Mursis Ägypten und seine Christen

Zehn Prozent der insgesamt 82 Millionen Ägypter sind Christen, wovon die überwältigende Mehrheit zur uralten Konfession der Kopten gehört. Für sie war der Wahlsieg der Muslimbrüder und Salafiten ein Schock. Praktisch auf Anhieb errangen die Islamisten eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und stellen jetzt auch noch den Präsidenten mit nie zuvor gesehenen Machtbefugnissen. Die Kopten fürchten die Einführung islamischen Rechts in Ägypten.
Von PRO

Präsident Mohammed Mursi versprach deshalb von Anfang an, dass jeder "zu seiner Familie" gehöre und er keine "Rache" suche. Anfang September versicherte er vor Studenten, jeder sei frei, aktiv zur Entwicklung seines Landes beizutragen, sei er "Muslim oder Christ".

Traditionell werden die Christen im Nahen Osten gerne als diejenigen dargestellt, die "zwischen allen Stühlen sitzen" – besonders auch im Blick auf ihr Verhältnis zu Israel. Möglicherweise ist die Generalverdächtigung seitens des Islam, der Christen und Juden als "Leute des Buches" in einen Topf wirft, ein innerer Beweggrund für die antijüdische und antiisraelische Einstellung orientalischer Christen? Vielleicht wird aber auch ein christlicher Judenhass, der weit vor die Entstehung des Islam zurückgeht, im Orient "un-verschämter" zum Ausdruck gebracht, als das im humanistisch geprägten Europa und Amerika möglich ist?

Ausschluss vom heiligen Abendmahl?

Tatsache bleibt, dass die offiziellen koptischen Stellungnahmen im Blick auf das Verhältnis zum Staat Israel in den vergangenen vier Jahrzehnten schärfer waren, als die offizielle Doktrin des Staates vorschrieb. Für die gesamte arabische Welt gilt, dass "Kollaborateure" des jüdischen Volks eher unter den Muslimen zu finden sind, als unter traditionellen Christen.

So verhängte Papst Schenuda III. schon 1979 als Protest gegen das israelisch-ägyptische Friedensabkommen einen Bann über seine Gläubigen, sollten diese wagen, den Staat Israel zu besuchen. Noch 2007 hatte der Koptenpapst westlichen Kirchen vorgeworfen, den jüdischen "Christusmördern" ihre Tat zu vergeben. Seit seinem Tod im Frühjahr 2012 ist in Jerusalem eine starke Zunahme ägyptischer Pilger zu verzeichnen, die allerdings noch immer vor öffentlichen Stellungnahmen zurückschrecken aus Angst vor Sanktionen. Ihnen droht nach der Rückkehr der Ausschluss vom heiligen Abendmahl, sollte ihr Besuch im jüdischen Israel ruchbar werden.

Trotzdem geraten die Christen in Ägypten zunehmend unter Druck – wobei Christsein in einem von islamischen Traditionen geprägten Land noch nie frei von Repressalien war. Abgesehen von spektakulären Bombenanschläge auf Kirchen, besonders zu Festzeiten, die auch in westlichen Medien Aufmerksamkeit fanden, werden die Kopten am Nil zunehmend von der Gesellschaft, in der sie als Minderheit leben, verfolgt: Häuser und Geschäfte werden beschossen, Kinder und Mädchen geraubt und erst wieder gegen hohe Lösegelder freigegeben. Nicht selten werden die Entführten auch gefoltert, vergewaltigt, zum Übertritt zum Islam gezwungen und versklavt.

"Betet für uns!"

In Videos, die auf YouTube im Internet verbreitet werden, schreien ägyptische Kopten ihr Leid in die Welt hinaus. Eltern klagen um ihre Kinder. Ein Priester wendet sich nach einem herzzerreißenden Gebet an alle Heiligen, "die den Herrn Jesus Christus umarmen: Schreit zum Herrn! Rette die Kopten Ägyptens!" Und: "Die ganze Welt bitten wir: Betet für uns! Alle Heiligen: Betet für uns!" Während einer Beerdigung skandiert eine Menge: "Dem Kreuz opfern wir unser Leben und unser Blut!"

Die gesellschaftliche Atmosphäre, in der sich diese Menschen sehen, wird deutlich angesichts von muslimischen Menschenmassen, die skandieren: "Unser Leben, unser Blut geben wir dem Islam!" Der Mob lässt nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig, wenn es darum geht, an wen seine Botschaft gerichtet und was sein Ziel ist: "Ihr Christen, ihr blinden Christen! Die muslimische Würde ist hoch erhaben! Gegen die Priester und Mönche! Ihr werdet nicht eure Kreuze erheben! Gegen die Priester und Mönche! Mit Gewalt! Mit Gewalt! Morgen werden wir sie [die Kreuze] von euch nehmen! Von Papst Schenuda und der ganzen Seuche! Morgen werden wir unser Volk von euch säubern! Dschihad! Dschihad! Bis wir dieses Volk reinigen!"

Gemeinschaft pflegen
Offensichtlich gibt es in Ägypten dennoch Muslime und Christen, die Gemeinschaft pflegen und einander zu Festen grüßen, besuchen und gar miteinander feiern. Wohl deshalb muss ein islamischer Prediger hetzen: "Festlichkeiten mit ihnen [den Kopten] gemeinsam zu feiern? Das wird niemand tun, niemals! Wir müssen zu Allah zurückkehren! Es wird Demütigung geben für die, die meinem [Allahs] Gebot nicht folgen." Um dann seinen Gläubigen einzuschärfen: "Es ist einem Muslim verboten, mit einem Nichtmuslim irgendein Fest zu feiern." Denn: "Die Juden sind verflucht! Die Christen gehen in die Irre! Allah verfluche die Juden und die Christen!"

Mittlerweile werden in ganz Ägypten Neubauten und selbst Renovierungsarbeiten an Kirchen, die bereits offiziell genehmigt wurden, von aufgebrachten muslimischen Demonstranten verhindert. Drohbriefe gegen den Verkauf von Kreuzen und Christusbildern werden verbreitet und in den elektronischen Medien sehen sich Christen Hetze und Verleumdungen ausgesetzt. Blasphemievorwürfe können zu jahrelangen Gefängnisstrafen oder gar zu Hinrichtungen führen.

Menschenrechtsorganisationen haben Hunderte von derartigen Fällen dokumentiert und verzeichnen eine massive Zunahme seit Beginn des arabischen Frühlings und der Machtübernahme durch die Islamisten. Christen, die sich bei den Behörden beschweren, müssen feststellen, dass die Polizei sich mit den islamischen Aktivisten verbündet hat oder die Beschwerden schlicht ignoriert.

So verurteilte ein Gericht in Sohag in Mittelägypten am 18. September 2012 den koptischen Lehrer Bischoy Kamil Kamel zu einer Gesamtgefängnisstrafe von sechs Jahren: Drei Jahre für Beleidigung des Propheten Mohammed, zwei Jahre für Beleidigung des Präsidenten Mursi und ein Jahr für die Beleidigung des klagenden Anwalts. Begonnen hatten Kamels Probleme Mitte August mit der Anklage des 32-jährigen Mohammed Safwat Tammam, der behauptet hatte, Kamel habe beleidigende Karikaturen des Propheten Mohammed auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Kamel beteuert seine Unschuld und behauptet, seine Facebook-Seite sei gehackt worden.

"Wer die Religion verlässt, tötet ihn!"

Ein weiteres Schicksal – von dem der alten christlichen Denominationen zu unterscheiden – ist das der Muslime, die sich zum Christentum bekehren, die Religionsfreiheit also auch als Freiheit interpretieren, die Religion wechseln zu dürfen. Sie werden grausam verfolgt und – etwa durch Enthaupten – hingerichtet. Ein ägyptischer Salafitenführer unterstrich in jüngster Zeit öffentlich den Befehl Mohammeds: "Wer die Religion verlässt, tötet ihn!" Abfall vom Islam ist ein todeswürdiges Verbrechen. (pro)

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