Mob 2.0 – Wie Lehrer über das Internet fertig gemacht werden

Schüler nutzen vermehrt das Internet, um sich bei unbeliebten Lehrern zu "rächen". Aus Großbritannien schallten bereits vor einem Monat Klagerufe wegen Internet-Mobbing von Lehrern. Jetzt schlägt auch der Deutsche Philologenverband (DPhV) Alarm, der vor einer Ausuferung des Problems warnt und die Politik zum Eingreifen auffordert.
Von PRO

Immer mehr Schüler montieren mit einer Foto-Software die Köpfe ihrer verhassten Lehrer in pornographische Fotos oder sogar in Hinrichtungsvideos. Diese werden dann über Portale wie Youtube oder per Instant-Messenger wie icq über’s Netz verbreitet. Es handele sich dabei längst nicht mehr um Einzelfälle in Deutschland, warnte der Verband am Montag in einer Pressemitteilung.

Der Bundesvorsitzende Heinz-Peter Meidinger berichtete in Berlin von zahlreichen Verletzungen der Persönlichkeitsrechte und sogar Drohungen gegen Lehrer im Internet. „Inzwischen gibt es in Deutschland wohl keine weiterführende Schule mehr, die nicht schon negative Bekanntschaft mit dieser neuen Tendenz, Lehrer anonym im Internet zu mobben, gemacht hat“, erklärte Meidinger.

So hätten vor kurzem in Niedersachsen Sechstklässler einen Flirt-Chat genutzt, um mit anzüglichen Bemerkungen und rufschädigenden Äußerungen fünf Lehrerinnen und Lehrer in ein schlechtes Licht zu rücken. Auf der Internetseite „Pi-Inside.de“, auf der sich die User zu Partys verabreden können, veröffentlichten Schüler aus Pinneberg reihenweise Bilder von Lehrern mit beleidigenden und wenig schmeichelhaften Unterschriften.

Bekannt wurde auch ein Vorfall im österreichischen Reutte, wo Jugendliche andere Mitschüler dazu aufforderten, die Autos ihrer Lehrer anzufahren. Zudem gebe es inzwischen eine Reihe von Computergewaltspielen, für die im Internet die Möglichkeit angeboten werde, den „Bösen“ die Gesichter von Lehrern zu verleihen. Diese bekannt gewordenen Fälle seien dabei „nur die Spitze des Eisberges“, betonen die Philologen.

„Persönlichkeitsrechte werden systematisch mit Füßen getreten“

Dabei gehe es nicht darum, dass einige Lehrer zimperlich seien. „Lehrer müssen und mussten immer schon mit Kritik leben“, sagte Meidinger. „Als Pädagoge, der mit Jugendlichen arbeitet, darf man dabei auch nicht zu empfindlich sein. Was sich allerdings derzeit im Internet abspielt, spottet oft jeder Beschreibung. Das hat mit Schülerscherzen oder Spaß nichts mehr zu tun. Da werden die Persönlichkeitsrechte von Lehrkräften systematisch mit den Füßen getreten.“

Was als „Web 2.0“ bekannt wurde, lebt vom Engagement und der Kreativität Einzelner. Der Inhalt von Webseiten kommt in diesem „Mitmach-Netz“ nicht von Redaktionen oder Konzernen, sondern von „normalen“ Privatpersonen. Weblogs sowie Foto- und Videoportale für Jedermann machen das Internet bunter, und nicht zuletzt ermuntert die Anonymität viele, etwas im Netz zu veröffentlichen, was sie früher nicht hätten veröffentlichen können oder wollen. Wird diese Freiheit des Publizierens und die Anonymität jedoch dazu verwendet, andere Menschen zu diffamieren, schlägt das bunte Treiben um in einen Online-Pranger; das Web 2.0 wird zum Mob 2.0.

Meidinger kritisierte die deutsche Internetseite spickmich.de, wo Schüler Noten für Lehrer der eigenen Schule verteilen können. Dort schrieben Schüler Lehrern oft falsche Zitate zu und wollten vermeintlich offene Rechnungen begleichen, so der DPhV-Vorsitzende. „Zum anderen verstoßen die dort eingeforderten Noten über das Aussehen und den Sexappeal von namentlich genannten Lehrern eindeutig gegen deren Persönlichkeitsrechte! Bekannt geworden sind auch Beispiele, wo sich ganze Klassen absprechen, um bestimmte Klassenlehrer fertig zu machen“, klagte Meidinger.

In Großbritannien erleben Lehrer ähnliches, und schon im April wurden erstmals Berichte über das Ausmaß des Lehrer-Mobbings bekannt. Laut einem dpa-Bericht litten im Königreich manche Lehrkräfte so sehr unter den Internet-Mobbingaktionen ihrer Schüler, dass sie krank würden und schließlich den Beruf wechselten. Das Phänomen wird dort „Cyber-Bullying“ genannt (etwa: „Cyber-Schikane“). „Grausam und unbarmherzig“ nannte es der britische Erziehungsminister Alan Johnson. Dabei sei es längst nicht nur gegen Lehrer gerichtet, auch Mitschüler würden auf diese Art von anderen gequält, betonte der Minister.

Psychische Probleme durch Internet-Mobbing

Für internationales Aufsehen sorgte das Beispiel eines korpulenter gebauten Jungen, der sich per Video als kämpfender Jedi-Ritter aufnehmen ließ. Das Video wurde ohne sein Wissen ins Internet gestellt und rief auf den einschlägigen Internetseiten in Europa und den USA Hohn und Spott hervor. Der Junge befindet sich bis heute in psychiatrischer Behandlung.

Videos, die auf Toiletten oder in Umkleideräumen mit Handy-Kameras gemacht und dann im Internet einem weltweiten Publikum präsentiert werden, könnten einem Kind schweren psychischen Schaden zufügen, warnten Experten. In einem der Aufsehen erregendsten Fälle der letzten Monate hatten Schüler in Schottland einem Lehrer, der gerade etwas an die Tafel schrieb, von hinten die Hosen heruntergezogen und den fassungslosen Mann mit einem Handy gefilmt. Das Video landete mit genauer Angabe zur Schule beim weltweit bekannten Videoportal Youtube. Weil jedoch viele Besucher der Seite empört waren und Youtube auf das Video aufmerksam machten, löschte es der Betreiber aus seiner Datenbank.

In einem Fall musste eine Lehrerin monatelang psychisch betreut werden, nachdem Schüler ihr Gesicht in ein pornografisches Foto hineinmontiert und dieses dann ins Internet gestellt hatten. Abgesehen von Fotos und Bildmontagen gebe es auf Internetseiten auch immer mehr verbale Beschimpfungen von Lehrern und massive Drohungen gegen sie. „Die Online-Schikanen gegen Lehrer müssen aufhören“, forderte Erziehungsminister Johnson. Er appellierte an die Betreiber von Websites, keine peinlichen oder beleidigenden Fotos und Videos von Lehrern oder Schülern mehr zu veröffentlichen. Zudem kündigte er schärfere Maßnahmen an den Schulen gegen das „Cyber-Bullying“ an. So dürften Lehrer ab jetzt Handys und Digitalkameras konfiszieren, die für solche Zwecke benutzt wurden.

Im Hinblick auf Großbritannien nannte es der Deutsche Philologenverband unverständlich, dass die Lehrer hierzulande von der Politik allein gelassen würden. Während die Regierung des Inselstaates eine breit angelegte Kampagne gegen Anti-Lehrer-Mobbing im Internet durchführe, gebe es in Deutschland trotz der Klagen von Datenschutzbeauftragten noch keine offiziellen Maßnahmen. Der DPhV fordert etwa, dass auf die Betreiber entsprechender Internetportale und Chatforen Druck ausgeübt wird, solche Inhalte von vorneherein zu löschen. „Was ist das für eine Moral, die es zulässt, dass mit der Diffamierung von Menschen Geld verdient wird“, so Meidinger.

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