Mediziner: Mit dem Sterbenden um das Leben ringen

Der Deutsche Ethikrat hat sich in einer öffentlichen Debatte aus verschiedenen Perspektiven mit dem Thema Suizidbeihilfe befasst. Anlass war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Februar.
Von PRO
Dürfen Patienten tödliche Medikamente erhalten? Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts verstößt geschäftsmäßige Sterbehilfe nicht gegen das Grundgesetz.

Andreas Kruse nahm in seinem Vortrag die medizinisch-psychologische Perspektive ein. Der Heidelberger Wissenschaftler sitzt seit 2016 im Ethikrat. Er gestand dem Menschen das Recht ein, sein Leben selbst zu beenden. Oft seien seelische Erkrankungen oder der körperliche Verfall dafür ausschlaggebend: „Menschen mit dieser Zukunftsperspektive wollen oft nicht mehr leben.“

Kruse plädierte dafür, auch mit schwer kranken Patienten noch einmal zu reflektieren, ob sie nicht doch „Ja“ zum Leben sagen könnten. Man dürfe sie nicht sich selbst überlassen, sondern müsse diese Aspekte mit ihnen besprechen. Oft rufe die Demenz-Diagnose Suizid-Vorstellungen und Phantasien hervor. Er wolle mit Suizid-Willigen lieber besprechen, was getan werden könne, um das Leben zu erhalten.

Gleichzeitig habe er Respekt vor der Selbstbestimmung der Person. Der Suizid-Wunsch sei oft in eine emotionale Diskussion eingebunden: „Suizid hat immer etwas mit Isolation zu tun. Oft haben Menschen Angst, anderen zur Last zu fallen.“ Kruse warb dafür, um das Leben zu ringen und Sterbewilligen „Störfragen“ stellen. Als Beispiel nannte er: „Gibt es besondere Bereiche, die sie an das Leben binden?“ Kein Mensch sei eine Insel, jeder sei in ein Umfeld eingebunden.

Wunsch nach Suizid respektieren und nicht pathologisieren

Carl Friedrich Gethmann fragte in seinem Impulsvortrag, ob Selbsttötung moralisch erlaubt sei. Der Siegener Philosoph warnte vor einer allzu schnellen Pathologisierung des Suizids. Aus seiner Sicht konzentriere sich die Debatte zu sehr auf Sterbehilfe-Vereine: „Grundsätzlich ist aber jeder Mensch in der Lage, Beihilfe zu leisten.“

Verschiedene Richtungen hätten kritisiert, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die menschliche Endlichkeit zu wenig beachtet habe. „Auch der schwerkranke Patient hat es verdient, dass er bis zu einem bestimmten Grad Handlungsurheberschaft besitzt“, betonte Gethmann. Es gehe ihm darum, dass der einzelne Suizid-Willige nicht im „Meer der Verallgemeinerbarkeit“ untergehe: „Der Wunsch nach Suizid ist zu respektieren und nicht zu pathologisieren.“

Der Tübinger Moraltheologe Franz-Josef Bormann, seit 2016 im Ethikrat, machte deutlich, dass eine Reflexion des Themas auf vielen Ebenen notwendig sei. „Pauschale Reden über den Suizid verbieten sich.“ Zunächst gab er einen historischen Überblick, wie lange sich die Theologie schon mit dem Thema beschäftige. Die Debatte finde immer in der Spannung der Privatheit solcher Entscheidung und der Sichtweise, dass das Leben ein fundamentales Gut und Geschenk Gottes sei, statt.

„Kein gewaltförmiger Abbruch der Biografie“

Bormann warb dafür, klug mit den technischen gegebenen Möglichkeiten umzugehen. Die dem Menschen anvertraute Freiheit sei nicht grenzenlos und es gebe verschiedene Konstellationen zu berücksichtigen, wer aus welchen Gründen einen Suizid begehe. Bormann selbst bezeichnete ihn als „abrupten gewaltförmigen Abbruch der Biografie“.

Der Bayreuther Rechtswissenschaftler Stephan Rixen gab einen Überblick über die Folgen des Karlsruher Urteils, wonach das Verbot von Sterbehilfe aufgehoben wurde. Kriterien seien, dass der Sterbewillige zur freien Selbstbestimmung und zur Eigenverantwortung fähig sei. Der Entschluss brauche eine Dauerhaftigkeit und Festigkeit. Das Gericht forderte zudem ein durch den Gesetzgeber gewährleistetes Schutzkonzept.

Die Beratungs- und Hilfsangebote „dürfen daher als bewusste Ermutigung zu einem nicht-suizidalen Umgang mit der Grenzsituation“ andere Optionen eröffnen. Rixen ging auf die Ausführungen des Mediziners Kruse ein und fragte, was und wie weit Störfragen rechtlich zulässig sind: „Wir sollten die Menschenwürde neu in der Debatte verorten und den Gegensatz von Selbstbestimmung und Menschenwürde abbauen.“

Die Kölner Rechtswissenschaftlerin Frauke Rostalski nahm eine sehr pointierte rechtliche Position ein. Zu einem freien Leben gehöre auch das freie Sterben. Dazu gehöre es auch, sich der Unterstützung anderer Menschen zu bedienen oder durch die Hand des anderen zu sterben. Bei alledem wollte sie den berechtigten Lebensschutz nicht aus den Augen verlieren.

Von: Johannes Blöcher-Weil

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