„Mit dem Glauben an den Sühnetod Jesu steht und fällt sehr viel“

Ist Jesus für die Sünde der Menschen gestorben? Ist er leiblich auferstanden? Zentrale Glaubensüberzeugungen stehen unter manchen Evangelikalen infrage. Frank Hinkelmann erklärt, wie und warum die Initiative „Jesus25“ darauf reagiert.
Von Jonathan Steinert
Frank Hinkelmann

PRO: Im freikirchlichen und evangelikalen Bereich werden Glaubensgrundlagen zunehmend hinterfragt. Welche sind das?

Frank Hinkelmann: In Teilen des freikirchlichen und pietistischen Bereichs werden theologische Grundüberzeugungen wie der Sühnetod Jesu, seine leibliche Auferstehung und anderes in Frage gestellt. Damit ist vor allem die sogenannte postevangelikale Bewegung gemeint. Um Menschen in unserer postmodernen Gesellschaft erreichen zu können, meinen sie, dass man den Glauben in manchen Bereichen erst mal dekonstruieren muss; dass man fragen muss, was Sünde eigentlich heute meint. Statt die Antworten dazu in der Heiligen Schrift selbst zu finden, ziehen sie das gesellschaftliche Verständnis dafür heran.

Wir von der Initiative „Jesus25“ sind der Überzeugung, dass es gute Gründe gibt, an den traditionellen christlichen Werten, die uns übrigens auch mit den anderen christlichen Konfessionen verbinden, festzuhalten. Diese Diskussionen im deutschsprachigen Kontext sind vor allem ein westeuropäisches Phänomen. In weiten Teilen Europas, geschweige denn in der Welt, steht das zumindest innerhalb der evangelikalen Bewegung nicht zur Debatte.

Wir erleben in Westeuropa einen starken Rückgang des christlichen Glaubens. Warum leisten wir uns solche Debatten um diese Fragen, die in der globalen Christenheit kaum eine Rolle spielen?

Es hängt sehr viel vom Schriftverständnis ab: Mit welcher Haltung lesen wir die Bibel? Ist sie autoritatives Wort Gottes, ist sie der Maßstab, an dem wir uns zu orientieren haben – bei allen Unterschieden in der Auslegung, des Inspirationsverständnisses und der notwendigen kulturellen Kontextualisierung? Oder ist es eher unser gesellschaftliches Umfeld, an dem wir unseren Glauben ausrichten? In weiten Teilen der globalen Christenheit wird die Bedeutung der Bibel nicht hinterfragt.

Das Hinterfragen von Inhalten und Überzeugungen kann auch sinnvoll sein, um sich selbst zu überprüfen und darauf auszurichten, wie wir als Christen in unsere Zeit hineingehören. Was kann man auch von dieser progressiven Strömung und Theologie lernen?

Ich sehe hier das Anliegen: Wie können wir Menschen in einem nachchristlichen, postmodernen Kontext erreichen? Das Anliegen teile ich, den Weg nicht.

Wenn Post-Evangelikale und klassische Evangelikale im Grunde dasselbe Ziel haben, nämlich Menschen mit dem Evangelium in Berührung zu bringen, warum ist es dann so wichtig, die Unterschiede zwischen den Strömungen zu definieren?

Wenn ich die zentralen Überzeugungen des Christentums – nicht mal nur der evangelikalen Bewegung – aufgebe, wenn ich nicht mehr davon überzeugt bin, dass Jesus Christus am Kreuz für die Schuld der Menschheit gestorben ist, dann habe ich keine theologische Gemeinsamkeit mehr. Damit steht und fällt sehr viel. Ähnlich ist es, wenn ich nicht glaube, dass Jesus leiblich auferstanden ist. Oder wenn ich sage, die biblische Definition von dem, was Schuld und Sünde ist, hat keine Relevanz mehr für heute. Hier geht es um die Frage: Hat das noch mit einem christlichen Glauben zu tun, wie ihn Christen von römisch-katholisch, orthodox bis protestantisch in den letzten 2.000 Jahren vertreten haben? Da sind Zweifel angebracht.

„Jesus25“

Vom 8. bis 10. Mai treffen sich rund 600 Mitarbeiter und Multiplikatoren vorwiegend aus dem deutschsprachigen freikirchlichen und pietistischen Bereich im Konferenzzentrum „Langensteinbacher Höhe“ bei Karlsruhe zur Konferenz „Jesus25“. Dort soll es um die Bedeutung und Gültigkeit zentraler christlicher Glaubensinhalte gehen und darum, wie Christen damit in die Gesellschaft hineinwirken können. Die Initiative wird getragen von Vertretern zahlreichen verschiedener evangelikal geprägter Organisationen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, darunter die Evangelische Allianz, freikirchliche Dachverbände und theologische Ausbildungsstätten wie der Freien Theologische Hochschule Gießen, das Martin-Bucer-Seminar oder das Theologische Seminar Adelshofen.

Was möchten Sie mit „Jesus25“ erreichen?

Wir wollen Mitarbeitern, Multiplikatoren in Gemeinden helfen, zu erkennen: Ja, es gibt aus einer 2.000-jährigen Geschichte gute, nachvollziehbare und auch erklärbare Gründe, warum der christliche Glaube ohne inhaltliche Kompromisse heute noch relevant ist. Wir möchten Hilfestellung geben, die heilsame Kraft und Schönheit der ewig gleichen biblischen Botschaft zu vermitteln.

Wenn vom Rückgang des Glaubens in unserer Gesellschaft die Rede ist, geht es in der Öffentlichkeit vor allem um die großen Kirchen, die ihre Mitglieder verlieren. Evangelikale sind innerhalb der christlichen Landschaft eine Minderheit. Welche Prägekraft können Evangelikale trotzdem haben?

In Europa werden wir als evangelikale Bewegung insgesamt keinen großflächigen gesamtgesellschaftlich prägenden Einfluss wahrnehmen können. Dazu sind wir eine zu kleine Minderheit. Wir sehen es durchaus aber auf lokaler Ebene, wo evangelikal geprägte Gemeinden sich missionarisch und sozial engagieren.

Wir leben nicht mehr in einer christlichen Gesellschaft, wo auch die Politik auf klassisch christliche und evangelikale Positionen eingeht. Die gesamtpolitische globale Wirklichkeit mit den Entwicklungen der USA hilft da sicher auch nicht. „Evangelikal“ ist in Teilen der USA inzwischen zu einem rein politisch definierten Begriff geworden. Selbst manche Muslime in den USA würden sich als evangelikal bezeichnen, weil sie gewisse ethische Werte vertreten. Aber das hat ja dann nichts mit dem christlichen Glauben zu tun. Wir erleben allerdings in Ländern wie Frankreich oder Irland gerade ein sehr starkes Wachstum der evangelikalen Bewegung. Das hat mit Migration zu tun, aber nicht nur.

„Evangelikal“ hat in der deutschsprachigen Öffentlichkeit ein oft negatives Image. Ist es sinnvoll, an dieser Bezeichnung festzuhalten?

Das ist eine heiß diskutierte Frage. Ich möchte an dem Begriff festhalten, ihn aber anhand theologischer Überzeugungen definieren, die auf der ganzen Welt in der evangelikalen Bewegung vertreten werden, und nicht im Sinne einer Konfession. Denn Evangelikale gibt es nicht nur in Freikirchen. Der andere Grund dafür ist, dass die evangelikale Bewegung eben von Anfang an eine internationale, globale Bewegung ist und wir bis jetzt keinen anderen Begriff gefunden haben, der sich als Alternative durchsetzen konnte.

Wie definieren Sie „evangelikal“ theologisch?

Es ist ein ganz klares Festhalten an der Autorität der Heiligen Schrift. Der Sühnetod Jesu, sein stellvertretender Opfertod am Kreuz, ist für die evangelikale Bewegung immer konstituierend gewesen.Es ist drittens eine Betonung von Wiedergeburt und Bekehrung. Viertens Jüngerschaft und Nachfolge, das schließt Mission und Evangelisation mit ein. Und ich würde auch sagen, dass dieses Wissen um eine konfessionsübergreifende Gemeinschaft von Gläubigen dazu gehört, die gleichzeitig aber auch Teil einer örtlichen Gemeinde sind.

Bei „Jesus25“ geht es auch um christliche Ethik. Steht die denn ebenfalls in Frage?

Ethische Fragen spielen eine wichtige Rolle, weil sie mit der Haltung zur Heiligen Schrift zu tun haben und damit, ob, das, was die Bibel als Sünde bezeichnet, auch heute noch Sünde ist. Das hat natürlich Konsequenzen auch auf den Lebensvollzug. Das zeigt sich in der Sexualethik, aber es geht auch um andere Bereiche. Eine der Schwächen der evangelikalen Bewegung ist sicher, dass vieles immer nur auf die Frage der Sexualethik reduziert wird. Aber es ist der Punkt, an dem sich in Westeuropa manches kristallisiert.

„Ich sehe die Gefahr, dass wir uns in einer evangelikalen Subkultur bewegen und zwar vieles wissen, aber das nicht nach außen hin vermitteln können, auch nicht verstehen, wie Menschen mit anderer religiöser oder areligiöser Prägung denken.“

Christen hierzulande stehen vor der Herausforderung, in einer Gesellschaft, in der viele mit dem Glauben nichts mehr anfangen können, das Evangelium und den Glauben weiterzugeben. Was sind aus Ihrer Sicht dabei die größten Herausforderungen?

Es ist interessanterweise nicht die Ethik. Die zu vermitteln, kann der Geist Gottes bei Menschen, die zum Glauben kommen, gut selbst übernehmen und das erlebe ich auch immer wieder. Die größte Herausforderung für uns als Evangelikale in einem nachchristlichen westlichen Europa ist, sprachfähig zu sein: von unserem Glauben, von unseren Überzeugungen, von dem, was wir mit Jesus erlebt haben, so zu sprechen, dass das Menschen, die nicht christlich sozialisiert sind, wirklich verstehen können.

Als Evangelikale sind wir es nicht gewohnt, dass klassisch christliche Positionen gesellschaftlich nicht mehr mehrheitsfähig sind. Hier sehe ich die große Chance, die uns mit Christen gegeben ist, die aus dem globalen Süden zu uns kommen und es gewohnt sind, dass es Widerstand und Unverständnis für ihren Glauben gibt. Ich sehe auch die Gefahr, dass wir uns in einer evangelikalen Subkultur bewegen und zwar vieles wissen, aber das nicht nach außen hin vermitteln können, auch nicht verstehen, wie Menschen mit anderer religiöser oder areligiöser Prägung denken. Da müssen wir herauskommen.

Was können Christen in Westeuropa und im deutschsprachigen Raum von den Christen in anderen Ländern lernen?

Die Selbstverständlichkeit, mit denen sie an den traditionell biblisch-christlichen Überzeugungen festhalten, ist etwas, was wir sicher von ihnen lernen können. Die Dynamik, die Freude, mit der sie von ihrem Glauben reden. Hierzulande ist christlicher Glaube ja vielfach Privatsache geworden. Wenn ich in Afrika bin, erlebe ich, dass mich der Taxifahrer fragt: „Glauben Sie an Jesus Christus?“ Das wird mir in einem deutschen Taxi eher nicht passieren. Spannend ist, dass das aber auch von Westeuropäern als authentisch wahrgenommen wird, während sie sich immer schwerer damit tun, uns westeuropäischen Christen dieses Zeugnis abzunehmen. Da haben wir in unserer eigenen Gesellschaft scheinbar eine gewisse Glaubwürdigkeit verloren.

Vielen Dank für das Gespräch!

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