Nazi 2.0

Die Zahl rechtsextremer Web 2.0-Angebote hat sich im vergangenen Jahr verdreifacht. Das haben Experten am Donnerstag in Berlin erklärt. Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, sprach von einer "dramatischen Zuspitzung" der Lage im Mitmach-Web.

Von PRO

Ihr Markenzeichen sind weiße Masken. Mit Fackeln und verborgenem Gesicht ziehen sie durch die Straßen Bautzens oder Hannovers. Jeder Internetnutzer kann ihre Aufmärsche auf YouTube sehen. Untermalt mit sakral-klassischer Musik leuchten auf dem Bildschirm zwei Botschaften auf. "Dein kurzes Leben mach unsterblich", fordern die Maskenmenschen, und: "Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du Deutscher gewesen bist." Hochemotional wirbt die nationalistische Gruppe "Die Unsterblichen" so im Internet – auf der Videoplattform YouTube, im sozialen Netzwerk Facebook oder auch beim Nachrichtendienst Twitter wollen sie auf einen "Volkstod der Deutschen" aufmerksam machen. Und die Mitglieder sind bei weitem nicht die einzigen Rechtsextremen, die das Web 2.0 für sich entdeckt haben.

6.000 rechtsextreme Beiträge hat die Organisation "jugendschutz.net" im Jahr 2010 dokumentiert. Am Donnerstag stellten die Mitarbeiter ihre Untersuchungsergebnisse gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und der "Online-Beratung gegen Rechtsextremismus" in Berlin vor. Demnach hat sich die Web 2.0-Präsenz der Rechten im vergangenen Jahr verdreifacht. Videos wie die der "Unsterblichen" erreichen bei YouTube zehntausende User. Bei Facebook machen sie aus ihrem bösartigen Gedankengut eine Marke: Embleme mit dem typischen Konterfei des weiß Maskierten kann sich jeder Nutzer dort herunterladen.

Jugendliche durch die Hintertür bekommen

Doch auch Musik ist ein "tragendes Element der Propaganda", erklärte Stefan Glaser von Jugendschutz.net am Donnerstag. Immer öfter tauchten etwa rechtsgerichtete Hip Hop-Videos auf – und das, obwohl diese Musikrichtung so gar nicht in die Szene passt. So wollen die Nationalisten die "Jugendlichen durch die Hintertür bekommen", sagte Glaser. Schließlich verkörpere auch ein cooler Rapper mit weißer Maske schon eine Marke, die junge Menschen anziehe. Oft sei die Masche der Neonazis zudem politisch verpackt. Mit kritischen Videos und Beiträgen zu Themen wie Kindesmissbrauch oder dem Atomausstieg machten sich Gruppen wie die NPD zusätzlich bekannt. Und das zunächst ganz ohne die Offenbarung ihrer rechtsextremen Ausrichtung. Die Partei werbe etwa mit Onlinespielen, in denen die Nutzer Genmais abschießen oder Euromünzen sammeln sollten, klärten die Jugendschützer auf. Schaut sich der User ein Video dieser oder anderer Gruppierungen bei YouTube an, ist er oft nur wenige Klicks von rechtsgerichteten Foren entfernt – Verlinkungen anderer Nutzer machen es möglich. So habe etwa ein rechtsextremes Musikvideo zum Thema Kindesmissbrauch bis dato 900.000 Klicks erzielt. NPD-Landesverbände setzten zudem auf die Verbreitung von "Schulhof-CDs" mit rechten Inhalten. Ein ähnliches Produkt namens "Gegen den Strom" werde unter anderem auf MySpace beworben.

Gegen die Einflussmöglichkeiten der Nationalisten vorzugehen, ist im Mitmach-Netz schwierig. Glaser rät dazu, bei auffälligen Inhalten umgehend den Provider zu informieren und auf eine rasche Entfernung zu drängen. Gerade bei rechtsextremen Kommentaren weigerten sich die Seitenbetreiber aber häufig, die Aussagen oder Links zu löschen. Legal ist das allemal. Nur ein Teil der rechtsgerichteten Web 2.0-Inhalte sind gesetzeswidrig, erklärten die Fachleute. Nicht selten würden die zwielichtigen Inhalte nach einer Entfernung zudem einfach erneut von den Urhebern hochgeladen.

Ein weiteres Problem sieht Martin Ziegenhagen von der "Online-Beratung gegen Rechtsextremismus" in der mangelnden Medienkompetenz vieler Eltern. Weil sie sich in den Medienwelten ihrer Kinder nicht auskennen, hätten Neonazis "leichtes Spiel", erklärte er. Bpb-Präsident Krüger rief auf: "Wir dürfen der Hasspropaganda nicht das Feld überlassen." Dass das Web 2.0 auch Chancen für die Demokratie biete, hätten nicht zuletzt die Revolutionen in der arabischen Welt gezeigt, waren sich die Fachleute einig. Nun müsse die Netzgemeinschaft aber auch im Bereich Rechtsextremismus aktiv werden – und sich selbst regulieren. (pro)

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