Missionar nicht länger Indigenen-Beauftragter

Ricardo Lopes Dias ist nicht mehr der Leiter der Abteilung für unkontaktierte Völker in der Indigenen-Behörde Brasiliens. Der ehemalige Missionar war im Frühjahr von Präsident Jair Bolsonaro eingesetzt worden. Das war im In- und Ausland kritisch bewertet worden.
Von Norbert Schäfer
Die Rechte der indigenen Bevölkerung Brasiliens werden durch Gesetze geregelt. Über den Schutz der indigenen Völker wacht seit 1901 die Behörde FUNAI (Fundação Nacional do Índio).

Der Anthropologe Ricardo Lopes Dias ist nicht mehr der Leiter der Abteilung für unkontaktierte Völker in der Indigenen-Behörde Funai Brasiliens. Im Frühjahr hatte der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro den ehemaligen evangelikalen Missionar mit der Betreuung isoliert lebender indigener Völker in Brasilien beauftragt.

Wie „Blickpunkt Lateinamerika“ berichtet, das von der Bischöflichen Aktion Adveniat verantwortet wird, hätten Indigenenvertreter Lopes Dias beschuldigt, die Schutzbestimmungen gegen Covid-19 missachtet, Kontakt zu den isoliert lebenden Indigenen gesucht und Aktivitäten von Missionaren der New Tribes Mission (NTM) in den indigenen Gebieten unterstützt zu haben. Lopes Dias war zuvor mehr als zehn Jahre Mitglied bei dem brasilianischen Zweig des evangelikal geprägten US-amerikanischen Missionswerks gewesen.

NTM wurde nach eigenen Angaben 1942 von Paul Fleming in den USA gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, „Menschen ohne Zugang zum Evangelium zu erreichen“. Der deutsche Zweig der Organisation arbeitet unter dem Namen „Ethnos360“. Die Ernennung von Lopes Dias war dem Bericht von „Blickpunkt Lateinamerika“ zufolge bereits im Mai von einem Bundesgericht aufgehoben worden. Der Oberste Gerichtshof des Landes hatte demnach das Urteil jedoch für ungültig erklärt.

Menschenrechtler begrüßen Entlassung

Die Entlassung sei „eine gute Nachricht“, lautet es in einer Pressemeldung der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit Sitz in Göttingen. Demnach waren indigene Organisationen seit der Ernennung vor neun Monaten gegen Lopes Dias „Sturm gelaufen“. Nach gerichtlichen Auseinandersetzungen habe nun das Justizministerium Brasiliens am vergangenen Freitag die Abberufung im brasilianischen Amtsblatt bekannt gegeben.

Juliana Miyazaki, Referentin für indigene Völker bei der GfbV, konstatiert einen Interessenkonflikt „zwischen der Politik des Null-Kontaktes, die die brasilianische Verfassung für diese Völker vorschreibt, und den missionarischen Zielen des Behördenleiters“. Die Position von Lopes Dias in der Funai habe bei vielen Indigenen für Unbehagen besorgt. Demnach habe Lopes Dias Ende August 2020 eine Mission koordiniert, „die fast die Quarantänestationen der isolierten Indigenen […] durchbrochen hätte“, heißt es in der Pressemitteilung. Auf Rückfrage erklärte die GfbV, dass die Bundesstaatsanwaltschaft Brasiliens gegen den Widerstand von Lopes Dias verhindern konnte, dass die erwähnte Mission die Quarantänestation durchbrochen habe. Lopes Dias habe eine Mitarbeiterin unter Druck gesetzt, um den Kontakt mit den Völkern im Javari-Tal zu erzwingen. Übertragungen von Covid-19 direkt durch FUNAI-Mitarbeiter sind der GfbV nicht bekannt. Dass zum Beispiel die Yanomami besonders hart vom Covid-Virus getroffen seien, habe sicher auch damit zu tun, dass auf ihren Gebieten bis zu 20.000 illegale Goldsucher unterwegs seien.

Die indigenen Völker „zwangsweise zu kontaktieren“, könne „katastrophale Auswirkungen auf sie haben“, lautet es in der GfbV-Pressemeldung vom Dienstag. Und: „Nicht selten seien evangelikale Missionen zudem Einfallstore für Kriminelle.“ Den Worten Miyazakis zufolge wollten „Eindringlinge die Gebiete zumeist abholzen und brandroden, um dort nach Gold zu suchen oder sie illegal für Soja-Anbau und Rinderzucht zu nutzen“. Auf Rückfrage erklärte die GfbV, dass das Eindringen von Missionaren gegen den expliziten Wunsch der Einwohner in ein Gebiet „nicht unbedingt illegal“ sei – wenn auch vor dem Hintergrund der kolonialen Geschichte höchst unsensibel. „Die Missionare selbst sind also nicht gemeint, sondern in erster Linie Holzfäller und Goldsucher.“ Diese müssten nicht in Zusammenhang der Mission stehen. Missionare können allerdings indigene Gebiete zugänglicher für andere Nicht-Indigene machen.

Unmut über undifferenzierte Darstellung

Gegen die Darstellung hat sich Ethnos360 gewehrt. „Sehr bedenklich finden wir die unglückliche Formulierung und quasi Gleichsetzung von christlichen Mitarbeitern als ‚Einfallstor für Kriminelle‘“ sowie das verwandte Vokabular des ‚Eindringens gegen den expliziten Wunsch‘ der Einwohner“, erklärte Burkhard Klaus, Pressesprecher von Ethnos360. Das Gegenteil sei der Fall. „Die Menschen der indigenen Volksgruppen sind uns menschlich wertvoll.“

Die Ethnos-Mitarbeiter suchten diese Menschen aus uneigennützigen Motiven auf, um mit ihnen zu leben, ihre Sprache und Kultur kennenzulernen und „denen die christliche Botschaft anzubieten, die sie hören wollen“. Dabei würden weder Druck oder Zwang eingesetzt und „erst recht niemals, um wirtschaftliche Interessen damit zu verbinden“. Auch durch die Alphabetisierung oder konkrete medizinische Hilfe und Hygieneaufklärung leisteten die Ethnos-Mitarbeiter seit Jahrzehnten „wertvolle Dienste zu mehr Eigenständigkeit und Schutz vor Ausbeutung“. Klaus bemängelte in den Äußerungen der GfbV die „fehlende klare Trennung zwischen christlichen Missionswerken und Menschen mit wirtschaftlichen Interessen“.

Von: Norbert Schäfer

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