„Mein Herz ist gebrochen“

Die Tearfund-Mitarbeiterin Sofya T. stammt aus dem Katastrophengebiet in der Türkei. Bei dem Erdbeben hat sie zwei Familienangehörige verloren. Im Gespräch mit PRO berichtet die junge Frau aus der Türkei.
Von Norbert Schäfer
Antakya


Sofya T. arbeitet seit 2016 in der türkischen Hauptstadt Ankara als nationale Programmbetreuerin für Tearfund Deutschland, einer christlich humanitären Hilfsorganisation, die Hilfe für die Erdbebenopfer mobilisiert. Die Heimatstadt der jungen Frau, Altınözü in der Region Antiochia, liegt im Katastrophengebiet.

Sofya hat in der Provinz noch Familie und Freunde. „Mein Herz ist gebrochen, meine Heimatstadt Altınözü, die Stadt meiner Kindheit liegt im Katastrophengebiet“, sagt Sofya. Das Gebiet Antiochien mit der Stadt Antakya hat eine besondere Geschichte. In der Region nannten sich zu biblischer Zeit die ersten Anhänger Jesu Christen.

„Die Stadt ist wie weggespült. Es steht nichts mehr, acht von zehn Gebäuden sind zerstört“, sagt die Tearfund-Mitarbeiterin, die Bilder aus der Stadt geschickt bekommen hat. Die Situation sei schrecklich. „Die Menschen warten darauf, dass Hilfe kommt.“

Vater will „Kirchengemeinde nicht im Stich lassen“

Weil der Großteil der Gebäude im Katastrophengebiet zerstört ist und es immer noch Nachbeben gibt, schlafen die Menschen mit Decken und am Lagerfeuer auf der Straße. Es gibt keine Zelte oder Notunterkünfte vor Ort, in denen sie Unterschlupf finden können. „Gott sei Dank steht die Kirche noch. Viele haben versucht, dort unterzukommen, weil das Gebäude sicher ist.“

Jetzt fliehen die Menschen aus den betroffenen Provinzen. „Dieses Erdbeben betrifft nicht nur uns, sondern auch Syrien. Aber die Auswirkungen sind in der Türkei größer, weil dort mehr Städte betroffen sind. Wir sprechen im Moment von Millionen von Menschen.“

Tearfund-Mitarbeiterin Sofya T. berichtet in einem Zoom-Call aus Ankara über die Situation im Erdbebengebiet

Weil die Vorräte aufgebraucht sind und bislang keine Hilfsgüter in die Region kommen, hat Sofyas Bruder beschlossen, gemeinsam mit einem Onkel das Erdbebengebiet zu verlassen. Sie wollen sich nach Ankara durchschlagen. Sofya versucht, eine Unterkunft vorzubereiten. „Mein Vater ist einer der Leiter der örtlichen Kirche in Altınözü. Er hilft den Menschen, nimmt sie auf, versorgt sie. ‘Ich kann die Kirchengemeinde hier nicht im Stich lassen‘, hat er zu mir gesagt.“ Die Eltern weigern sich deshalb, den Ort trotz der Nachbeben und der angespannten Versorgungslage zu verlassen.

Muslime und Christen helfen gemeinsam

Ihre Mobiltelefone laden die Menschen im Erdbebengebiet in ihren Autos auf, weil das Stromnetz unterbrochen ist. Empfang zur Außenwelt oder der Familien zu bekommen, sei im Katastrophengebiet aber Glücksache. „Gott sei Dank konnte ich jeden Tag wenigstens kurz mit meiner Familie sprechen. Sie sind in Sicherheit. Aber, ich habe eine Cousine verloren. Sie und ihr Mann wurden tot aus den Trümmern geborgen.“ Der neunjährige Sohn konnte gerettet werden. Er ist jetzt Waise.

Die Hilfsbereitschaft in der türkischen Gesellschaft sei gewaltig, sagt sie. „Die türkische Nation steht Hand in Hand.“ Für sieben Tage wurde Staatstrauer angeordnet, der Schulunterricht im ganzen Land ist eingestellt und der Ausnahmezustand ausgerufen. „Jeder versucht sein Bestes.“ Auch muslimische und christliche Organisationen würden zusammenarbeiten, um den Betroffenen zu helfen. „Muslime und Christen, alle arbeiten zusammen.“

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„Meine Kirche hier in Ankara hat sofort ihr Gebäude in ein Lager verwandelt. Mit ihren Mitteln beschaffen sie dringend benötigte Dinge und schicken diese dann mit Lastwagen in die Region.“ In der Geschichte der letzten hundert Jahre sei dies die schlimmste Katastrophe. „Zehn Provinzen sind von dem Beben betroffen. Bis jetzt sind mehr als 14.000 Todesopfer zu beklagen, zehntausende Menschen sind verletzt und abertausende Gebäude eingestürzt. Die Städte sind nicht wieder zu erkennen.“ Die Opferzahlen änderten sich stündlich. Sofya rechnet damit, dass die Zahl der Toten weiter steigt. „Es sind erst drei Tage vergangen, aber es wird noch Monate dauern, bis die Folgen überschaubar sind.“

Tearfund will zunächst über die lokale Partnerorganisation Kardelen ein kleines Team in die Region Antiochia entsenden. Die Hilfe komme vorwiegend in den Stadtzentren an, nicht in der Fläche. „Es dauert Tage, bis die Hilfe in den Dörfern ankommt.“ Von ersten eingegangenen Spenden will Sofya Windeln, Konserven und lebensnotwendige Dinge wie Decken und Zelte kaufen und in ihre Heimatregion schicken. Dazu hat sie ein Team von vier Helfern zusammengestellt. Die übrigen Mitarbeiter sollen von Ankara aus die weitere Hilfe organisieren. „Bitte vergesst uns nicht. Es wird Monate dauern, bis die ärgsten Wunden der Menschen – psychologisch, spirituell und physisch – geheilt sind.“

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