Medienwelt: Paradiesische Zustände oder Werteverfall?

Welchen Platz kann die Kirche in Zeiten von "Google", "Facebook" und Co. einnehmen? Diese Frage haben sich Geistliche und Medienschaffende am Mittwoch in Potsdam gestellt. Der Landesbischof von Hannover, Ralf Meister, forderte mehr Sinn im Netz – lobte aber zugleich eine "globale Kommunikationsökumene".

Von PRO

"Werte und Religion in der digitalen Medienwelt" war das Thema einer Tagung der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Kirche müsse in und mit Hilfe der Medien als Sinnstifter agieren, forderte Meister. In einer Zeit, in der File-Sharing in Schweden als Religion anerkannt werde, müssten gerade Christen die "mediale Wirklichkeit analysieren und deuten". Medien förderten verantwortete Freiheit und Gemeinschaftsbildung, beides auch Anliegen der Evangelischen Kirche. Dennoch müsse gerade die mediale und ethische Bildung Förderung erfahren. "Vielleicht werden Medien das weltweit wirkungsvollste Instrument sein, um diese Welt gerechter und friedlicher zu machen", sagte Meister. Trotz ihres Potenzials bedürfe es auch einer "offensiven, kritischen Wahrnehmung und Deutung".

Die "globale Kommunikationsökumene" im Netz stelle eine geradezu "paradiesähnliche Situation" dar. "Apple" oder "Google" würden mittlerweile als "digitale Weltreligionen" wahrgenommen. Dennoch brauche es ein Medium wie Jesus Christus selbst, der aus dem Erkenntnisgewinn einen Sinn generiere. Kritisch äußerte sich Meister zur "massenhaften gnadenlosen Kommentierung" der Affäre Wulff im Netz. Problematisch sei dabei, dass die Kommentare anonym im Web geäußert würden und sich damit etwa vom Stammtischgespräch unterschieden, wo die Identität des Kritikers bekannt sei. Es gebe zu wenig "ethisch geschulte, verantwortliche Menschen". "Wir brauchen ethische Debatten, vielleicht auch eine Ethikkommission", forderte Meister.

Medien sind Abbild der Gesellschaft

Elmar Giglinger, Geschäftsführer der Filmförderung "Medienboard Berlin-Brandenburg", erklärte, die Medien stünden seit jeher in der Kritik, nicht nur in der heutigen Zeit. Als Beispiel nannte er Goethes "Leiden des jungen Werther", das einst verboten wurde, weil die Selbstmordrate nach Erscheinen des Buchs anstieg. Die Wahrnehmung von Medien sei im ständigen Wandel. So würde etwa das private Fernsehen immer wieder für eine Verflachung des Programms gegeißelt. Das "Dschungelcamp" habe noch vor drei Jahren als menschenverachtend gegolten, vor einem Jahr sei es im Feuilleton gefeiert worden und heute gelte es als akzeptiert. Den "schwarzen Peter" reflexartig an die Medien zu geben "ist zu einfach", sagte er, schließlich seien sie ein Abbild der Gesellschaft. Giglinger forderte ein "zeitgemäßes" Urheberrecht, Schutz vor menschenverachtenden Inhalten wie Hardcore-Pornos oder Extremismus. "Wir brauchen Vorbilder", fügte er mit einem Seitenhieb in Richtung Bundespräsident hinzu. Dieser stolpere von "Halbwahrheit zu Halbwahrheit". Das greife die Wertebasis der Gesellschaft mehr an als das Fernsehprogramm am Nachmittag.

Die RBB-Programmdirektorin Claudia Nothelle erklärte, sie empfinde Neue Medien wie Soziale Netzwerke unbedenklich und sogar hilfreich, solange sie die direkte Kommunikation nicht ersetzten. Problematisch habe sie aber den öffentlichen Umgang mit Moderatorin Bettina Schausten nach dem TV-Interview mit Christian Wulff wahrgenommen. Weil der Journalistin ein "kleiner handwerklicher Fehler" unterlaufen sei, habe sie Häme via "Facebook" einstecken müssen. Schausten hatte im Interview auf Nachfrage des Bundespräsidenten erklärt, sie zahle ihren Freunden 150 Euro für eine Übernachtung. "Mir hat sie Leid getan", sagte Nothelle.

Wie das Dschungelcamp entsteht…

Praktisch wurde die Tagung etwa in einem Workshop zum Thema "Scripted Reality". Jan Kromschröder, Produzent bei "Granada-Film" gab einen Einblick in die Produktion der Sendung "Ich bin ein Star, holt mich hier raus". Bei der Vorbereitung auf das "Dschungelcamp" suche er nach Archetypen, die in ihrer Gesamtheit am Ende einer Familie gleichen sollen. Fernsehmoderatorin Ramona Leiß etwa hätte in der aktuellen Staffel erwartungsgemäß wie eine Mutter agieren sollen. Kromschröder gab zu, dass das Dschungelcamp ein "lautes, krawalliges" TV-Format sei. Allerdings erinnerte er auch daran, dass die dort gezeigten Prominenten keine Laien seien und sich freiwillig für das Format entschieden. Zudem profitierten die Teilnehmer auch davon, sagte Kromschröder und erinnerte an den Sänger Ross Antony, der die Staffel vor zwei Jahren gewann. Regisseur und Autor Peter Henning kritisierte die "Ekelquälereien" beim Dschungelcamp als "gewisse Grenzüberschreitung". Medienschaffende hätten eine Verantwortung dem Zuschauer gegenüber, seien es Regisseure oder Produzenten.

Der EKD-Medienbeauftragte Markus Bräuer erklärte, "Scripted Reality"-Formate, also Sendungen, die mit Drehbuch und erfundenen Geschichten arbeiten, seien nicht grundsätzlich zu verurteilen. In manchen Formaten erkenne er eine "Kultur der Achtsamkeit", in anderen nicht. Kritischer sieht Bräuer die "RTL2"-Sendung "Berlin – Tag und Nacht", wo "nur geschrien" werde. Man könne doch auch einmal zeigen, wie in einer solchen Sendung ernsthaft Argumente ausgetauscht würden, forderte er. Jürgen Erdmann, Chefredakteur von "Norddeich TV" hat etwa bei Sendungen wie "Mitten im Leben" oder "Die Oliver Geissen Show" mitgearbeitet. Er verteidigte das Format. Es brauche auch einmal Protagonisten, die in einer solchen Sendung "für Stimmung sorgen". Der Jugendschutz habe die Produktionen im Blick, schon deshalb könne etwa Fäkalsprache im TV nicht Überhand nehmen. Bräuers Kritik nannte er "Stimmungsmache". Den Glauben in solchen Sendungen zu thematisieren, hält er für schwierig. "Religion macht keine Quote", sagte er. (pro)

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