Müssen Christen Bio kaufen?

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) fordert in einem neuen Text „eine neue Wertschätzung für Nutztiere“. Wie kann das konkret aussehen? Ein Besuch bei Familie Schweisfurth, die einst Europas größte Fleischfirma besaß, bevor sie konsequent auf Bio umsattelte. Von Stefanie Ramsperger
Von PRO
60,2 Kilogramm Fleisch konsumieren die Deutschen im Schnitt jährlich

Die Frage bringt ihn zum Lachen, den alten Herrn der „Herrmannsdorfer Landwerkstätten“: Ob Christen biologische Lebensmittel kaufen müssen? „Ja“, lautet seine entschiedene Antwort. „Überzeugte Christen müssen ökologische Lebensmittel kaufen, einfach aus Verantwortung und Respekt gegenüber der Schöpfung.“ Ökologisch hergestellte Nahrung kann man hier auf dem Hof erwerben. Hier wird sie auch produziert. Karl-Ludwig Schweisfurth hat das Unternehmen 1986 gegründet. Weitläufig erstreckt sich das Betriebsgelände am Rande des 4.000-Seelen-Ortes Glonn in Oberbayern. Hier arbeiten 100 Menschen. Rund 800 Schweine, unzählige Hühner und ein paar Rinder atmen die frische Landluft. Trotzdem wirkt das Ganze übersichtlich. Das ist Schweisfurth wichtig. Auch seine Enkelin Sophie, die den Betrieb heute leitet, betont: „Wir wollen nicht expandieren. Wir wollen mehr Mitstreiter, die für unsere Sache kämpfen.“

Sophie trägt eine hellblaue Bluse, hat ihre langen roten Locken zusammengebunden, und sorgt für Kaffee. Selbstverständlich aus der hauseigenen Rösterei, einer von mehreren Werkstätten, die zu Herrmannsdorf gehören. „Zu uns gehört auch eine Brennerei, eine Brauerei, eine Bäckerei, eine Imkerei und eine Käserei“, zählt sie auf, und ihr Großvater beeilt sich hinzuzufügen: „Aber die Metzgerei hat erste Priorität. Das ist das wichtigste für uns!“ Schweisfurth ist gelernter Metzger. Unternehmer auch, aber er versteht sich vor allem als Handwerker.

Europas größte Fleischfirma entsteht

Schweisfurth ist 1930 in Herten im Ruhrgebiet geboren. Zu Hause ist er damals in der elterlichen Metzgerei und für ihn ist es selbstverständlich, den Familienbetrieb irgendwann zu übernehmen. Nach der Ausbildung schickt sein Vater ihn zur Horizonterweiterung in die weite Welt. Schweisfurth geht nach Chicago und sieht die Arbeit großer Schlachthöfe. Er ist fasziniert von der industrialisierten Produktion und bringt viele Anregungen mit nach Hause. Die kleine Metzgerei im Ruhrpott wird zum Industriebetrieb, setzt auf Automatisierung und ist damit extrem erfolgreich. Herta entsteht, Europas größter Fleischproduzent mit Fabriken in der ganzen Welt, von Äthiopien bis Brasilien. 5.500 Mitarbeiter hat Herta damals, die jede Woche 50.000 Schweine und 3.000 Rinder schlachten und verarbeiten. „Im Vergleich zu den Dimensionen, die das heute angenommen hat, war das noch wenig“, verweist Schweisfurth auf die Zahlen der heutigen Branchenführer Westfleisch und Tönnies. In Herrmannsdorf schlachten sie 50 Schweine und zwölf Rinder pro Woche.

Und dabei soll es bleiben, da sind sich Schweisfurth und seine Enkelin einig. Warum eigentlich? Zu den Zielen von Unternehmen gehören normalerweise wie selbstverständlich Wachstum und Gewinnmaximierung. „Schon“, meint Schweisfurth, „aber dann kämen wir ja wieder in die gleiche Spirale.“ Und massenhaft Tiere will er nicht halten. Schweisfurths haben sich bewusst für die ökologische Landwirtschaft entschieden. „Die industrielle Fleischproduktion hat für mich keine Zukunft. Sie verstößt gegen Moral und Ethik und auch gegen die Vernunft.“ Schweisfurth ist ein Mann klarer Worte.

Als er 50 Jahre alt ist, kommen ihm erste Zweifel: „Ich beobachtete die Tiere, die mir geliefert wurden, und fand: Da stimmt etwas nicht.“ Die Tiere sind in einem schlechten Zustand, wirken apathisch. Der Unternehmer besucht daraufhin seine Zulieferer. „Das waren keine Bauernhöfe mehr, das waren Tierfabriken“, erinnert er sich. Er ist abgestoßen von der schlechten Luft in den Ställen und den Lebensbedingungen der Tiere: „Die Augen tränten mir, es war duster, die Tiere standen auf Spaltenböden. Die Tiere schauten mich an, als wollten sie sagen: Was macht ihr mit uns? Das war mein Saulus-Paulus-Erlebnis. Nicht auf dem Weg nach Damaskus, sondern in einem Schweinestall in Norddeutschland.“ Schweisfurth entscheidet, aus dem System auszusteigen. „Das will ich nicht, das mache ich nicht mehr mit. Ich spürte, oder vielleicht hat es mir ein Engel gesagt: Da passiert etwas Ungeheuerliches. Wir sind nicht mehr der Herr des Geschehens. Das ist nicht gut.“ Was seinen Sprung in die neue Welt erleichtert, ist, dass seine drei Kinder damals Herta, so wie es war, nicht übernehmen wollen, weil auch sie der industriellen Fleischproduktion nichts abgewinnen können.

Neun Monate später war Herta verkauft und „ich war frei, neu anzufangen“, sagt Schweisfurth. Dabei halfen die Millionen, die er von Nestlé für die Firma bekommt. „Damals stand Nestlé noch nicht so sehr in der Kritik und hatte ein sehr hohes Ansehen“, erklärt er.

Philosophie-Student mit fast 90 Jahren

„Jedes Unternehmen ist heute gefragt, verantwortlich zu handeln und dabei über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Wir setzen uns ein für die Menschen und ihre Ernährung, für das Zusammenleben in der Gemeinschaft und für unsere Produkte.“ Ob dieses Zitat nicht von ihm stammen könnte? Wieder ist ein bestimmtes „ja“ die Antwort. Das Zitat stammt aber nicht von ihm, sondern von der Nestlé-Webseite, dem Betrieb, zu dem Herta jetzt gehört. Das einzige Mal an diesem Tag stockt Schweisfurth. „Das könnte von mir sein – was man alles so sagen kann – aha. – Wirklich? – Was man alles so sagen kann. Es ist ungeheuerlich.“ Der 89-Jährige wirkt erst ungläubig, dann schüttelt er sich vor Lachen.

Beide Schweisfurths erklären, dass sie kein Fleisch aus Massentierhaltung essen. „Wir sind Auswärtsvegetarier.“ Und: „Ich lehne das aus ethischen Gründen und Vernunftgründen ab. Das sind keine Lebensmittel, die Leben vermitteln“, meint Schweisfurth. Seine Enkelin sagt: „Uns liegt die Schöpfung, die Natur, der Mensch, das Tier am Herzen. Wir wollen sie mit größtmöglichem Respekt behandeln. Das ist geprägt durch mein christliches Werteverständnis.“ Ansonsten ist die Geschäftsführerin eher zurückhaltend mit Glaubensbekundungen; anders als ihr Großvater. Er sei im Tecklenburger Land aufgewachsen und von seiner „Mama sehr christlich“ erzogen worden. „Ohne geistliche und ethische Grundwerte ist man hilflos. Dann ist der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet“, sagt er, und: „Ohne die Religion wäre das Leben ein Irrtum.“ Das trifft für ihn auch auf die Schönheit, auf die Künste zu. Das merkt jeder, der Herrmannsdorf besucht. Überall hat Schweisfurth Kunst um sich versammelt. Moderne Skulpturen, antike Büsten, Ölgemälde. Er ist ein Freigeist, trotz aller Bodenständigkeit. Vor zwei Jahren hat er sich zum Philosophie-Studium an der Hochschule der Philosophie der Jesuiten in München eingeschrieben. „Ich bin begeistert“, schwärmt er. Mit katholischen Freunden diskutiere er dort oft darüber, was Schöpfungsverantwortung bedeute. „Das macht mir jeden Tag so deutlich, was wir für unsägliche Fehler gemacht haben bei der Nutzung der Natur. Ich habe früher auch große Fehler gemacht.“ Und dennoch: „Ich bereue nichts. Ich war in der Zeit fest davon überzeugt, dass das, was ich mache, gut ist. Aber man muss immer wieder in Frage stellen: Wann hört Fortschritt auf, Fortschritt zu sein? Wenn du Dinge nicht mehr mit deinem Gewissen vereinbaren kannst, musst du dein Leben ändern.“

Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander

In Herrmannsdorf entscheiden sie sehr bewusst über den Grad der Automatisierung in der Produktion. „Der Joseph am Cutter wiegt die Fleische und Gewürze selbst ab und sagt der Maschine, was sie tun soll, ob sie schnell oder langsam laufen soll, wann sie Vakuum ziehen soll …“, gibt Schweisfurth ein Beispiel. Oder Metzgermeister Jürgen, der sei „ein großer Künstler“. Wenn er einen Schinken anfasse, wisse er, was noch nötig sei. Anderswo werden solche Prozesse komplett elektronisch gesteuert.

Senior wie auch Juniorin haben die Erfahrung gemacht, dass es möglich ist, Kunden davon zu überzeugen, für eine solche Produktion den notwendigen Preis zu zahlen. Ein Huhn, das in Herrmannsdorf gelebt und nach Würmern gescharrt hat, kostet 30 Euro. Was denn mit den Menschen sei, die sich das nicht leisten können? Schweißfurth senior sagt: „Es gibt wirklich wenige sehr, sehr arme Menschen. Dafür habe ich auch keine Lösung.“ Die allermeisten Menschen setzten aber schlicht falsche Prioritäten: „Sie kaufen diesen ganzen Elektroschrott. Sie sollten besser auf die Qualität ihrer Mittel zum Leben achten.“ Und nicht so viel wegwerfen. Seine Enkelin erzählt, dass sie als Studentin Kräuter auf dem Balkon gezüchtet habe, um zumindest ein paar Nahrungsmittel selbst zu züchten. Auch sie meint: „Ein riesiger Fernseher muss doch nicht sein!“

Schweisfurth liegt mit seinen Thesen voll im Trend. Immer mehr Deutsche wollen nachhaltiger leben – auch was den Fleischkonsum angeht. In einer Emnid-Umfrage im Auftrag von Greenpeace gaben ganze 89 Prozent der deutschen Fleischesser an, mehr Geld für Fleisch zu zahlen, das aus einer artgerechten Tierhaltung stammt. Die repräsentative Umfrage von Anfang 2019 belegte außerdem: Mehr als die Hälfte der Befragten wolle weniger Fleisch essen als 2018. Frauen neigten mit 62 Prozent häufiger zum Fleischverzicht als Männer (46 Prozent).

Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Gerade zur Grillsaison quillen die Kühltheken der Discounter regelmäßig über vor marinadetriefender Fleisch-Großpackungen aus Massentierhaltung. Laut dem Bundeslandwirtschaftsministerium aßen die Deutschen 2018 kaum weniger Fleisch als noch 1991. Damals lag der Fleischkonsum pro Kopf noch bei 63,91 Kilo, vergangenes Jahr waren es 60,15 Kilo – eine Revolution sieht anders aus. Allerdings tut sich etwas in der Produktion. Bio-Landwirtschaft ist im Kommen, auch in der Fleischproduktion. 2017 stammten schon 55.200 Tonnen Rindfleisch aus ökologischer Landwirtschaft, über 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Ähnliche Wachstumsraten erzielt Bio-Schweinefleisch. Damit garantieren die Bauern, dass das Vieh artgerecht behandelt wurde.

Kirchen sollten Vorreiter sein

Von den Großkirchen wünscht sich Schweisfurth, „dass sie auf den Tisch hauen“ und stärker an die Schöpfungsverantwortung des Einzelnen appellieren. In den Achtzigerjahren sei er deswegen aus der Evangelischen Kirche ausgetreten, weil sie sich seiner Meinung nach nicht genug um die Schöpfung gekümmert habe. „Ich hörte kein einziges Wort von der Kirche zu der Frage, wie wir mit den Tieren umgehen und wie wir mit unserem Wasser umgehen. Das passte mir nicht.“ Dass heute die Kirche eher deswegen in der Kritik steht, weil sie sich aus Sicht mancher im Vergleich zu anderen Themen zu viel darum kümmert, will Schweisfurth nicht einleuchten: „Keine Kirche und kein Kirchentag können zu grün sein.“ Von der Katholischen Kirche wünscht er sich eine nachhaltige Bewirtschaftung von deren Flächen. Bis heute ist der wöchentliche Gottesdienstbesuch nicht Schweisfurths Fall. Die Bibel dagegen liest er gern und regelmäßig. So zitiert er frei aus dem Buch Hiob: „Beschließt du etwas, so tritt es ein, und Licht bescheint deine Wege.“ Seine liebste biblische Weisheit. „Ich bin ja schließlich Unternehmer.“ Und eben auch irgendwie Künstler, denn: „Ich bin begeistert von der Sprache der Bibel. Sie ist häufig von einer so großen Schönheit, die mich tief berührt.“ Gott ist für ihn „eine große ethische und geistige Instanz, vor der ich meinen Kopf neige und Respekt und Demut habe“. Dankbar ist er auch, der fast Neunzigjährige. In einem Buch, das er jüngst zusammen mit seiner Enkelin verfasst hat, schreibt er: „Es ist ein Lebensauftrag für uns, die Erde ein klein wenig schöner und besser zu verlassen, als wir sie betreten haben.“ Er sagt: „Ja, das ist gelungen. Wenn ich heute zurückschaue, dann bin ich sehr dankbar und glücklich. Auch über das interessante Leben mit zwei Welten. Die alte großindustrielle Welt und die zweite kleine, regionale, überschaubare, handwerkliche Welt.“

Der Artikel ist in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro erschienen, das Sie hier oder telefonisch (06441/5667700) kostenlos bestellen können.

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