Merkel: Toleranz nicht mit Beliebigkeit verwechseln

H e i d e l b e r g (PRO) - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich für eine anspruchsvolle Toleranz ausgesprochen, die nichts mit Beliebigkeit und Standpunktlosigkeit zu tun hat. "Toleranz zerstört sich selbst, wenn sie sich nicht vor Intoleranz schützt", sagte die Kanzlerin am Mittwoch bei einem Vortrag in der alten Aula der Universität Heidelberg. Eingeladen hatten die Hochschule für Jüdische Studien (HfJS) und der Zentralrat der Juden in Deutschland. Der Vortrag im Rahmen der "Heidelberger Hochschulreden" stand unter dem Thema: "Toleranz - die Basis des Miteinanders der Religionen und Kulturen".
Von PRO

Es müsse klar sein, wo Toleranz ende und wo intolerantes Verhalten beginne, so Merkel. Intolerantes Verhalten dürfe unter keinen Umständen geduldet werden, weder bei Gewalt und Extremismus noch bei Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus. Bei all dem dürfe es keine Indifferenz und keine Toleranz geben. „Hier muss unmissverständlich klar sein: Derartiges Verhalten wird geächtet und bekämpft.“ Worte reichten dabei nicht aus, diese Haltung müsse auch in eine entsprechende Rechtsordnung gekleidet sein, für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Diese Rechtsordnung müsse auf der einen Seite Intoleranz maßregeln und auf der anderen Seite Toleranz gewähren und fördern.

Als Beispiel für einen Fall, in dem eine falsch verstandene Toleranz unangebracht wäre, nannte die Kanzlerin die Bedrohung durch den Iran, „dessen Präsident den Staat Israel auslöschen will und den Holocaust leugnet“. Dieser Bedrohung  könne nur „mit Entschlossenheit und Geschlossenheit der internationalen Staatengemeinschaft“ begegnet werden.

Merkel plädierte für eine „Bildung in Toleranz. Damit meine ich das Einüben und Wissen um andere Ansichten, Weltanschauungen und Religionen“. Sie fügte hinzu, eine derartige Vermittlung von Toleranz löse gelegentlich die Sorge aus, dass es dabei um „Gleichmacherei, um eine Relativierung des Religiösen oder gar um Zurückdrängung des Religiösen aus dem öffentlichen Raum gehe“. Doch das in Deutschland praktizierte Konzept der Religionsfreiheit stehe nicht zur Disposition. Die Eigenständigkeit der Religionsgemeinschaften sei ein hohes Gut. „Aus ihr folgt gleichzeitig Mitverantwortung der Religionen für das Gemeinwohl. Umgekehrt stellt uns das vor die Aufgabe, der existierenden Vielfalt der Religionen den notwendigen Raum zu geben. Sie ist für ein gedeihliches Miteinander erforderlich.“

Für islamischen Religionsunterricht

Religionsfreiheit bedeutet nach Ansicht der CDU-Politikerin das Recht auf die eigene Glaubenspraxis. In diesem Zusammenhang sprach sie sich für die „religiöse Unterweisung in der staatlichen Schule“ aus, wenn die Glaubensgemeinschaft eine relevante Größe habe und dies wünsche. „Ich begrüße daher ausdrücklich die intensiven Bemühungen der Länder, neben dem etablierten christlichen und jüdischen auch islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache einzurichten. Die Ausbildung entsprechender Lehrer sowie Geistlicher gehört für mich ebenso dazu.“ Gleichzeitig forderte Merkel die Verantwortung, sich kritisch mit den Quellen von Fundamentalismus in jeder Glaubensgemeinschaft auseinander zu setzen.

Podiumsdiskussion mit Studenten

Im Anschluss an den Vortrag stellte sich die Kanzlerin den Fragen dreier Studenten der Hochschule für Jüdische Studien. Dabei ermutigte sie die Zuhörer, sich Wissen über andere Kulturen anzueignen. „Nur dann kann ich den anderen verstehen.“ Wer einen Vertreter einer fremden Kultur kennen lerne, sei zunächst begeistert von dem Neuen und finde es hochinteressant. Doch nach dieser Phase sei es notwendig, zu überlegen, ob die eigenen Überzeugungen weiter tragen könnten. Jeder müsse sein eigenes inneres Zentrum finden. Dies sei in der Hochschule, an der Juden, Christen und Muslime gemeinsam studierten, in besonderer Weise möglich.

Im Zusammenhang mit der Schwierigkeit, dass Integrationswillige gleichzeitig ihren eigenen Hintergrund bewahren wollten, erinnerte Merkel an die deutsche Einheit. Oft werde das menschliche individuelle Leben mit dem Staat DDR verwechselt. Sie selbst wolle die 35 Jahre nicht missen, die sie dort verbrachte. Sie wünsche sich, dass man zu dem  Schönen stehen und das, worüber man sich geärgert habe, benennen könne.

Die Hochschule für Jüdische Studien wurde 1979 eröffnet. Sie sieht sich in der Tradition und Nachfolge der Wissenschaft des Judentums in Berlin, die 1939 von den Nazis geschlossen wurde. Mit den „Heidelberger Hochschulreden“ möchte sie „wissenschaftlich und kulturell Zeichen setzen, ein breites Publikum ansprechen, das über den Kreis der an jüdischer Geschichte und Kultur Interessierten hinausgeht“. Die Hochschule wird getragen vom Zentralrat der Juden in Deutschland und hat einen Kooperationsvertrag mit der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

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