Mehr Leidenschaft, bitte!

Hanns Joachim Friedrichs, der Pate der seriösen deutschen TV-Kultur, forderte einst, Journalisten dürfen sich "nicht gemein machen mit einer Sache". Zu Unrecht schließen daraus viele in der Zunft, Werte und Haltung seien nur hinderlich. | Ein Kommentar von Thomas Schiller, Chefredakteur des Evangelischen Pressedienstes (epd)
Von PRO

Für viele Medienmacher hat der Ausspruch von Hanns Joachim Friedrichs den Stellenwert eines elften Gebots: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache." Der Satz ist das Vermächtnis des 1995 gestorbenen Moderators der "Tagesthemen" an seine Zunft: Bleibt immer schön kritisch, erst recht gegenüber den Dingen, für die euer Herz schlägt – so könnte man es heute etwas weniger pathetisch formulieren. Doch trifft diese Mahnung noch immer die aktuellen medienethischen Probleme?

Auf jeden Fall passte der Satz in Friedrichs´ Zeit. Als er 1985 begann, die neu gegründeten ARD-"Tagesthemen" zu moderieren, war die Fernsehlandschaft wohl sortiert – am deutlichsten wohl bei den Magazinen: Das "ZDF-Magazin" mit Gerhard Löwenthal bediente die Konservativen, "Monitor" vom WDR und "Panorama" vom NDR halfen dem linksliberalen Spektrum, seine politische Haltung bestätigt zu sehen.

Und der Nachwuchs? Wer in den 80er Jahren in ein Volontariat drängte, war politisiert. Nur eine Minderheit war dezidiert konservativ, der Mainstream war links und friedens- oder umweltbewegt. Bei Zeitungen und Sendern trafen sie – nimmt man die Springer-Blätter oder die "FAZ" hier mal explizit aus – auf 68er, die nach dem "Marsch durch die Institutionen" in den Redaktionshierarchien angekommen waren. Angesagt war nicht, Politik zu erklären, sondern zu machen.

Der Leidtragende war in der Regel der Leser, Hörer oder Zuschauer. Zwar gab es interessante neue Mitmach-Formate – im WDR etwa die Sendung "Hallo Ü-Wagen" von Carmen Thomas. Aber häufig nervten Zeitungen und Sender mit ihren Betroffenheitssendungen, ihrer übertriebenen Political Correctness oder ihren Erziehungsversuchen. Die Mediennutzer wurden um den Lustgewinn gebracht, sich eine eigene Meinung bilden zu dürfen. In dieser Zeit setzte Hanns Joachim Friedrichs ein Stoppschild: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache."

Der Fernsehmann der ersten Stunde hatte Anfang der 50er Jahre bei der BBC fünf Jahre lang die angelsächsischen Grundsätze des unabhängigen Journalismus verinnerlicht. Dies prägte ihn für seine erfolgreiche Laufbahn im deutschen öffentlich-rechtlichen System. Als erster "Mister Tagesthemen" war er zu einer journalistischen Institution geworden.

Friedrichs´ Satz machte schnell Karriere: Er traf den Nerv der Genervten. Er fiel ob seiner altertümlichen Sprache aus dem Rahmen: "Gemein machen" stand schon damals auf der Liste der aussterbenden Wörter. Und er hatte diesen Kick im Abgang: Wer nach dem zweiten Komma schon zustimmend genickt hatte – alles ethisch einwandfrei -, der wurde mit dem letzten Satzteil doch noch kalt erwischt. Medienmenschen lieben solche Provokationen.

Für den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus, der seit 1995 von einem Verein renommierter Journalisten verliehen wird, ist der Satz zum Leitwort geworden. Dass er auch heute noch seine Berechtigung hat, steht außer Frage. Und auch diejenigen, die Gutes im Schilde führen, brauchen kritische Kontrolle durch die Medien – denkt man beispielsweise an die Unregelmäßigkeiten beim deutschen Zweig des Kinderhilfswerks Unicef, dessen Geschäftsführer Anfang 2008 seinen Hut nehmen musste. Zugleich hat dieser Fall gezeigt, dass gelegentlich mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird.

Eine neue Generation von Journalisten hat auf der Suche nach dem schnellen Erfolg, so scheint es, insbesondere die "Gutmenschen" zu Zielscheibe genommen – und das Schema "Anspruch und Wirklichkeit" zieht immer. Initiativen und Nichtregierungsorganisationen sind ein leichtes Fressen – wie alle Institutionen haben sie ihre Achillesfersen, aber im Gegensatz zu Regierungen, Parteien, Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden fehlen den Gruppen der Bürgergesellschaft in der Regel die Mittel, ihre Schwachstellen von einer gut geölten PR-Maschine verbrämen zu lassen.

Die Forderung, sich "auch nicht mit einer guten Sache" gemein zu machen, hat inzwischen eine Eigendynamik entwickelt. Sie nährt die Illusion, dass so altmodische Dinge wie Haltung und Werte für gute Journalisten eher hinderlich, weil unprofessionell seien. Die Würde des Nächsten? Ein Leben in Frieden? Die Wahrung der Menschenrechte? Der Erhalt der Umwelt? Eine gerechte Gesellschaft? Für Zyniker sind das nur noch relative Größen. Was für viele – vor allem jüngere – Journalisten heute zählt, ist der schnelle Scoop, die Zitierung der eigenen Story durch Nachrichtenagenturen, das Erheischen von Zustimmung in der Welt der Blogger. Hanns Joachim Friedrichs haben viele von ihnen kaum noch kennengelernt. Die meisten waren zu seinen großen Zeiten in einem Alter, in dem sie schon lange vor den "Tagesthemen" ins Bett mussten.

Anne Will hat sich 2007 nach der Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises bereits herausgefordert gesehen, das berühmte Wort ihres Vor-Vorgängers zu interpretieren: Positionen ungefragt und unkritisch zu übernehmen, sie sich zu eigen machen und manipulativ vertreten – das dürfe ein guter Journalist nicht, sagt auch Will. "Was er aus meiner Sicht darf, ist, sich einzusetzen, zum Beispiel auch für eine gute Sache. Denn darin zeigt sich Haltung!" Will selbst engagiert sich für Hilfsprojekte in Afrika und gegen Landminen.

Der "Spiegel"-Journalist Jürgen Leinemann, der gemeinsam mit Cordt Schnibben das letzte Interview mit Hanns Joachim Friedrichs wenige Tage vor dessen Tod geführt hat, schlug 2009 in dieselbe Kerbe wie Anne Will: Die Medienwelt sei vielfältiger, schneller und sehr viel oberflächlicher geworden. "Ich vermisse bei den vielen Journalisten eine Haltung", sagte Leinemann dem Berliner "Tagesspiegel". Er meine damit Ernsthaftigkeit, für irgendetwas Besonderes  einzutreten und es wichtig zu finden. "Ich vermisse Leidenschaft."

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors. Quelle: epd

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