Sarah Kaiser: Die Gedanken sind frei

Die Jazz-Sängerin Sarah Kaiser bringt nach sechs Jahren Pause am Freitag wieder ein Soloalbum heraus. Mit „Freiheit“ möchte sie ihren Blick auf die Reformation besingen – mit neuen Liedern und arrangierten Chorälen von Martin Luther. Im Gespräch mit pro verrät die Sängerin, warum alte Lieder sie reizen, was sie sich für die Musik in der Gemeinde wünscht und was Freiheit für sie bedeutet.
Von PRO
Jazz-Sängerin Sarah Kaiser bringt nach sechs Jahren Pause das Soloalbum „Freiheit“ bei Gerth Medien heraus

pro: Mit Ihrem neuen Album möchten Sie Themen der Reformation auf die Gegenwart anwenden. Welche Themen von damals sind heute noch relevant?

Sarah Kaiser: Alle! Ich habe für das Album eine Themenliste erstellt, die natürlich nicht erschöpfend ist, aber was auf jeden Fall dazugehört: selber denken, Mut zu Haltung, Freiheit, Traditionen in Frage stellen, Gnade und einige andere. Jedes dieser Themen ist heute noch relevant. Nicht alle wurden zu Liedtexten, aber einige davon. Zwei ganz große Themen sind natürlich Gnade und Freiheit.

„Freiheit“ ist ja auch der Titel Ihres Albums, in zwei Liedern geht es ganz konkret darum. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Das war ein wesentliches Element der Reformation. Gott ist immer ein Gott der Freiheit und Jesus hat die Botschaft ganz klar gemacht, dass er uns Freiheit schenkt. Er bringt uns Freiheit durch seine Gnade – also zwei Schlüsselbotschaften des christlichen Glaubens, die aber in der Kirche zur Zeit der Reformation verschüttgegangen waren. Und ich glaube, dass wir auch heute immer wieder Gefahr laufen, uns zum Beispiel in Religiosität zu verstricken. Das ist nicht Freiheit.

Was meinen Sie mit Religiosität?

Ein Mensch, der religiös ist, sucht sein Heil durch Formen oder durch das richtige Verhalten. Das ist aber nicht die Essenz des christlichen Glaubens. Das ist nicht das, was Jesus uns gelehrt hat und was das Kreuz sagt. Das Kreuz sagt nicht: Wenn du alles richtig machst, dann wirst du gerettet. Das Kreuz sagt: Wenn du an mich glaubst, Jesu Tod am Kreuz für dich annimmst, dann wirst du gerettet. Und das bringt Freiheit: wenn ich nicht selber alles tragen muss, weil die Last meines Lebens nicht auf meinen Schultern liegt, sondern weil Gott sie schon getragen hat. Damit macht er mich frei, zu leben.

Sie haben auch das Lied „Die Gedanken sind frei“ aufgenommen. Das ist weder christlich, noch reformatorisch. Warum ist es auf der Platte?

Selber denken und damit auch im Denken eine Freiheit ausüben – das war eine Offenbarung für die Menschen zur Zeit der Reformation. Das habe ich gedanklich sofort mit diesem Volkslied in Verbindung gebracht.

Ist die Freiheit der Gedanken bedroht, oder warum ist das heute relevant?

Ich glaube, dass es für jeden immer eine Herausforderung ist, in seinen Gedanken frei zu bleiben. Die Frage ist, was heißt diese Freiheit: frei wovon, frei wohin?

Wo stellt sich diese Frage zum Beispiel?

Zum Beispiel: Denke ich wirklich, dass Gott mich liebt? An der Oberfläche kann ich sagen, ja. Aber eigentlich fühle, handle, denke ich vielleicht so, als müsste ich trotzdem noch etwas verdienen. Dann sind meine Gedanken nicht wirklich frei. Im Römerbrief steht ja auch: „Erneuert euer Denken.“ Paulus hat das damals den Christen als Auftrag gegeben. Ganz viel von dem, was Jesus zu seiner Zeit weitergegeben hat, war eine Herausforderung an die Denkweise der Menschen.

Sie singen in einem Lied: „Du bist meine Reformation.“ Wo in Ihrem Leben hatten Sie ein Reformationserlebnis?

Es gibt immer wieder Phasen, wo ich Gott besonders intensiv erlebe oder wieder neu etwas von seiner Gnade oder seiner Liebe verstehe. Seit ich 1995 bewusst Christ geworden bin, hatte ich das immer wieder. Die letzte starke Erneuerung und Dimensionserweiterung habe ich zwischen 2012 und 2014 erlebt, als ich an einer Ministry-Schule in Kalifornien studierte. Da hatte ich viele starke Erlebnisse, die mir zeigten, was Gottes Liebe bedeutet. Das waren richtige Offenbarungsmomente, die meinen Glauben erneuert und gestärkt, mich sehr ermutigt haben.

Im Vorfeld Ihrer Produktion haben Sie mit der Reformations-Botschafterin Margot Käßmann gesprochen. Hat sie Sie inspiriert für das Album?

Auf jeden Fall, das Gespräch mit ihr war für mich sehr wichtig. Bevor die Texte geschrieben wurden, habe ich sie und auch andere gefragt, was für sie Reformation bedeutet und welche Themen wichtig sind. An dieser Themenliste, die aus dem Gespräch entstand, haben wir uns bei den Texten orientiert. Sie hat mich auch darauf hingewiesen, dass Reformation nicht nur Luther ist, sondern dass noch andere wichtige Leute beteiligt waren. Thomas Müntzer, Philipp Melanchthon, die Frauen der Reformation. Bei der Liedauswahl für die Platte rankt es sich dann aber doch sehr um Luther, weil es über ihn am meisten zu erzählen gibt und er einfach eine Schlüsselfigur war.

Dieses Album ist ja nicht das erste, auf dem Sie alte Kirchenlieder „in neuem Gewand“ aufnehmen. Worin liegt der Reiz, diese Lieder neu aufzubereiten?

Ich liebe das sehr, zu entdecken, zu verändern und zu interpretieren. Das geht mit alten Kirchenliedern sehr gut. Ich bin eine Liebhaberin von schönen Worten, von Gedichten, von Poesie. Das ist auch der Grund, warum wir keine Platte nur mit Lutherliedern gemacht haben. Für mich ist der Meister der Kirchenlieddichtung immer noch Paul Gerhardt, dessen Lieder ich zuerst neu vertonte. Martin Luthers Sprache finde ich nicht besonders poetisch. Er war eher kernig und manchmal eckig in seinen Formulierungen und zeitlich auch noch mehr im Mittelalter verankert. Sprache ist für mich immer ganz wichtig. Aber auch dieser Zusammenhang aus Melodie und Worten. Jedes Lied ist für sich einfach ein Kunstwerk, ein vertontes Gedicht – und wenn es schön ist, ist es schön, egal, ob es 700 Jahre alt ist oder 200 oder zehn.

Die alten Choräle sind vom Rhythmus und der Melodieführung anders aufgebaut als viele moderne Lieder. Taugen sie heute noch für den Gesang in der Gemeinde?

Ich kenne es aus Gottesdiensten und Gemeinden, wo eigentlich eine sehr moderne Musikform gewählt wird, dass da auch immer wieder alte Kirchenlieder und Choräle gespielt werden und dass die Leute sie sehr gerne mitsingen – wenn sie sie kennen, das ist wichtig. Und dass sie auch etwas damit anfangen können. Zu „Ein feste Burg ist unser Gott“ habe ich zum Beispiel am Anfang ganz wenig Zugang gehabt.

Was war die Schwierigkeit?

„Ein feste Burg ist unser Gott“ – wenn ich an Gott denke, denke ich erst einmal nicht an eine Burg. „Ein gute Wehr und Waffen“ – ich denke auch nicht an Waffen, wenn ich an Gott denke. Das ist eine Formulierung, die ich nie benutzen würde. Und bei dieser eher marschmäßigen Melodie denke ich eher an Militär, aber nicht an Hingabe an Gott. Das haben wir mit unserem musikalischen Ansatz etwas verändert und dann wirkt es gleich anders. Das ist auch ein Reiz für uns, dass man ein Lied so oder so interpretieren und gestalten kann. Letztlich ist es ja eine Psalmvertonung. In der Bibel gibt es im Alten Testament auch militärische Sprache. Aber es geht ja um etwas anderes, darum, dass Gott derjenige ist, der uns beschützt und versorgt und unsere Zuflucht ist. Da steht „Ein feste Burg“ neben „Du bist mein Zufluchtsort“, die Aussage ist die gleiche, nur anders ausgedrückt.

Sie unterrichten Popgesang im kirchenmusikalischen Bereich an der Universität der Künste in Berlin. Was wünschen Sie sich für die Musik in der Gemeinde?

Ich wünsche mir für die Musik in der Gemeinde zum einen Qualität, zum anderen Vielfalt. Nach meiner Beobachtung haben wir entweder alte, klassische Musik, wir haben Orgel, Klavier, Choräle, die meisten Lieder im Gesangbuch sind hunderte Jahre alt. Auf der anderen Seite haben wir Rock, Pop, Gitarre, Verstärkung und eine relativ einheitliche, moderne Gemeindemusik. Ich finde den Musikstil in der deutschen Gemeinde relativ einseitig. Das spiegelt nicht die Vielfalt der Menschen wider, die wir sind, und die Vielfalt Gottes schon gar nicht. Deshalb fände ich es toll, wenn Musik viel bunter werden würde und gleichzeitig qualitativ hochwertiger. Es reicht nicht, wenn ich mir gerade mal meine Gitarre schnappe und zwei Akkorde spiele. Das Argument „Es ist ja für den Herrn, da ist es egal, wie gut es ist“ ist nicht überzeugend. Exzellenz ist auch etwas, das auf Gott hinweist, seine Schönheit und Größe widerspiegelt. Aber eben auch Vielfalt. Beides ist gleich wichtig. Luthers Lieder sind zwar musikalisch nicht die hochwertigsten, aber er hat viel Arbeit in seine Worte gesteckt, und seine Lieder sind Hits geworden und haben etwas bewirkt – nämlich dass viele Menschen die Inhalte der Bibel und des Glaubens erlebt, erspürt, erfahren haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stelle Jonathan Steinert. (pro)

Dieses Interview stammt aus der neuen Ausgabe 4/2016 des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie pro kostenlos unter der Telefonnummer 06441/915151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.

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