Nach Taifun „Haiyan“: Nächstenliebe im Einsatz

Der Taifun „Haiyan“ hat Anfang November große Zerstörungen auf den Philippinen angerichtet. Die Medizinerin Margrit Wille von der christlich-überkonfessionellen Hilfsorganisation „humedica“ war eine der ersten ausländischen Helferinnen vor Ort. In Gießen hat sie am Donnerstag über ihre Erfahrungen berichtet.
Von PRO
Margrit Wille arbeitet seit zwei Jahren ehrenamtlich für "humedica". Sie war für die Organisation bereits im Libanon bei einem Gefängniseinsatz dabei. Am Samstag, den 23. November, kam sie von ihrem zweiwöchigen Einsatz auf den Philippinen zurück
Unter dem Titel „Zwischen größtem Leid und unbesiegbarer Hoffnung – Deutsche Katastrophenhilfe auf den Philippinen“ sprach die Medizinerin am Donnerstag bei einer Veranstaltung der Evangelischen Johannesgemeinde Gießen. Wille, die als Palliativmedizinerin in Wetzlar arbeitet, ist seit zwei Jahren ehrenamtlich für „humedica“ im Einsatz. Am 8. November, dem Tag, an dem der Taifun erstmals Festland berührte, brach sie mit einem Team zu den Philipinen auf. Nach 16 Stunden Flug mit Zwischenstopp in Dubai landeten sie in der philippinischen Hauptstadt Manila. Von dort mussten sie weiter in die Stadt Tacloban, die völlig zerstört war. Fortbewegung, außer mit dem Flugzeug, sei fast nicht möglich gewesen, da Landwege nicht befahrbar gewesen seien und Autos Mangelware. Mit einem Armeeflugzeug, das für die Deutschen organisiert wurde, ging es samt medizinischem Basis-Kit für die Erstversorgung von rund 3.000 Leuten im Frachtraum des Flugzeugs nach Tacloban. In Tacloban erwartete die Helfer ein Bild der Verwüstung. Wille sagte: „Es wirkte so, als hätte ein Riese alle Palmen abrasiert. Die Menschen dort leben von Palmöl. Diese Einnahmequelle wird es die nächsten zehn Jahre nicht geben. Ich denke, dass viele von dort weggehen werden.“ Neben der verwüsteten Landschaft zeigte sich ihr ein weiteres Bild: „Es lagen zum Teil sehr viele Leichen am Straßenrand. Ich versuchte, nicht auf die Leichen zu schauen, aber wenn wir um die Ecke bogen, dauert es natürlich, bis wir reagieren können.“

„Du bist nicht allein“

Der Ärztin sei eine Gruppe von sieben Leichen aufgefallen, die nach ihrer Größe nach geordnet am Straßenrand lagen. Ein Stück davon weg lag eine Leiche allein. Wille sagte: „Später kamen wir wieder an der Stelle vorbei, da lag die Leiche in einem selbstgezimmerten Sarg und ein Kreuz war angelehnt. Da habe ich gedacht, siehst du, du bist nicht allein. Das hat mich gefreut.“ Viele Menschen hätten in Leichensäcke geschaut und nach ihren Angehörigen gesucht. „Man will ja seine Verwandten finden und begraben. Deswegen hat mich das auch so gefreut, dass der Alleinliegende noch von seinen Verwandten gefunden wurde.“ Vor Ort leistete das Team Ersthilfe, kümmerte sich um klaffende und kleine Wunden, gab den Menschen auch auf Vorrat Medikamente. Wille erzählte, dass es immer wieder zu bewegenden Szenen gekommen sei: „Eine Gemeindeschwester aus dem Umland ist drei Stunden zu uns gelaufen, weil sie das Gerücht gehört hatte, dass wir hier sind und Medikamente verteilen. Mit einem Strahlen im Gesicht konnte sie den dreistündigen Rückweg laufen.“ Das Team habe die Menschen oft gefragt, wie es ihnen gehe. Wille sagte: „Viele haben gern darüber geredet. Das kennt man ja aus der Traumatherapie. Je mehr man darüber redet, desto besser verarbeiten sie das Erlebte.“ Viele hätten nicht gesagt, dass ihre Angehörigen gestorben seien, sondern: „Meine Verwandten wurden weggespült.“ Wille fügte hinzu: „Und wer weggespült wurde, der kommt nicht zurück.“

Einseitige Ernährung: Nur Kekse und Wasser für die Mediziner

Bei der Hilfe Privatsphäre zu schaffen, sei so gut wie nicht möglich gewesen. Nach ein paar Tagen konnte das Helferteam in dem „Mother of Mercy Hospital“, einem privaten Krankenhaus, ihre Patienten versorgen. „Das war richtiger Luxus“, meinte Wille. Drei, vier Tage nachdem das erste Team angekommen war, kam ein zweites „humedica“-Team mit einem Chirurgen, in einem dritten Team war eine Anästhesistin. Die „humedica“-Teams seien in der Regel 14 Tage im Einsatz. Später wurden 11 Tonnen Hilfsgüter nachgeliefert. „Es war für die Einheimischen sehr schwer zu begreifen, dass diese Behandlungen kostenlos sind“, sagte Wille. Der Kontakt mit den Menschen vor Ort sei gut gewesen. „Sie haben alles dankbar angenommen, und uns oft gefragt, warum wir das machen und warum wir so lieb seien.“ Die einzige feste Nahrung, die Willes Team in den zwei Wochen zu sich genommen habe, seien Kekse und Cracker gewesen, die sie in Manila gekauft hatten. Essen hätten sie aus Deutschland nicht mitnehmen können. Ihrer Fluggesellschaft hätten sie für ihr 300 bis 400 Kilogramm Übergepäckt nach Verhandlungen 6.000 Euro zahlen müssen.

Prozession durch die dunkle Nacht

In Tacloban sei das Team bei einer Frau im Haus mit Brunnen unterkommen. Etwa um sechs sei es stockfinster gewesen, und es habe keinen Strom gegeben – außer aus einem Generator, den sie ab und zu angemacht hätten. Wille erzählte: „Abends haben sich Einheimische bei einer halb zerstörten katholischen Kirche getroffen. Es war zwar schon dunkel, aber sie haben ihre Statuen auf die Schultern genommen und eine Prozession gemacht – mitten durch das zerstörte Gebiet und die dunkle Nacht. Wir sind dann bei der Prozession mit unseren Stirnlampen einfach mitgelaufen.“ Steffen Richter, Pressersprecher von „humedica“, sagte beim Vortrag: „Wir sehen uns unter dem Schutz Gottes. Das sehen wir oft, uns wurden Türen geöffnet: Wir haben eine Frau getroffen, bei der wir untergekommen sind.“ Bei den Einsätzen des christlichen Hilfswerks seien nicht nur Christen: „Es gibt auch Teams, bei denen keine Christen mit dabei sind. Wenn die Umstände das zulassen, gibt es beim Einsatz früh eine Andacht und allgemein viele Gebete.“ „humedica“ sagt über sich, sie seien eine der schnellsten Hilfsorganisationen. Sobald die Organisation von einer Katastrophe über ein Erdbeben-Frühwarnsystem der Universität Genf oder aus den Medien erfahre, gehe eine SMS an etwa 1.000 ehrenamtliche Einsatzkräfte, erklärt Richter. Darin wird gefragt, wer in den nächsten Stunden direkt in den Einsatz könne. Innerhalb der folgenden Stunde meldeten sich in der Regel rund 20 bis 50 Menschen, erklärt Richter. Der Abflug erfolge in den darauffolgenden fünf bis acht Stunden. Normalerweise reiche für die Freiwilligen ein Touristenvisum, da sie in der Regel nur zwei Wochen in dem Land Hilfe leisteten. (pro)
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