Freie Fahrt zur Gottlosigkeit

Bis zum 18. Juni tourt ein Bus mit der Aufschrift "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott" durch ganz Deutschland. Doch die Atheisten sind nicht alleine. Eine Gruppe der Organisation "Campus für Christus" (CfC) begleitet sie auf ihrem Weg durch die größten Städte Deutschlands. Am heutigen Montag machte der ungewöhnliche Tross Halt in Frankfurt am Main, pro-Autorin Anna Wirth war dabei.
Von PRO

„Wissenschaft fliegt uns zu den Sternen. Religion fliegt uns in Wolkenkratzer“, steht auf einem Flyer der „Giordano-Bruno-Stiftung“. Unter dem Spruch ist ein Bild des brennenden World Trade Centers zu sehen. Der Handzettel ist einer von vielen, mit dem Atheisten in Frankfurt „ent-missionieren“ wollen, wie es ihre Werbung sagt. Deshalb haben sie „Gottlose“, wie sie sie nennen, aus ganz Deutschland rekrutiert. Deshalb haben sie einen roten Doppeldeckerbus mit dem Spruch „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott“ beklebt und fahren mit ihm durch ganz Deutschland. Deshalb halten sie täglich Pressekonferenzen ab und bieten „atheistische Stadtrundfahrten“ an. Diese Atheisten wollen den Menschen zeigen, dass ein wertvolles Leben auch ohne Gott möglich sei. Sie empfinden Deutschland als nicht ausreichend säkularisiert. Sie wünschen sich einen neutralen Staat.

„Ich liebe dich! Ich liebe dich! Ich liebe dich! – Gott“, steht auf den Flyern des Campus für Christus – Teams. Auch sie werben in Frankfurt. Für ihren Glauben. Sie wollen den Menschen zeigen, dass ein Leben ohne Jesus Christus ins Leere läuft. Auch die Christen kommen aus ganz Deutschland. Auch sie haben einen Bus beklebt. „Gottkennen.de“ steht in schwarz-gelben Lettern auf ihrem Fahrzeug. Viele der Christen sind aus ähnlichen Motiven nach Frankfurt gekommen, wie die Atheisten: Weil sie sich nicht wahrgenommen fühlen – in einem gottlosen Deutschland. Und weil sie glauben, dass jemand der atheistischen Buskampagne etwas entgegensetzen muss.

„In der Schule hätte man gesagt, die haben geklaut“

Seit mehr als einer Woche stehen sich Christen und Atheisten fast täglich auf ihrer Tour gegenüber. „Wir haben nicht ’nein‘ gesagt, als die ‚Campus für Christus‘-Leute uns gefragt haben, ob sie uns begleiten können“, sagt Carsten Frerk. Dennoch signalisiert der Mitinitiator der Buskampagne, dass er sich mittlerweile über das Engagement der Christen ärgert. „In der Schule wäre man zur Lehrerin gegangen und hätte gesagt, die haben geklaut“, sagt ein Mitarbeiter.

In der Tat hat sich der CfC an die Aktion der Atheisten angehängt. Warum, darf man am Büchertisch der Atheisten erleben. „Wenn es Jesus gegeben hat, dann ist er sicherlich nicht jungfräulich geboren worden, das ist biologisch gesehen völliger Quatsch“, erklärt ein Mann in schwarzem T-Shirt zwei älteren Damen. „Atheist“ steht in roten Lettern auf seiner Brust. „Ja, man muss sich das natürlich klar machen: Die Kirchen können all das Gute ja nur mit unseren Steuergeldern machen“, sagt eine der Frauen anschließend nachdenklich. „Ja, man muss wirklich kein Christ sein, um Gutes zu tun“, antwortet ihre Freundin. Nicht weit entfernt hat sich ein Mitarbeiter des CfC platziert. Auch er wird die beiden Damen zum Gespräch bitten. Sie sollen beide Seiten hören.

Gepöbelt wird auf beiden Seiten

„Wir haben hier schon einige Pöbelchristen erlebt“, berichtet Carsten Frerk in einer Pressekonferenz der Atheisten. Einmal am Tag trommeln sie Journalisten aus der Gegend zusammen und klären sie in ihrem Bus über ihre Motive auf. „Pöbelchristen“, darunter versteht er etwa „an die 60-jährige dickbäuchige Männer, die sich durch einen kleinen Spruch auf einem Bus angegriffen fühlen“. Vor den Türen seines Busses erleben derweil die Christen, was „Pöbelatheisten“ sind. „Wie könnt ihr nur an so etwas glauben“, empört sich ein langhaariger Mann gegenüber einer Mitarbeiterin von CfC. Er redet sich in Rage, wird lauter und lauter, bis ihn seine weibliche Begleitung schließlich wegzerren muss. Beschimpfungen gehören für die Christen wie für die Atheisten zum Buskampagnen-Alltag.

„Warum darf das hier passieren?“, fragt Frerk die anwesenden Journalisten und hält ein Foto von einer Buswerbung hoch. Das Plakat stammt von der christlichen Hilfsorganisation Misereor. „Warum dürfen diese religiösen Gruppen für ihr Anliegen werben und wir nicht?“ Frerk fühlt sich benachteiligt. In keiner der 17 angefragten deutschen Städte durften er und seine Helfer ihre atheistische Buswerbung auf öffentlichen Verkehrsmitteln anbringen. Deshalb hätten sie die Aktion letztendlich aus Privatspenden finanziert, so Frerk. Wenn er nicht werben darf, soll „Misereor“ es auch nicht dürfen. Und erst recht möchte er keine „Jesus liebt dich“-Zeilen mehr in Bus und Bahn lesen.

Christen werden als mächtige Lobby wahrgenommen

„Die Christen, die müssen ja ein Geld haben“, tönt ein Passant, als sein Blick auf den modernen „Gottkennen“-Bus fällt. In der Tat wirkt er neuer und besser ausgestattet als der Doppeldecker der Atheisten. Dass hinter dem Projekt nicht die vermeintlich reichen Kirchen stecken, sondern dass der Bus ebenso wie die Atheisten-Aktion durch Spenden finanziert ist, sagt hier niemand. Christen werden hier als mächtige Lobby wahrgenommen, die den Atheisten obendrein ihre Idee gestohlen haben.

„Wir wollen nicht mobil machen. Wir wollen keinen Kreuzzug, und wir wollen auch nicht gegen die Kirche antreten“, erklärt Frerk sein Anliegen. Nun protestiert er nicht mehr. Seine Stimme ist ruhig und beherrscht. Er sieht sich als Opfer. Atheisten werden seiner Ansicht nach in Deutschland unterdrückt. Viele Nichtgläubige wagten es kaum mehr, in der Öffentlichkeit ihre Meinung zu sagen, berichtet er. Das erzählten ihm Passanten täglich.

Draußen bemühen sich die Christen, auch nach dem zehnten Pöbler die Fassung zu bewahren. Ja, sie laufen mit und ja, sie haben die Idee der Atheisten kopiert. Aber die Medaille hat zwei Seiten. Um das zu zeigen sind sie hier. Deshalb setzen sie sich, genau wie die Atheisten, Beschimpfungen und Spott aus. „Ich weiß nicht, was ich mit einer christlichen Organisation gemeinsam haben sollte“, sagt Frerk, wenn man ihn fragt, warum die Busaktion nicht zusammen mit dem CfC organisiert wurde. Doch die Gruppen scheinen sich ähnlicher zu sein, als er denkt. (PRO)

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