„Mormonen haben Leben, Denken und Fühlen komplett bestimmt“

Durch den republikanischen US-Präsidentschaftsbewerber Mitt Romney sind die Mormonen derzeit in aller Munde. Im Interview mit "Spiegel Online" erzählt Aussteiger Holger Rudolph von den "Machenschaften" der Sekte und seinen Erlebnissen. Dabei entsteht ein Bild von Indoktrination, Gleichschaltung und der Angst, die eigene Persönlichkeit zu verlieren.
Von PRO

Viele Wissenschaftler und Theologen versuchten, so Rudolph, das Wort Sekte im Zusammenhang mit den Mormonen zu vermeiden, weil es deren Anhänger stigmatisiere. Aus Rudolphs Sicht beschreibe das Wort den Zustand der Religionsgemeinschaft sehr gut. Er selbst bekennt, dass er im "religiösen Höhenflug" nach einer sehr schwierigen Kindheit mit 19 Jahren den Mormonen beigetreten sei: "Ich habe die Struktur der Gruppe gebraucht, auch die Zugehörigkeit und Anerkennung."

Erst 14 Jahre später verließ er in einer exponierten Stellung als Präsident einer Mormonen-Gemeinde die Glaubensgemeinschaft. Als Gründe für den Ausstieg nennt er nicht nur die körperliche und finanzielle, sondern auch die psychische Belastung: "Die Mormonen haben mein Leben, mein Fühlen, mein Denken komplett bestimmt." Erst später habe er angefangen, dieses Weltbild zu hinterfragen.

Eine gottgegebene Rangordnung?

Gestört habe ihn vor allem die "Klassengesellschaft" der Mormonen. Ledige stünden in der Rangordnung unter Verheirateten. Auch die Diskriminierung von Homosexuellen, Frauen und Farbigen störte den Familienvater, bis er dann  irgendwann "dieses konservative Gedankengut nicht mehr mittragen" konnte. Viele Ehefrauen, darunter auch seine eigene, hätten sich bis dahin in ihrer Rolle gefügt und der "gottgegebenen Rangordnung" untergeordnet.

Gegenüber "Spiegel Online"-Redakteurin Andrea Schwendemann spricht der Aussteiger auch über die geheimen Kulte der Sekte. Das Totenreich sei für die Mormonen ein riesiges Missionsgebiet. Sie praktizierten auch stellvertretende Taufen für Tote. Rudolph selbst hatte dieses Ritual vielfach angeleitet. Ziel der Mormomen sei das sogenannte "Endowment". Erst diejenigen, die dieses Ritual durchlaufen hätten, könnten im Jenseits zu Gott werden. Die im Ritual empfangenen Schlüssel sollten im Jenseits die Türen in die höchste himmlische Stufe öffnen: "Bis 1990 wurde noch symbolisch mit dem Tod gedroht, wenn man die geheimen Zeichen verraten würde. Ich habe das noch erlebt", erklärt Rudolph. Verboten wurde dagegen nach öffentlichem Druck die Polygamie. Allerdings werde diese Lehre relativiert, weil im Jenseits, "jeder Mann mehrere Frauen haben und es Gott gleichtun" könne. In den USA, in Kanada und in Mexiko werde die Vielehe von etlichen Splittergruppen bis heute praktiziert.

Enge und Kontrolle

Geprägt habe ihn die "größte Enge und Kontrolle". Diese habe auch die Missionseinsätze bestimmt, zu denen Mormonen eingesetzt werden. Nach seinem Ausstieg wurde den übrigen Mitgliedern verboten, mit Rudolph in Kontakt zu treten. Repressalien habe er keine erlebt. Schlimmer als dies sei der innere Druck gewesen, etwas von dem, wovon man viele Jahre überzeugt war, loszulassen: "Aber ich hatte erkannt, dass ich in einer Sekte und in der falschen Kirche war. Und es hat Jahre gedauert, dies zu verarbeiten." (pro)

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