Mit Zensur gegen Kinderpornos?

Eine heftige Debatte tobt im Internet und in den Ausschüssen des Bundestages. Um Kinderpornographie im Internet zu begegnen, hat Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen im vergangenen November einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Doch um Kinderpornos geht es im Streit schon längst nicht mehr. Vielmehr um die Sorge, der Staat könne irgendwann nach eigenem Gutdünken selbst bestimmen, welche Inhalte die Bürger im Internet ansurfen dürfen und welche nicht.
Von PRO

„Kinderpornographie ist eine der widerlichsten Formen von Kriminalität. Man macht mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern Geschäfte, traumatisiert sie, zerstört Lebenswege, um daraus im Ergebnis Kapital zu schlagen.“ Mit diesen Worten leitete Wolfgang Wieland von „Bündnis 90, Die Grünen“ seinen Beitrag in der ersten Lesung zum Gesetzesentwurf im Bundestag am Mittwoch ein. Und fast alle Redner begannen ähnlich. Der Verdacht, für die Verbreitung von Kinderpornographie im Internet zu sein, steht schnell im Raum, wenn jemand Kritik am Plan von der Leyens äußert. Dennoch, so fuhr Wieland fort, das Grundgesetz erlaube einen so tiefen Eingriff in die Freiheit des Bürgers schlichtweg nicht. Und das vielleicht aus gutem Grund.

Von der Leyen schlug eine Maßnahme vor, mit der Kinderpornographie im Netz eingedämmt, „trocken gelegt“, werden soll. Demzufolge solle das Bundeskriminalamt (BKA) ermächtigt werden, Webadressen von Kinderporno-Seiten auf eine schwarze Liste zu setzen. Diese würden an alle großen Internet-Provider in Deutschland übermittelt, die diese Adressen dann wiederum sperren. Das klingt zunächst gut. Warum also unterzeichneten binnen vier Tagen 50.000 Menschen eine Petition, mit der sie den Bundestag zwingen, über das Gesetz in einer öffentlichen Sitzung erneut zu debattieren, und warum sind so viele Politiker strikt gegen das Gesetz?

Einerseits nutzlos, andererseits gegen das Grundgesetz

Das fragt sich offenbar auch Hartmut Schauerte, Parlamentarischer Staatssekretär der CDU im Bundeswirtschaftsministerium. Wenn er sehe, wie Kinder zu Opfern geldgieriger Menschen würden, käme ihm „das kalte Grausen“. Die Informations- und Kommunikationsfreiheit kenne auch ihre Grenzen. Vor allem, wenn unschuldige Kinder darunter litten.

Recht hat er, meinte auch Max Stadler FDP, Innenpolitischer Sprecher der FDP. Doch die angestrebten Maßnahmen nützten kaum etwas, ist er zusammen mit zahlreichen Kritikern des Gesetzesentwurfs überzeugt. Statt das Grundgesetz zu umgehen und die Informationsfreiheit des Bürgers zu beschneiden, müssten die Täter verfolgt, Straftaten geahndet und die Kinderpornos selbst gelöscht werden. Eine Sperrliste des BKA lege lediglich einen Schleier über die schmutzigen Inhalte, entfernt würden sie dadurch nicht. Stadler fragte im Bundestag: „Wollen wir wirklich, dass eine Polizeibehörde – und nur sie – einen Eingriff in ein Grundrecht, nämlich die Informationsfreiheit, formuliert und Vorgaben dafür macht? Braucht man nicht einen Richtervorbehalt?“ Die BKA-Listen der zu sperrenden Internetseiten wären geheim, da sie Hinweise auf Kinderporno-Seiten enthielten. Das c’t Magazin bemängelte: „Niemand kann kontrollieren, ob die gesperrten Seiten nach Entfernung der beanstandeten Inhalte wieder freigeschaltet werden.“

Das BKA als Regulierer des Internets?

Zudem könne niemand sicherstellen, dass nicht irgendwann der Ruf nach Sperrung anderer Bereiche laut werde. Schon jetzt hörte man den Wunsch, auch Internetseiten mit Glücksspiel-Inhalten oder zu „Killerspielen“ zu sperren. Ist das Instrument der Internet-Zensur einmal fertig, könnte die Verlockung, alles Unliebsame „wegzusperren“, irgendwann zu groß werden. Was, wenn den Regierenden in Berlin irgendwann bestimmte politische Ansichten nicht mehr passen – und sie auf die BKA-Liste setzen?, fragen sich Kritiker des Gesetzesentwurfes.

Tatsächlich befürwortete der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der Musikindustrie, Dieter Gorny, bereits den Vorstoß der Familienministerin. Allerdings nicht aus Sorge um Kinderpornographie, sondern weil er eigene Interessen verfolgt: Die Regulierung des Internets könne gleich auch das „geistige Eigentum“ und damit wertvolle Rechte an Musik schützen. Zensur als Regulierungsinstrument für Wirtschaftsinteressen?

Im Gesetzesvorschlag der Familienministerin heißt es: „Eine Ausweitung auf andere Zwecke ist nicht beabsichtigt.“ Das sei eine gute Absicht, so der FDP-Politiker, doch die Vergangenheit habe oft genug gezeigt, dass es bei Versprechungen nicht bleiben müsse. Die Online-Durchsuchung etwa sollte zunächst nur in extremen Fällen der Terrorbekämpfung angewandt werden. Wenige Monate später wurden Forderungen laut, die eine Ausweitung auf andere Bereiche befürworteten.

Sperren binnen weniger Sekunden geknackt

Jörn Wunderlich von der Fraktion „Die Linke“ wunderte sich: „In der Anhörung im Unterausschuss ‚Neue Medien‘ genau zu dieser Frage haben die Sachverständigen unisono bestätigt, dass derartige Sperren wirkungslos sind.“ Bereits jetzt kursiere im Internet ein Video, das zeige, wie man die von Frau von der Leyen beabsichtigte Sperre umgehe. Es dauert gerade einmal 27 Sekunden. „Warum geht man nicht gezielt gegen die Anbieter vor?“, fragte Wunderlich.

Die Daten der Kinderpornographie-Anbieter wären auch nach dem Gesetz von der Leyens weiter im Netz – nur verdeckt durch einen Schleier. Oder durch ein Stoppschild, das sogar nur mäßig erfahrene Internetnutzer leicht „umfahren“ könnten. Zudem erklären erfahrene Ermittler und Rechtsanwälte, die seit Jahren Klienten auf diesem Gebiet vertreten, dass die Kinderpornographie kaum über das Internet getauscht würde, sondern in der Regel über den Postweg. Das Internet diene nur zur Kommunikation. Das Material sickere erst später ins Internet durch, etwa wenn die Kunden untereinander tauschten.

Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries packte Skepsis angesichts des Vorhabens, das Grundgesetz trotz fragwürdiger Effektivität zu ändern. „Die Verfassung sagt uns, dass jeder das Recht hat, sich auch im Internet frei zu bewegen“, betonte Zypries.

Kritiker sind derzeit zudem verärgert, da sie als Befürworter von Kinderpornographie dargestellt werden. Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg etwa sagt am Mittwoch in der „Tagesschau“: „Es macht mich schon sehr betroffen, wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass es Menschen gibt, die sich gegen die Sperrung von kinderpornographischen Inhalten sträuben. Das ist nun wirklich eine der wichtigsten Vorhaben in vielerlei Hinsicht.“ Auch von der Leyen zeigte sich unbeeindruckt von der tausendfachen Kritik: „Eine zivilisierte Gesellschaft, einschließlich der Internetgemeinschaft, die Kinderpornographie ernsthaft ächtet, darf auch im Internet nicht tolerieren, dass jeder diese Bilder und Videos vergewaltigter Kinder ungehindert anklicken kann“, teilte ihr Ministerium mit. „Das Leid der Opfer ist real, nicht virtuell. Jeder Klick und jeder Download verlängert die Schändung der hilflosen Kinder.“

Dabei betonen alle Kritiker, allen voran die 29-jährige Initiatorin der Online-Petition, Franziska Heine, dass die Kritik nicht auf den Kampf gegen Kinderpornographie ziele, sondern eine wirksamere Bekämpfung unter Wahrung der Informationsfreiheit fordert. Die Sorge, eine Zensur von Internetinhalten durch das BKA könne den Anfang vom Ende der Internetfreiheit einläuten, bezeichnete die CDU-Bundestagsabgeordnete Michaela Noll während der ersten Lesung des Entwurfs als „Verschwörungstheorie“ und „Unterstellung“.

Der Journalist und Blogger Jens Schröder, den die Wochenzeitung „Die Zeit“ zitierte, schrieb in seinem Weblog unter der Überschrift „Ein Schrei„: „Was passiert hier eigentlich gerade? Eine Berliner Clique aus vornehmlich älteren Herren verbietet alles, was sie nicht kapiert. Es gibt Amokläufe? Verbieten wir schnell mal ‚Killerspiele‘ und Paintball. Kinderporno? Wegsperren und wir haben Ruhe.“ Er wundert sich, dass die Politik nicht vielmehr versuche, die Probleme an der Wurzel zu packen: die Täter finden, die Kinderpornos ins Netz stellen, oder gefährliche Waffen aus den Wohn- und Schlafzimmern entfernen. „Ich befürchte, dass sich die Politiker in Berlin gerade von einer ganzen Generation von heranwachsenden und jungen Erwachsenen entfernen, weil sie einfach nicht mehr kapieren, wie moderne Technik funktioniert und was Jugendliche in ihrer Freizeit tun.“

Kinderpornographie ist Sache der Polizei

Bislang drohte das Strafgesetzbuch (§ 184) demjenigen mit Freiheits- oder Geldstrafe, der Kinderpornographisches Material verbreitet, öffentlich ausstellt oder sonst zugänglich macht oder herstellt, bezieht, liefert oder anbietet. Das Besitzen solchen Materials ist strafbar, aktives Suchen im Internet kann ebenfalls zum Verhängnis werden, auch wenn es mit „guter Absicht“ geschieht. Das BKA hat eine Zentralstelle „Kinderpornographie“ eingerichtet und leitet Informationen über Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornographie an die zuständigen Stellen weiter, da es selbst im Bereich der Verfolgung von Sexualdelikten eigentlich keine Ermittlungszuständigkeit hat. Der Aufgabenbereich des BKA bezieht sich hauptsächlich auf international angelegte Verbrechensbekämpfung, wie etwa die Verfolgung von terroristischen Organisationen.

Im April unterzeichneten fünf große Internet-Provider mit dem Bundeskriminalamt (BKA) einen Vertrag zur Sperrung kinderpornographischer Internetseiten. Sperrungen von kinderpornographischen Inhalten im Netz scheiterten bislang an der Gesetzgebung, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, René Obermann. In spätestens sechs Monaten soll die Vereinbarung umgesetzt sein. Zu den beteiligten Internetanbietern gehören die Deutsche Telekom, Vodafone Deutschland und Arcor, Alice/Hansenet, Kabel Deutschland und Telefónica O2. Sie decken den Angaben zufolge 75 Prozent des Marktes ab. Der Internetanbieter Freenet lehnte den Vertrag indes ab. „Die gewünschten Sperrmaßnahmen verletzen Grundrechte der Bürger, insbesondere das Fernmeldegeheimnis sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“, erklärte das Unternehmen. (PRO)

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