Freikirchen kritisieren Gewalt-Studie

Führende Vertreter der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) haben eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) für ihre verallgemeinernden Aussagen kritisiert. Laut der Studie erleben „evangelisch-freikirchliche“ Kinder häufiger und schwere familiäre Gewalt als Kinder aus evangelischen oder katholischen Familien. Doch welchen Freikirchen die Befragten angehören, taucht in der Studie nicht auf.
Von PRO

Gewaltfreie Erziehung sei Konsens innerhalb der VEF, sagte der Präsident der Vereinigung, Ansgar Hörsting. „Die von Professor Pfeiffer in Interviews vorgetragenen Beispiele für gewaltsame Erziehung sind uns zutiefst fremd.“  Zudem sei die freikirchliche Landschaft in Deutschland viel zu heterogen, als dass man sie über einen Kamm scheren könne. Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, fragt auf seinem Facebook-Profil: „Ist seriöser Journalismus und seriöse Forschung überhaupt noch zu erwarten? Unglaublich unkritisch wird im öffentlich-rechtlichen Sender NDR gegen freikirchliche Christen berichtet – oder muss man schon ’gehetzt‘ sagen?“

Der NDR berichtete am Dienstag über die Ergebnisse der Studie und die Reaktionen darauf. Peter Jörgensen, Beauftragter der VEF am Sitz der Bundesregierung, sagte in der Sendung Niedersachsen 18.00: „Ich halte diese Studie für recht ungenau und aufgrund ihrer unpräzisen Herangehensweise auch für unseriös, weil sie zusammenschmeißt, was differenziert werden muss.“ Er hält es für nötig, genau zu schauen, wo Formen häuslicher Gewalt stattfinden, um an den richtigen Stellen Maßnahmen ergreifen zu können. Die Freikirchen hätten dem KFN schon mehrfach ihre Expertise dafür angeboten, das diese aber noch nie in Anspruch genommen habe. Der Direktor des Instituts, Christian Pfeiffer, „bleibt dabei, sich die Sache oberflächlich anzuschauen, was wir ihm zum Vorwurf machen“. Jörgensen verwies in einer Pressemitteilung zudem auf Kinder- und Jugendschutzinitiativen verschiedener Freikirchen, wie „Sichere Gemeinde“ des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) und „Ein Notfallplan“ der Evangelisch-methodistischen Kirche.

Christliche Tradition erzieherischer Gewalt?


Für die Studie „Christliche Religiosität und elterliche Gewalt“ des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen wurden die Daten zweier repräsentativer Befragungen mit Schülern von 2007 und 2008 sowie mit 16- bis 40-Jährigen aus dem Jahr 2011 ausgewertet. Dabei kommen die Autoren Christian Pfeiffer und Dirk Baier zu dem Ergebnis, dass Kinder und Erwachsene aus evangelischen Freikirchen im Vergleich zu katholischen und evangelischen religiöser sind. Freikirchliche Kinder vor allem aus Nicht-Akademiker-Familien gaben bei der Befragung zudem häufiger an, Gewalt in der Familie – von „eine runtergehauen“ bis „geprügelt/zusammengeschlagen“ – erlebt zu haben. Zudem finden die Forscher für Freikirchler: Je stärker die Religiosität, desto höher das Ausmaß an Gewalterfahrung in der Kindheit. Gleichzeitig würden sehr religiöse Kinder und Jugendliche aus Freikirchen seltener selbst gewalttätig. Im Gegensatz zu katholischen und evangelischen Altersgenossen seien freikirchliche Jugendliche mit ihrem Leben aber weniger zufrieden.

Nach den konkreten Gründen dafür wurde nicht gefragt. Pfeiffer und Baier meinen aber, die „positive, Lebenssinn stiftende Wirkung der Religion“ werde durch die häufigere innerfamiliäre Gewalterfahrung aufgehoben. Die Fragen danach, wie es Eltern mit der Gewalt als Erziehungsmethode halten, waren statistisch nicht verwertbar. Als Erklärung für ihre Befunde führen sie mit Bezug auf verschiedene Bibelstellen eine „christliche Tradition des erzieherisch motivierten Schlagens von Kindern“ an, hinter der der religiöse Glaube an eine angeborene Verderbtheit und Erbsünde des Menschen stehe. In einem beachtlichen Teil freikirchlicher Gemeinden würden die Eltern dazu aufgerufen werden, in der Erziehung ihrer Kinder Schläge gezielt einzusetzen, so die Schlussfolgerung aus der Befragung. Zudem verweisen Pfeiffer und Baier mit Bezug auf einen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung vom September 2010 auf einen Erziehungsratgeber eines „evangelikalen, fundamentalistischen Pfarrerehepaars“ aus den USA, der zum Bestrafen mit der Rute anleitet. Eine eigene systematische Analyse von freikirchlich geprägter Erziehungsliteratur haben die Forscher nicht durchgeführt.

Die Autoren der Studie weisen selbst darauf hin, dass sie keine Differenzierung der Freikirchen vorgenommen haben. „Inwieweit die beobachteten Zusammenhänge für alle dieser Gruppen gelten, kann mit den vorliegenden Daten nicht beantwortet werden.“ Abgesehen von dieser groben Kategorisierung weist sie Studie auch begriffliche Unklarheiten auf. Denn für die Gruppe der Freikirchen wird „evangelisch-freikirchlich“ synonym verwendet. Das sei schlicht falsch, meint dazu Hartmut Riemenschneider, Präsident des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden: „Es handelt sich nicht um einen Gattungsbegriff, sondern um einen Wortlaut aus dem Namen des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden.“

Kritik an NDR-Journalist

Der NDR sendete im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Studie ein Interview mit Christian Baars, dem „Fachmann für dieses Thema“ beim Norddeutschen Rundfunk. Er hatte auch über die Studie des KFN berichtet. Im Interview in der Sendung NDR aktuell sagte er unter anderem, Freikirchler verbinde eine „sehr strenge Bibelauslegung“ und sie pflegten vor allem eine „sehr autoritäre Erziehung“, die Angst vor Fehlern, Sünde und Strafe verbreite.

Dagegen wandte sich die Bischöfin der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK), Rosemarie Wenner in einer offiziellen Stellungnahme. Die Bibel sei zwar Leitschnur für freikirchliche Christen, allerdings gebe es innerhalb der Freikirchen eine große theologische Bandbreite. Das schließe auch unterschiedliche Traditionen der Bibelauslegung ein. „Leider lässt Christian Baars bei diesem Thema jegliche Differenzierung vermissen“, sagte Wenner. Es sei zudem irreführend, angesichts einer unüberschaubaren Vielfalt christlicher Glaubensäußerungen von „den  Freikirchen“ zu sprechen. Baars stellte in der Sendung auch ein Erziehungsbuch von John McArthur vor, das explizit dazu aufrufe, Kinder zu schlagen. Solche Bücher könnten jedoch nicht als Beleg für freikirchliche Erziehung genannt werden, sagte Wenner dazu. Die EmK distanziere sich ausdrücklich von jeder Form von Gewalt.

Wenner ist  amtierende Präsidentin des Bischofsrats der weltweiten Evangelisch-methodistischen Kirche und damit das geistliche Oberhaupt von mehr als 12 Millionen Methodisten in aller Welt. (pro)

http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/niedersachsen_1800/freikirche101.html
http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/freikirchen109.pdf
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