Österreich: Boulevardposse um einen Handschlag

Die österreichische Kronen-Zeitung titelt, dass die Hälfte der Flüchtlinge im Land den Handschlag verweigere. Eine Schlagzeile, die sich bei näherer Betrachtung in tendenziöse Berichterstattung, (Vor-)Wahlkampfgeplänkel und heiße Luft auflöst. Eine Analyse von Raffael Reithofer
Von PRO
Das islamische Zentrum in Wien-Floridsdorf: Mit diesem Motiv machte die Kronen-Zeitung auf

Die Moschee im Bild steht nicht im saudi-arabischen Riad, nicht in Teheran, ja nicht einmal im bosnischen Sarajewo, sondern mitten in Wien-Floridsdorf – und das schon seit den 1970er-Jahren. Es handelt sich dabei um das Islamische Zentrum Wien, das vor vielen Jahren von Promi-Baumeister Richard Lugner im Auftrag des saudischen Königs errichtet wurde. Im Vordergrund: Burkaträgerinnen, sechs an der Zahl. Photoshop natürlich. Die Schlagzeile der Kronen-Zeitung schreit dem Leser entgegen: „Hälfte der Flüchtlinge verweigert Handschlag“! Das zeige eine neue Studie von Flooh Perlot und Peter Filzmaier – dem vielleicht bekanntesten Politikwissenschaftler Österreichs, der sich als Fernseh-Analyst einen Namen gemacht hat.

Wer das journalistische Handwerk kennt, weiß, dass es sich bei dieser Schlagzeile um einen Knüller handelt. In alten Zeiten, als noch kleine Jungen großformatige Zeitungen am Straßenboulevard feilboten, wäre diese Titelzeile ein Verkaufsschlager gewesen. Vom Straßenboulevard leitet sich der „Zeitungsboulevard“ ab. Die Kronen-Zeitung ist Österreichs legendärster wie berüchtigtster Vertreter dieser Zeitungsgattung und erreicht in etwa ein Drittel der Bevölkerung – und hat damit relativ zur Bevölkerung eine doppelt so große Reichweite wie die Bild-Zeitung in Deutschland. Einseitige Berichterstattung gehört hier zum Programm. Diese vollmundige Titelzeile der Kronen-Zeitung, die im Übrigen auch im Revolverblatt „Österreich“, aber auch auf dem frommen Nachrichtenportal kath.net zu finden ist, entpuppt sich bei näherem Hinsehen aber nicht nur als einseitig, sondern gar als Übertreibung an der an Grenze zur Lüge.

Studie wollte Muslime differenziert betrachten

Filzmaier und Perlot haben für den staatlichen Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF), der mit dem Ministerium von Sebastian Kurz verbunden ist, gut 1.000 Muslime aus unterschiedlichen Herkunftsländern zu kontroversen Themen rund um Religion und Integration mit Bezug auf das Alltagsleben interviewen lassen. Vergangene Woche wurde ihr Forschungsbericht veröffentlicht. Die Forscher wollten herausfinden, wie sich die Wertvorstellungen einzelner muslimischer Gruppen voneinander unterscheiden. Denn: „Nur allzu oft werden ‚die Muslime‘ in Politik, Medien und nicht zuletzt im gesellschaftlichen Diskurs über einen Kamm geschoren“, wie es die renommierte Wiener Zeitung in ihrem Artikel über die Studie formuliert. Daher lautete das hehre Ziel der beiden Wissenschaftler: „Die Studie soll einen Beitrag zur Versachlichung der emotionalen Debatte liefern“.

Absolute Daten zur Integration von Muslimen herauszufinden, war dabei von vorneherein nicht der Anspruch der Untersuchung und auf Basis der verwendeten Methoden laut Aussage der Autoren auch gar nicht möglich. Vielmehr ging es darum, einen relativen Vergleich herauszuarbeiten, beispielsweise über die Fragestellung: Wie unterscheidet sich die Werthaltung von Bosniern bzw. Türken, die teils schon seit Jahrzenten im Land leben von jener der muslimischen Flüchtlinge aus unterschiedlichen Herkunftsländern, die großteils erst seit wenigen Jahren im Land leben? Das wurde von der Kronen-Zeitung leider ignoriert.

Aussage der Kronen-Zeitung geht nicht aus dem Bericht hervor

Tatsächlich hat eine der vielen Teilfragen der Untersuchung ergeben, dass knapp über 50 Prozent der befragten Flüchtlinge Verständnis dafür haben, wenn Männer Frauen nicht die Hand schütteln. Soweit steht es im Kronen-Bericht in der Unterüberschrift. Doch „befragt“ ist hier das Schlüsselwort, denn die Studienautoren betonten mit Nachdruck: „ein repräsentativer Querschnitt war nicht das Ziel. Aussagen wie ‚XXX Prozent der Muslime in Österreich sagen…‘ können nicht getroffen werden.“ Noch dazu gelte, dass sich die Daten ausschließlich auf Muslime beziehen: „Sie können daher nicht kollektiv auf bestimmte ethnische Gruppen projiziert werden, die auch andere Glaubensgemeinschaften oder Personen ohne religiöses Bekenntnis umfassen.“

Zusammengefasst heißt das: Erstens ist die Verweigerung eines Handschlags nicht dasselbe wie Verständnis dafür, dass Männer Frauen nicht die Hand geben. Zweitens macht der Forschungsbericht keine absoluten Aussagen und drittens schon gar nicht über Flüchtlinge – die nicht nur Muslime, sondern etwa auch Christen und Atheisten umfassen. Wenn man den zweiten Punkt schon ignoriert, kann man genauso gut aus der Studie herauslesen, dass die relative Mehrheit der befragten Muslime erklären, dass eine Frau „nur wenn sie das selber möchte“ ein Kopftuch tragen solle oder auch, dass über 60 Prozent der Befragten das Recht der Frau anerkennen, sich gegen den Willen ihres Ehemannes scheiden zu lassen. Es ist aber zu befürchten, dass sich mit solchen Informationen keine Schlagzeilen machen lassen – zumindest keine negativen.

Versachlichung ins Gegenteil verkehrt

Deutlich zeigt die Untersuchung andererseits, dass Bosnier und Türken, die oft bereits seit Jahrzehnten in Österreich wohnen oder als Kinder von Einwandern sogar dort geboren sind, liberalere Ansichten pflegen als Flüchtlinge, die erst seit kurzem in Österreich sind. Abgesehen von der Tatsache, dass der Islam in Bosnien grundsätzlich eher liberal interpretiert wird, lässt sich daraus schließen, dass sich die Zuwanderer aus Bosnien und der Türkei über die Jahre in die österreichische Gesellschaft integriert und heimische Werte angenommen haben. „Türken und Bosnier gut integriert“ ist aber ebenfalls keine Headline, mit der sich gut wahlkämpfen lässt.

Die Studie von Filzmaier und Perlot und vor allem ihre mediale Interpretation sollte nämlich auch im Kontext des (Vor-)Wahlkampfes gesehen werden. Denn drei Wochen nach der deutschen Bundestagswahl wählt am 15. Oktober Österreich sein neues Parlament – und die Wahlkampfmaschinerie läuft langsam an. Symptomatisch dafür steht, dass (nicht nur) die Kronen-Zeitung Sebastian Kurz gewissermaßen das „Nachwort“ ihres Artikels gegeben hat, in dem dieser unter anderem fordert: „Migration massiv reduzieren, insbesondere von bildungsfernen Menschen aus anderen Kulturkreisen“. Der erst 30-jährige Spitzenkandidat der christdemokratischen ÖVP hat sich ganz im Gegensatz zu seiner Fraktionskollegin Angela Merkel in letzter Zeit immer mehr zum Hardliner in Flüchtlings- und Migrationsfragen entwickelt, die mediale Interpretation „seiner“ Studie kommt ihm im Wahlkampf zugute.

Dabei leugnet der Forschungsbericht keineswegs Integrationsprobleme von Muslimen in Österreich und zeigt auch: Religiösere Muslime können etwa Gewalt zur Verteidigung des Glaubens eher etwas abgewinnen und pflegen insgesamt extremere Ansichten als weniger religiöse Glaubensgenossen. Das ist genauso erwartbar wie problematisch. Den verkürzten Schluss, dass Flüchtlinge problematische Wertvorstellungen hätten, lässt die Untersuchung aber gerade nicht zu. Das wollte der österreichische Boulevard in seinem Hunger nach Schlagzeilen offenbar nicht wahrhaben – und hat damit die von Studienautor Filzmaier gewünschte „Versachlichung“ der Flüchtlingsdebatte ins Gegenteil verkehrt. (pro)

Von: Raffael Reithofer

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