Mord und Wahnsinn im Namen Gottes

Taufe, Lobpreis, Halluzinationen und Mord: Die Fernsehserie „Hand of God“ zeigt geistlichen Missbrauch und religiösen Wahn. Das pervertierte Christentum dient als Gerüst für den düsteren Krimi von James-Bond-Regisseur Marc Forster. Eine TV-Kritik von Moritz Breckner
Von PRO
Ein Richter im Brunnen – der kuriose Beginn einer Geschichte, in der sich immer neue Abgründe auftun
Ein älterer Mann steht nackt in einem Brunnen und gibt unverständliche Laute von sich. Passanten staunen, während die Polizei ihn aufgreift und ins Krankenhaus bringt. So beginnt die erste Folge der US-Dramaserie „Hand of God“, die seit September beim Streaming-Dienst Amazon Prime zu sehen ist. Der alte Mann, stellt sich heraus, ist Pernell Harris (Ron Perlman), ein korrupter Richter, der sich während eines zweitägigen Verschwindens taufen ließ und einem dubiosen Prediger 50.000 Dollar spendete. Im Brunnen betete er angeblich in fremden Zungen. Der Prediger ist der ehemalige Seifenopern-Darsteller Paul Curtis, der die 50.000 Dollar dringend braucht, um aus einer kleinen Bruchbude einen Gottesdienstsaal zu zimmern. Als die Bank den Scheck wegen der großen Summe nicht ohne mehrtägige Wartezeit einlösen will, schickt er seine Partnerin Alicia vor, die das Verfahren beim Bankdirektor durch sexuelle Gefälligkeiten beschleunigt. Den übergeordneten Handlungsrahmen liefert ein Drama in Harris’ Familie. Sein Sohn liegt nach einem Selbstmordversuch im Koma – er hatte sich in den Kopf geschossen, nachdem er gezwungen wurde, bei der Vergewaltigung seiner Frau Jocelyn zuzusehen. Die will nach Monaten des Wartens nun die lebenserhaltenden Maßnahmen beenden, was Harris zu verhindern sucht. Parallelen zu realen Fällen wie etwa dem von Terri Schiavo sind offensichtlich, auch in Harris’ christlicher Rhetorik: „Unser Sohn ist ein Wunder Gottes… glaubst du nicht, dass Gott Wunder tun kann?“, fragt er seine Frau Crystal (Dana Delany, „Desperate Housewives“, „Body of Proof“).

Heuchelei bis zur Schmerzgrenze

Harris hört am Krankenbett die Stimme seines Sohnes, der von ihm verlangt, die Vergewaltigung zu rächen. Der Richter irrt fortan, getrieben von Halluzinationen, Wahnvorstellungen und religiöser Ekstase, durch sein Leben und sorgt damit in seinem Umfeld für Verwirrung. Seine Stamm-Prostituierte will er nur noch fürs Reden bezahlen („Ich habe zu Gott gefunden und bin sicher, wir verstoßen gegen die Regeln“), einen brutalen Schläger spricht er frei, weil der sich auf Gott beruft. Später verschafft er dem Schläger einen Job in Curtis’ Kirche und beauftragt ihn mit dem Mord an dem mutmaßlichen Vergewaltiger seiner Schwiegertochter. Dieser Mord ist am Ende der ersten von zehn Folgen zu sehen. Durch schnelle Schnitte verschwimmt der brutale Akt mit einem Gottesdienst, in dem Harris „Zeugnis ablegt“ und von den Gemeindemitgliedern bejubelt wird – eine Technik aus dem Film „Der Pate“, die im Laufe der Serie noch häufiger eingesetzt wird. Als das Mordopfer langsam verblutet, spricht Harris’ Killer noch ein „Übergabegebet“ mit ihm, damit er auch in den Himmel kommt.

Kunst, Religionskritik oder ein ganz normaler Krimi?

Jeder Krimi braucht ein Milieu, in dem er spielt, dessen Besonderheiten er dann gerne kritisch aufgreift. Das Christentum, oder vielmehr dessen pervertierte Form, ist in „Hand of God“ weit mehr als nur ein solches Milieu oder Leitmotiv. Mehrere Hauptfiguren werden ausschließlich von der Überzeugung, den Willen des biblischen Gottes zu tun, angetrieben. Wieder und wieder wird über Bibelstellen diskutiert, zuweilen reale Begebenheiten aus der evangelikalen Welt aufgegriffen. Autor und Produzent Ben Watkins erklärte zu Beginn der Produktion in einem Interview, er wolle dem Phänomen der Heuchelei auf den Grund gehen – inspiriert von echten Pastoren, die sich einst als Heuchler herausstellten. „Wird so einer dann zu dem Prediger, der die ganze Zeit gelogen hat, oder ist er noch der gleiche, den seine Anhänger tags zuvor großartig fanden? Diese Frage ist für mich faszinierend“, erklärte er. Regie bei der Serie führte Marc Forster, der bereits den James-Bond-Film „Ein Quantum Trost“ sowie „World War Z“ in die Kinos brachte. Der Auftakt zu „Hand of God“ hält für einige Figuren großes Entwicklungspotenzial bereit. Ehefrau Crystal steht dem Wahnsinn ihres Mannes hilflos gegenüber – welchen Weg wird sie wählen, um damit umzugehen? Mit welchen skrupellosen Manipulationen wird Prediger Curtis, getrieben vom Wunsch nach Macht und Geld, durchkommen? „Hand of God“ ist weit davon entfernt, wie „True Detective“ ein Meisterwerk mit religiösem Unterton zu werden. Das bemitleidenswerte, gar abstoßende Verhalten vieler Protagonisten lässt auch zu Beginn wenig Spielraum bei der spannenden Frage, ob sie Gott wirklich kennen. Sie missbrauchen die Bibel zu ihrem eigenen Nutzen und fühlen sich von einem Wahn getrieben, den sie fälschlich als den Gott der Bibel identifizieren. Zuschauer, die dem Glauben skeptisch gegenüberstehen, werden sich dadurch bestätigt fühlen. (pro)
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