sozial Geächteten, Regimekritikern oder Extremisten. So gehen sie unter anderem auf die Situation von Kopten in Ägypten oder Kurden im Irak ein. Auch auf die Frauen und deren Emanzipation in einer von Männern dominierten Welt wollen sie aufmerksam machen. Sie beschreiben die Auswirkungen der sozialen Medien auf die Gesellschaft und sprechen über den Umgang der Medien mit Tabu-Themen, wie das in Frage stellen der traditionellen Geschlechtsidentitäten. Die Verfasser greifen hierzu das Phänomen der sogenannten „Boyahs“ (weibliche Form des englischen Wortes „boy“) auf. Dabei handelt es sich um eine Gruppierung in den Golfstaaten, die sich keiner eindeutigen Geschlechtsidentität zuordnet und sowohl Homosexuelle als auch Transsexuelle einschließt. Von der Gesellschaft als psychisch krank stigmatisiert, finden sie im Internet Zuflucht und Gleichgesinnte.

„Facebook-Revolution“ als Wendepunkt

Im zweiten Teil des Buches kommen weitere Experten zu Wort, die sich 18 arabischen Ländern im Einzelnen widmen. Die Experten beleuchten mit jeder Menge Hintergrundwissen die Medienlandschaften der Länder. So erfährt der Leser, dass der König von Marokko, Mohammed Ben Al-Hassan, 1,5 Millionen Likes auf Facebook hat. Die Neuen Medien seien spätestens nach der „Arabellion“ ein zentraler Bestandteil der arabischen Gesellschaft. Sie würden eine neue Welt eröffnen und jedem eine Plattform bieten, sich auszudrücken. Diese neue Freiheit birgt aber auch Gefahren. So benennen die Experten verschiedene Fälle, in denen es für Berufsjournalisten, Blogger oder andere Aktivisten gefährlich geworden ist. Sie beziehen sich beispielsweise im Fall Libyens auf „Human Rights Watch“, die zwischen 2012 und November 2014 91 Anschläge oder Bedrohungen von Journalisten gezählt hätten, darunter acht Morde und 30 Fälle von Kidnapping. Darüber hinaus habe es 26 bewaffnete Angriffe auf Fernseh- und Radiostationen gegeben. Die Autoren geben die Hoffnung aber nicht auf und sehen große Fortschritte. Für die nahe Zukunft räumen sie besonders Tunesien und dem Libanon die größten Chancen ein, einen adäquaten Umgang mit dem Internet zu finden. Auch Dubai geht neue Wege. Hier sind mit sogenannten „Media Cities“ Freihandelszonen entstanden, die den in- und ausländischen Medienschaffenden einen gestaltungsfreien Raum bieten. In den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es davon insgesamt 32, davon befinden sich 21 in Dubai. Die Sonderverwaltungszonen bieten Medien wie CNN oder der BBC Arbeitsbedingungen unter einer liberaleren Gesetzgebung und ohne Zensur.

Ein Wandel findet statt

Für Richter und El Difraoui steht fest: Das Internet ist die Zukunft in der arabischen Welt für Jung und Alt, Religiöse und Atheisten, Könige oder Untergebene. Hier sei es nicht nur möglich zu konsumieren, sondern überdies zu partizipieren. Es bringe die Bevölkerung dazu, sich einzumischen. So würden aus den Zuschauern Akteure. Damit der Austausch lebendig bleibt, bedürfe es mehr Meinungs- und Pressefreiheit. Hier befänden sich viele der Länder noch in den Kinderschuhen, sagen die Wissenschaftler. Dennoch seien die sich abzeichnenden Veränderungen vielfältig – etwa in der Vernetzung vormals marginalisierter politischer Gruppen oder wiederauflebenden Verbindungen von Bevölkerungsgruppen mit ihren Verwandten in der Diaspora. „Arabische Medien“ ist keine seichte Bettlektüre, sondern ein wissenschaftliches, gut recherchiertes Buch für Personen, die sich für fundiertes Wissen über politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und mediale Entwicklungen der arabischen Länder begeistern. (pro)

Carola Richter, Asiem El Difraoui (Hg.): „Arabische Medien“, UVK Verlagsgesellschaft, 344 Seiten, 44 Euro, ISBN: 978-386764-509-6

https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/weltweit/detailansicht/aktuell/das-fernsehen-der-minderheit-90503/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/al-dschasira-reporter-zu-haftstrafen-verurteilt-88399/
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