„Mehr Toleranz und weniger Ideologie wären hilfreich“

Ganz Deutschland diskutiert über den Entwurf des Bildungsplans in Baden-Württemberg und eine Petition dagegen. Die Regierung will die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ in den Schulen fördern. Kritiker sehen darin eine „ideologische Umerziehung“. pro hat mit dem württembergischen Pfarrer und Journalisten Steffen Kern über die Lage in dem Bundesland gesprochen.
Von PRO
Steffen Kern sagt: "Toleranz heißt nicht, jede Lebensform als gleichwertig und gleichermaßen normgebend zu akzeptieren."

pro: Wie ist die Stimmung der Menschen im Ländle, wenn es um die Petition gegen die Entwürfe zur Bildungsplan-Reform geht?

Steffen Kern: Ich glaube, dass sich in der jetzigen Situation verschiedene Dinge überlagern. Je nachdem, was die Leute vor Augen haben, bewerten sie dann auch die Petition unterschiedlich. Das Coming-out von Thomas Hitzlsperger wird allgemein positiv als couragiert wahrgenommen. Wer das vor Augen hat und den Bildungsplanentwurf nicht genau kennt, wird auf die Petition, auf die vermeintlich pauschale Kritik an Homosexuellen, verständlicherweise distanziert reagieren. Aber die Zahl derer, die die Petition unterschreiben, geht rasant nach oben. Das ist erstaunlich, und das hat Gründe.

Wer sind die Kritiker, die sich den Plänen der Landesregierung in den Weg stellen?

Die Kritik am Bildungsplan kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Es ist nicht richtig und nicht angemessen, das einigen wenigen Fundamentalisten und Rechtsextremen zuzuschreiben, wie das gelegentlich auch von der Regierung gemacht wird. Extremistische Äußerungen kommen zwar vor und sind sehr bedauerlich. Aber sie sollten nicht den Blick dafür verstellen, dass es die gesellschaftliche Mitte ist, die es kritisch sieht.

Wie bringen sich Christen im Land in die Diskussion ein?

Die evangelischen Landeskirchen und die katholischen Diözesen in Baden-Württemberg fordern jetzt in einer gemeinsamen Erklärung, dass der Bildungsplan dem Menschenbild folgen sollte, das auch unsere Landesverfassung und das Schulgesetz prägt. Und dazu gehört auch, dass Mann und Frau unterschiedlich geschaffen sind. In den Gemeinden, in denen ich unterwegs bin, ist der Bildungsplan auch ein Thema. Die über 83.000 Unterzeichner der Petition sind nur wenige von all denen, die ihn kritisch sehen. Es gibt zwar auch unter den Christen Befürworter, aber eine sehr große Gruppe sieht das sehr, sehr kritisch.

Unterstützen Sie die Petition?

Ich unterstütze die Petition, auch wenn ich nicht alle Formulierungen teile. Aber sie ist der jetzt eröffnete Weg, auf dem dem sich die öffentliche Kritik am Bildungsplan sammelt. Im Wortlaut hätte ich manches anders geschrieben, aber die grundlegende Kritik ist berechtigt.

Die Petition wirft dem Kultusministerium vor, mit der Bildungsplanreform eine „pädagogische, moralische und ideologische Umerziehung“ in Sachen Sexualethik zu verfolgen. Die Regierung weist dies zurück und sagt, es gehe darum, Offenheit und Toleranz gegenüber sexueller Vielfalt zu vermitteln. Was trifft Ihrer Meinung nach zu?

Die Wortwahl von beiden Seiten hat sich etwas in Kampfrhetorik verstiegen. Auch wenn ich die Kritik teile, würde ich nicht von „Umerziehung“ sprechen, das ist zu scharf. Aber der Bildungsplan geht weit über Toleranz und Akzeptanz für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe hinaus. Hier geht es um Akzeptanz sexueller Vielfalt als Norm. Es steht, worauf die Kirchen zu Recht verweisen, ein anderes Menschenbild im Hintergrund. Das ist mehr als Toleranz von einzelnen Menschen mit ihren jeweiligen sexuellen Orientierungen. Da ist eine gewisse grüne Ideologie unverkennbar. Das sagen selbst Parlamentarier. Dieser Kritik sollte sich die Regierung auch stellen.

Wie sollte Toleranz denn aussehen?

Toleranz bedeutet, dass ich jeden Menschen unabhängig von seiner politischen Meinung, sexuellen Orientierung, Herkunft, Hautfarbe und Religion achte und wertschätze. Das gilt natürlich auch gegenüber Menschen, die nicht heterosexuell sind. Aber Toleranz heißt nicht, jede Lebensform als gleichwertig und gleichermaßen normgebend zu akzeptieren. Als Christen sehen wir aus unserer biblisch-theologischen Tradition heraus, dass die Ehe zwischen Mann und Frau vorzüglich ist. Sie hat einen besonderen Wert und wird deshalb auch explizit im Grundgesetz geschützt.

Was kann die Petition tatsächlich bewegen?

Die Zahl der Unterschriften ist nicht entscheidend dafür, was im Landtag passiert. Dafür ist der Petitionsausschuss verantwortlich. Es gibt auch eine parlamentarische Mehrheit für den Bildungsplan, da ist es zu erwarten, dass er auch kommen wird. Aber es ist gelungen, dass sich breite Teile der Bevölkerung mit dem Vorhaben auseinandersetzen und Kritik üben. Ich hoffe, dass das Kultusministerium das ernst nimmt und deutlich nachbessert. Ich empfehle einen Runden Tisch, zu dem das Kultusministerium auch die Kirchen einlädt. Denn diese stehen ja nicht gerade im Verdacht, auf extremistische Perspektiven aufzuspringen. Das halte ich für dringend geboten und rate es der Landesregierung.

Die Kirchen haben am Freitag in einer gemeinsamen Erklärung die Betonung der „sexuellen Vielfalt“ im Bildungsplan kritisiert und vor einer Ideologisierung gewarnt. Was erwarten Sie im weiteren Prozess von den Kirchen?

Dass sie sich mit einer gemeinsamen Position geäußert haben, finde ich bemerkenswert. Die Kirchen können eine Mittlerrolle zwischen Bevölkerung und Politik wahrnehmen und auf das christliche Menschenbild hinweisen, extremistische und ideologische Positionen identifizieren und somit die Debatte versachlichen.

Eine Strafanzeige gegen den Initiator der Petition, Gabriel Stängle, hat die Staatsanwaltschaft Tübingen fallengelassen. Doch es liegt noch eine Dienstaufsichtsbeschwerde vor. Soll auf diese Weise ein „unbequemer Rufer“ ausgeschaltet werden?

Die Diskussion ist so emotionalisiert und politisiert, dass solche Mechanismen offenbar greifen. Von der rechtlichen Seite her kann ich das nicht beurteilen. Aber ich schätze, dass Herr Stängle hier von seinen Bürgerrechten Gebrauch macht, die ihm auch als Beamten in dem Umfang zustehen.

Hat Deutschland keine anderen Probleme und Minderheiten, oder warum schlägt das Thema sexuelle Orientierung in der Öffentlichkeit oft so hohe Wellen?

Ich würde mir wünschen, dass mit Blick auf andere Minderheiten auch so lebhaft diskutiert würde. Das betrifft vor allem Menschen mit Behinderung. Da wird eine viel größere Zahl als Menschen mit nicht-heterosexueller Neigung im öffentlichen Leben diskriminiert und eingeschränkt, schon allein durch nicht behindertengerechte Zugänge zu Gebäuden. Es ist unverhältnismäßig, wie und mit welcher Aufmerksamkeit die Dinge hier öffentlich diskutiert werden.

Wie erklären Sie sich das?

Natürlich gibt es da Interessengruppen, die ihre Positionen hier vorantreiben. Und es ist auch ein Boulevardthema, es ist für die Medien interessanter, weil es für gute Schlagzeilen sorgt. Das medial gemachte Interesse ist da höher, als wenn es um Alte und Kranke geht.

Was sagt das über unsere Gesellschaft?

Ich würde mich hüten, deswegen von einer Sexualisierung der Gesellschaft zu sprechen. Das Hauptanliegen ist ja, Toleranz zu fördern und Diskriminierung zu bekämpfen. Das begrüße ich. Aber ich halte das Thema für ungeeignet, einen Kulturkampf zu führen. Es ist nicht nötig, die Ehe von Mann und Frau zu relativieren, um Toleranz zu fördern.

Es sollte nicht soweit kommen, dass in Deutschland Mut dazugehört, heterosexuell zu sein, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Freitag in einem Kommentar. Ist ein solcher Trend absehbar?

Das ist natürlich etwas überspitzt. Ich glaube nicht, dass es so einen Trend geben wird. Aber ein Zerrbild in den Medien ist in der Hinsicht nicht zu leugnen. Die Journalistin Birgit Kelle hat darauf hingewiesen, dass immer noch 80 Prozent der Kinder ein Elternhaus haben, in dem Mutter und Vater verheiratet sind. Das ist also gesellschaftliche Normalität. Es ist wichtig, dass das auch die Politik im Blick behält.

Vielen Dank für das Gespräch. (pro)

https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/baden-wuerttemberg-emhomophobie-im-bildungsplanem-verankern/
https://www.pro-medienmagazin.de/journalismus/detailansicht/aktuell/swr-entfernt-emstrittigen-textem/
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