Das Internet und soziale Medien übernehmen zunehmend eine große Rolle bei der Radikalisierung junger Menschen. Auch Jugendliche aus stabilen familiären Verhältnissen oder mit christlichem Hintergrund sind nicht dagegen gefeit, in die Szene abzurutschen.
Von PRO
Foto: pro/Norbert Schäfer
Der Politologe Thomas Mücke sieht im sichtbaren Dialog der Religionen eine Chance, Jugendliche vor Radikalisierung zu schützen
Eine Gefahr für die gesellschaftliche Sicherheit geht sowohl von in Deutschland lebenden Islamisten aus, als auch von Dschihadisten, die aus den Bürgerkriegsgebieten in Syrien und im Irak nach Deutschland zurückkehren. Bei einem Gespräch im Deutschen Bundestag haben Experten Mitte der Woche die Bedeutung des Internets für die Radikalisierung von Jugendlichen beleuchtet.
Patrick Frankenberger, Referent für Islamismus im Internet bei Jugendschutz.net, stufte vor allem die vom Islamischen Staat (IS) im Internet verfügbar gemachten Videoclips als „professionell“ ein. „Die Videoclips des IS erinnern an Hollywoodproduktionen“, sagte Frankenberger. Die Videos seien stark auf die Sehgewohnheiten der jungen Zielgruppe ausgelegt. „Wir schätzen das als hochgradig jugendaffin ein“, sagte der Politikwissenschaftler. Die Videos wirkten vor allem auf der emotionalen Ebene. „Angesprochen wird das Herz, nicht das Hirn“, erklärte Frankenberger. Dies sei charakteristisch für die Verbreitung von Propaganda über YouTube, Facebook und Twitter. Diese Kanäle eigneten sich zur Rekrutierung von Nachwuchs, weil die Extremisten so die wichtigsten Zielgruppen leicht erreicht könnten.
Sichtbarer Dialog der Religionen kann helfen
Nach Auffassung von Thomas Mücke, Mitbegründer und Geschäftsführer von Violence Prevention Network, gibt es für den Weg der Radikalisierung von jungen Menschen keine einfachen Erklärungsmuster. „Es gibt nicht den Radikalisierungsverlauf“, sagte Politologe, der sich für die Deradikalisierung extremistisch motivierter Gewalttäter engagiert. Die Annahme, dass radikalisierte Jugendliche aus prekären gesellschaftlichen Verhältnissen stammen, müsse nicht zutreffen. „Es kann auch der Sohn eines Polizeibeamten oder die Tochter einer Lehrerin sein“, sagte Mücke. Die Radikalisierung beschränke sich dabei nicht auf Jugendliche mit Migrationshintergrund. „Es ist nicht vorhersehbar, wen es erwischen kann“, sagte Mücke. Vertreter der extremistischen Szenen verstünden genau, wie sie diese jungen Menschen ansprechen und sie in ihre Szene einbinden könnten. Die „grundsätzlichen emotionalen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen nach Geborgenheit, Halt und Orientierung“ und die Krisen von jungen Menschen nutzten die Extremisten für ihre Zwecke aus, erklärte Mücke.
Danach versuchten die Extremisten, eine „Gehorsamsorientierung zu wecken“ mit dem Ziel, dass der junge Mensch sein eigenes Denken abstelle. „Man gibt den jungen Menschen eine Art Ersatzfamilie“, erläuterte Mücke, der die Szene als „sehr warmherzig“ einstufte, die dadurch ein Gefühl von „Zusammenhalt und Geborgenheit“ bei den Jugendlichen erwecke. Dabei werde „von Anfang an manipulativ gearbeitet“.
Dialog zwischen den Religionen notwendig
Wichtig ist nach Mückes Auffassung, dass auch die Kirchen hervorheben, dass „die interreligiösen Gemeinsamkeiten“ vorhanden sind und Religionen miteinander friedlich leben können. „Wir brauchen zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften einen nach außen sichtbaren Dialog“, erklärte Mücke. Das helfe den jungen Menschen, nicht irgendwelche Feindbilder aufzubauen. Seine Organisation arbeite in präventiven Maßnahmen in Schulklassen so, dass ein Christ, ein Jude und ein Muslim mit den jungen Menschen darüber diskutieren, dass die großen Religionen sehr viele Gemeinsamkeiten hätten und „sich nicht feindselig gegenüberstehen müssen“. Dies sei wichtig, weil gerade in der extremistischen Szene „die anderen Religionen als falsch betrachtet werden und als Feinde, die man zu bekämpfen hat“.
Mücke hat bei seiner Arbeit die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche, die in eine extremistische Szenen abgerutscht sind, zum Teil „aktive christliche Hintergründe“ gehabt hätten. „Junge Menschen aus christlichem Elternhaus sind auch von dieser Thematik betroffen“, sagte Mücke. „Die deutschen Jugendlichen, die [zum Salafismus] konvertieren, kommen auch aus christlichen Elternhäusern“, erklärte Mücke auf Anfrage von pro. Dies könne auch als Protestreaktion gesehen werden. Mücke appellierte an die christlichen Kirchen, den Eltern Hilfsangebote zu schaffen. „Zu glauben, dass das Kind, wenn es aus einem christlichen Elternhaus kommt, geschützt ist vor dieser extremistischen Szene, ist ein Irrtum.“ Bislang unterhalten die Kirchen keine Anlaufstellen, an denen sich Eltern Rat gegen die Radikalisierung ihrer Kinder und Hilfe holen können.
Instant-Messenger-Dienste helfen bei Radikalisierung
Die radikalisierten jungen Menschen, vor allem junge Männer mit muslimischem Migrationshintergrund, hätten oftmals Misserfolge in der Schule oder im Berufsleben gemacht, seien zudem vielfach „orientierungslos oder frustriert“ gewesen, erklärte Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV). Dies führe dazu, sich Gruppierung zu öffnen, in denen die Jugendlichen Anerkennung erhielten. „Der Salafismus bietet diesen Menschen eine Orientierung, ein Schwarz-Weiß-Denken an“, sagte der Verfassungsschützer. „Die jungen Leute, die aus Deutschland zum IS reisen, schicken dann ihre Werbung, das was sie dort machen und wie sie es empfinden, per WhatsApp nach Deutschland“, erläuterte Maaßen. Dadurch könnten Menschen hier schnell angesprochen und so radikalisiert werden.
Neben den sozialen Medien im Internet geschehe dies auch über Instant-Messenger-Dienste. Seine Behörde habe festgestellt, dass Instant-Messenger-Dienste und WhatsApp-Gruppen eine „höhere Attraktivität“ für die Kommunikation hätten als soziale Netzwerke. Weil der IS teilweise „Eventcharakter“ besitze, reisten junge Menschen nach Syrien, um dort ihre Semesterferien zu verbringen.
Nach Angaben von Maaßen geht seine Behörde von derzeit rund 43.000 Islamisten in Deutschland aus. Die am stärksten wachsende Bewegung im islamistisch-extremistischen Bereich ist seinen Angaben zufolge der Salafismus. Die Zahl der Salafisten habe in Deutschland weiter zugenommen. Derzeit lebten etwa 8.600 Salafisten in Deutschland. Dem Salafismus bescheinigte Maaßen „eine ungebrochene Attraktivität für viele Jugendliche“. Das Expertengespräch fand auf Einladung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion statt. (pro)
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