„Mobber kommen bis ins Kinderzimmer“

Jeder fünfte Schüler in Deutschland ist Untersuchungen zufolge Opfer von Cybermobbing. Mit dem Projekt "Medienhelden" versucht sich die Freie Universität Berlin an einem Gegenprogramm. Rollenspiele sollen die Empathie der Schüler fördern, Fortbildungen die Medienkompetenz der Lehrer.

Von PRO

"Medienhelden" ist nicht das einzige Programm gegen Cybermobbing bundesweit, gehört aber zu den ersten seiner Art. Das Projekt richtet sich an Schüler der siebten bis zehnten Klassen. In Rollenspielen nehmen diese dabei etwa die Position von Mobbingopfern oder Tätern ein. Catarina Katzer, Psychologin und Vorstandsvorsitzende des "Bündnisses gegen Cybermobbing", hält Präventionsprogramme wie dieses für "enorm wichtig". Am Dienstag erklärte sie bei der Vorstellung des Projekts in Berlin: Schon in Grundschulen müssten Kinder geschult werden. Junge Menschen brächten zwar ein hohes Maß an Kompetenz in der Handhabung der modernen Medien mit, oft mangele es ihnen aber an der Lebenserfahrung oder schlicht am Wissen in rechtlichen Dingen. Welche Fotos sie etwa hochladen dürften, sei ihnen nicht klar. Doch das Projekt richtet sich auch an die ältere Generation, an Lehrer und Eltern. So sollen die Kinder und Jugendlichen einen Elternabend vorbereiten, während dessen sie ihr Wissen über den Umgang mit neuen Medien an Väter und Mütter weitergeben.

Jeder fünfte Schüler in Deutschland ist von Cybermobbing betroffen, weiß Herbert Scheithauer, Experte für Jugendgewalt und Professor an der Freien Universität Berlin. Das kann weitreichende Folgen haben. Cybermobbing könne dazu führen, dass Opfer depressiv würden, sich zurückzögen oder gar Selbstmord begingen, wie bereits in Österreich und England geschehen. In Berlin sei das noch nicht passiert, gibt Scheithauer Entwarnung. Dennoch würden solche Schüler ängstlich, lebten isoliert und in Einsamkeit. Studien zeigten, dass Opfer von Cybermobbing oft auch in der Schule gemobbt würden. Ersteres ist weit dramatischer, sagte Katzer: "Heute kommen die Mobber bis ins Kinderzimmer." Früher sei ein Kind vielleicht in der Schule gemobbt worden, habe aber zu Hause Ruhe vor den Angriffen gehabt. Weil viele Jugendliche heute fast rund um die Uhr online seien, steige auch die Häufigkeit von Cybermobbing.

"Medienhelden" wurde nun in 35 Berliner Schulklassen getestet. Mit Erfolg, wie Scheithauer verkündete. 86 Prozent der beteiligten Lehrer glaubten, eine positive Veränderung in ihrer Klasse wahrnehmen zu können. Unter den Schülern stellten die Experten einen starken Rückgang des Cybermobbings fest. "Wenn wir in Schulen nichts machen, ist es schlimmstenfalls so, dass sich die Situation verschlechtert", sagte Scheithauer. Das sei etwa in einer zweiten beobachteten Gruppe der Fall gewesen, in der "Medienhelden" nicht angewandt worden sei.

Ob und wie das Projekt fortgesetzt werden kann, hängt nun davon ab, ob sich Interessenten und Unterstützer finden, denn die staatlichen Fördermittel laufen im März aus. Bisher wurde es von der EU gefördert. Zu den Kooperationspartnern zählen auch der "Weiße Ring" und die Initiative "Klicksafe". Ab Mai soll "Medienhelden" zunächst auf dem Buchmarkt und als CD-Rom erhältlich sein. Die Schülerin Sarina Schlien hat an einem "Medienhelden"-Projekttag teilgenommen. "Sehr hilfreich" habe sie das gefunden, sie wisse nun, wie sie ihre Daten online zu schützen habe. Anwenden wird sie dieses Wissen im Gegensatz zu ihren Klassenkameraden wohl eher selten. Denn Schlien gehört zu einer aussterbenden Art: "Ich habe zu Hause gar kein Internet", verriet sie den versammelten Journalisten. (pro)

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